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Wissen: Der Klang der Mathematik

Olga Holtz hat einen der höchstdotierten Preise erhalten. Sie verließ Berkeley, um an der TU Berlin zu arbeiten

Ja, eine Rolle würde sie spielen, gerne in einer Oper, denn Olga Holtz singt für ihr Leben gern. Wer sie fragt, welche Rolle sie am liebsten spielen würde, die eines Carl Friedrich Gauß, eines Henri Poincaré oder eines Grigori Perelman, dem antwortet sie: „Sofia Kovalevskaja“. Eine schlüssige Wahl, schließlich ist die russische Pionierin, die erste Doktorin und Professorin in Mathematik, nicht nur ihre Landsmännin und Fachkollegin. „Es gibt vieles in ihrem Leben, das ich ganz intuitiv verstehen kann“, sagt die 34-jährige Forscherin.

Kovalevskaja, die vor eineinhalb Jahrhunderten in Berlin vom großen Mathematiker Karl Weierstraß gefördert wurde, bevor sie in Stockholm Alfred Nobel den Kopf verdrehte, ist auch Namensgeberin eines der höchstdotierten Forschungspreise. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung vergibt ihn, um junge Spitzenforscher aus aller Welt nach Deutschland zu locken. Sie können sich die Universität aussuchen und frei über etwa 1,2 Millionen Euro verfügen, ohne bürokratische Zwänge eine Arbeitsgruppe aufbauen, Mitarbeiter, Geräte oder Reisen finanzieren. Holtz hatte den Preis im November 2006 bekommen und die Technische Universität Berlin ausgewählt.

Vielleicht wäre sie auch in Berlin, der Stadt der drei Opernhäuser, gelandet, wenn sie nur ihren musischen Neigungen gefolgt wäre. Das Zuhause im russischen Tscheljabinsk war voller Musik und voller Mathematik. Die Eltern sind Programmierer, sie brachten der Tochter die Algorithmen nahe, die Rechenvorschriften, nach denen Computer funktionieren. Musik oder Mathematik? Die 15-jährige Schülerin stand vor einer schweren Entscheidung. Sie wählte die Rechenkunst.

„Musik ist schön, doch Mathematik ist interessanter“, sagt Olga Holtz. Die Forscherin lacht und sie lacht oft während des Gesprächs im TU-Mathematikinstitut, diesem nüchternen Zweckbau aus Glas und Beton. Mit der modischen Kleidung, den langen, lockigen Haaren, dem offenen Blick entspricht sie gar nicht dem Klischee einer grübelnden Mathematikerin.

Eigenbrötlerisch, weltfremd, abweisend, wie sich ihr genialer Landsmann Grigori Perelman gibt, so muss man also nicht sein, um in Mathematik Erfolg zu haben. Perelman hatte als Erster die Poincarésche Vermutung bewiesen. Mehr als 100 Jahre war diese harte Nuss nicht geknackt worden. Als Perelman 2006 die Fields-Medaille, eine der höchsten Auszeichnungen der Mathematik, erhalten sollte, lehnte er ab und zog sich lieber in die Wälder um St. Petersburg zurück.

„Perelman sieht Mathematik als etwas ganz Objektives und gleichzeitig Außermenschliches“, sagt Holtz. „Das ist aber nicht so.“ Die zierliche Forscherin sitzt kerzengerade am Schreibtisch. „Es sind die Menschen, die Mathematik machen, genauso wie Chemie, Physik oder Biologie“, erklärt sie. Deshalb könne Wissenschaft nie ganz objektiv sein. Wie sieht sie ihre Aussichten auf die Fields-Medaille, die man ja nur bis zum Alter von 40 Jahren bekommen kann? „Das steht jetzt nicht zur Debatte“, stellt sie klar. Wichtig sei ihr nur die Forschung.

„Olga Holtz ist eine Ausnahmeerscheinung“, sagt Volker Mehrmann, Mathematikprofessor an der TU. Er ist ihr Mentor, hat sie 2002 betreut, als sie für ein Jahr mit einem Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erstmals an die TUB kam. Zuvor hatte sie der Weg von ihrer Heimatstadt am Ural zu Weiterstudium und Promotion nach Übersee geführt. In die USA kehrte sie nach dem Ende des Berliner Humboldt-Jahres zurück, nach Wisconsin und dann nach Berkeley. Die kalifornische Eliteuniversität bot ihr eine Professorenstelle. Doch wegen des Kovalevskaja-Preises kam Olga Holtz nach Berlin zurück – zumindest vorerst.

