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Wissen: Der kosmische Jackpot

Wäre die Physik dieser Welt nur einen Hauch anders, gäbe es uns nicht – ein Hinweis auf die Existenz Gottes?

Einstein hat das Problem einmal so formuliert: Hatte Gott eine Wahl, als er unser Universum schuf? Was, wenn er einen anderen Kosmos geschaffen hätte, mit anderen Gesetzen und Naturkonstanten – hätten wir darin leben können, um sein Werk zu bewundern?

Was sich nach Metaphysik anhört, ist eine Frage, die nicht nur Metaphysiker, sondern zunehmend auch Physiker umtreibt.

So auch am Dienstag im Einstein-Forum in Potsdam. In einem schwülen, stickigen Raum, der kaum Luft zum Atmen ließ, diskutierten fünf Physiker und Philosophen über Einsteins Frage. Anlass: der baldige Start des „größten Experiments der Menschheit“, wie es Thomas Naumann vom Forschungszentrum Desy in Zeuthen formulierte. Damit meinte Naumann die bevorstehende Inbetriebnahme des weltweit mächtigsten Teilchenbeschleunigers am Kernforschungszentrum Cern in Genf; Naumann ist auch an den Experimenten dort beteiligt.

Was erhofft man sich vom Cern? Allen voran die Entdeckung des „Gottesteilchen“ namens Higgs. Higgs, darunter versteht man ein hypothetisches, den ganzen Raum durchziehendes Energiefeld, das Higgsfeld. Die meisten Physiker meinen, es müsse dieses Higgsfeld geben, denn nur so könne man sich gegenwärtig erklären, warum die Bausteine der Natur, wie etwa das Elektron, ihre bestimmte Masse erhalten.

Damit aber berühren die Experimente, die am Cern in Genf bevorstehen, auch Einsteins Frage: Wäre zum Beispiel die Elektronmasse zehnmal so groß, wären wir Menschen kleine Zwerge, das Tageslicht läge im Röntgenbereich, womöglich hätte die Evolution auch gar nicht stattfinden können.

Dasselbe gilt für x andere Eigenschaften unseres Universums. Würde es sich zu langsam ausdehnen, wäre es wieder in sich zusammengefallen, bevor sich so etwas wie Leben überhaupt hätte entwickeln können. Wäre der „Big Bang“ gewaltiger gewesen und hätte die Materie zu rasant in den Weltraum geschleudert, hätten sich gar keine Galaxien und Sterne bilden können. Unser Leben hängt offenbar von so vielen Zufällen ab, dass es scheint, als hätte Gott wohl kaum eine Wahl gehabt, als er den Kosmos schuf. Man nennt dies das „anthropische Prinzip“: Das Universum muss so sein, wie es ist, damit wir Menschen existieren können. Hatte ein höheres Wesen also seine Finger im Spiel?

Für Physiker ist das eine irritierende Vorstellung – und die Potsdamer Runde lehnte sie denn auch einstimmig ab. Die Philosophin Brigitte Falkenburg von der Uni Dortmund bezeichnete das anthropische Prinzip als „Akt der Verzweiflung“. Der Physiker Cristof Wetterich von der Uni Heidelberg meinte, ebenso könnten die Inuit so etwas wie ein „Naturgesetz der Inuit“ ins Leben rufen, das da lautet: Wie sonderbar, dass der Gefrierpunkt des Wassers just bei null liegt und die Temperatur, wo wir leben, auch noch um den Nullpunkt schwankt – das bietet uns sowohl Eis, um darauf zu leben, als auch Wasser, um darin zu fischen. Ohne all dies wäre das Leben von uns Inuit ja gar nicht möglich!

Für die Physiker ist die „Feinabstimmung“ unseres Universums Zufall, und kein Hinweis darauf, dass es einen Feinabstimmer – Gott – gibt. Dennoch treibt sie die Frage um, ob die Vielzahl der Zufälle, die unsere Existenz ermöglichen, nicht doch eine Nummer zu zufällig ist. Ein Ausweg, der in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen hat, ist die Hypothese der vielen Welten oder des Multiversums.

Nach dieser Vorstellung ist unser Universum nur eines von vielen, eine Blase in einem kochenden, kosmischen Ozean, jeder Kosmos mit je eigenen Konstanten ausgestattet, „und wir befinden uns in einem, in dem die Parameter Leben ermöglichen“, wie Hermann Nicolai sagte, Direktor am Albert-Einstein-Institut in Potsdam.

Viele führende Physiker sind inzwischen von der Idee eines Multiversums überzeugt, wie etwa der Stanford-Professor Leonard Susskind. Der britische Astronom Martin Rees würde seinen Hund darauf verwetten, der Stanford-Physiker Andrei Linde sogar sein Leben. Und der US-Nobelpreisträger Steven Weinberg, anfangs skeptisch, meinte vor einiger Zeit, er traue der Theorie immerhin schon so weit, „um sowohl Andrei Lindes Leben als auch Martin Rees’ Hund darauf zu verwetten“.

Nach der Theorie des Multiversums wären wir Menschen „die Gewinner in der gigantischen kosmischen Lotterie, die uns vorspiegelt, alles sei das Werk eines Schöpfers“, wie es der britische Physiker Paul Davies in seinem soeben erschienenen, lesenswerten Buch „Der kosmische Volltreffer“ (Campus 2008) formuliert. Der Mensch – kein Kind Gottes, sondern ein Glückskind.

Ein bisschen getrübt wird dieses Glück vielleicht nur durch eine abermalige narzisstische Kränkung, die der Philosoph Bernulf Kanitscheider ansprach: Vor 500 Jahren hatte uns Kopernikus aus dem Zentrum des Kosmos verbannt, der Kosmos selbst aber blieb einmalig. Sogar das könnte sich als Illusion erweisen.

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