„Berlin ist spannend, eine Hochburg der Mathematik“, sagt sie. In der Tat blüht diese Disziplin nicht nur an den drei Berliner Hochschulen und an Einrichtungen wie dem Weierstraß-Institut oder dem Konrad-Zuse-Institut. Hier hat sich auch das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungszentrum „Matheon“ etabliert, hier gibt es die „Berlin Mathematical School“, eine Graduiertenschule aus dem Exzellenzwettbewerb. „Wenn wir über Mathematik reden, ist Berlin weltweit ganz vorne“, sagt Leibnizpreisträger Günter Ziegler, Präsident der Deutschen Mathematiker Vereinigung und TU-Professor.

Der richtige Ort also für eine, die in der Mathematik gerne „die dicksten Bretter bohrt“, wie es Mehrmann hervorhebt. So habe Holtz bei der Promotion an der Uni von Wisconsin auf die Schnelle ein paar „mathematische Vermutungen“ gelöst. Auch Sprachen lerne sie in Windeseile. In der Tat spricht die Forscherin Deutsch fast perfekt.

Kein Wunder, dass der TU-Mathematiker stolz darauf ist, das „Multitalent“ im Institut zu haben. Olga Holtz lacht, als sie darauf angesprochen wird. Wie begeistert die Kollegen an der TU sind, dass sie den kalifornischen Angeboten widerstanden hat. Doch sie bleibt realistisch. „Die Möglichkeit besteht weiter, dass ich nach Berkeley gehe“, sagt sie.

„Was muss man Ihnen bieten, dass Sie in Berlin bleiben?“ Die Forscherin lässt sich mit der Antwort Zeit. „Ich glaube, es ist zu früh, darüber zu reden“, sagt sie dann. Jetzt sei sie froh, das Team zusammenzuhaben. Der Aufbau der sechsköpfigen, international bunt gemischten Arbeitsgruppe hat Mühe gekostet und Zeit, die sie sich abgeknapst hat, zwischen den Reisen nach Kalifornien.

Jetzt will Olga Holtz richtig loslegen mit der Forschung. „Praktische Theorie“ nennt sie ihren Ansatz. Natürlich stehe in der Mathematik immer die Theorie am Anfang, erklärt sie. Es müssten zuerst immer Formeln entwickelt werden. Doch die Formeln nutzt sie, um konkrete Probleme für die Anwendung zu lösen, in Mathematik, aber auch in Physik, Chemie oder Biologie. Auch Computer lassen sich damit beschleunigen. Dabei kommt Holtz zugute, dass sie sich mit Computern und Mathematik gleichermaßen auskennt. Auf diesen Feldern hat sie sich auch am Institut für Computerwissenschaften in Wisconsin spezialisiert.

Berlin ist für die musisch begabte Forscherin aber mehr als eine Mathematik-Hochburg. Sie liebt das internationale Flair. „Ich finde es schön, Italienisch, Französisch oder Türkisch nebeneinander auf der Straße zu hören“, sagt sie. Sie genießt das „Einkaufen im KaDeWe, einen Double Latte bei Caras in Prenzlauer Berg, das Spiel von Licht und Dunkel im Sommerabendlicht“. Olga Holtz spricht von den vielen Theatern, den Opern, den Bibliotheken. „Tja, das Leben hier finde ich schön“, sagt sie.

Und da sie gerne singt, hat sie Volker Mehrmann nach einem Chor gefragt. Dem Mathematiker fiel nur der Philharmonische Chor ein. Kurze Zeit später war Holtz Mitglied und singt seitdem regelmäßig mit. Sie zieht eine CD aus der Schreibtischschublade. „Von unserem letzten Konzert, Missa solemnis von Beethoven“, sagt sie stolz. Nein, es sei nicht ihre erste CD. Sie habe schon einige Aufnahmen mit Chören und eine solo. Für ihren Kollegen Mehrmann ist sie ein „Multitalent mit sehr großem Selbstvertrauen“. Ein zutreffendes Urteil.

Paul Janositz

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