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Aufgebracht. Auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos demonstrieren Hunderttausende für eine Demokratisierung des Landes. Darunter sind auch viele arbeitslose Hochschulabsolventen. Mit einem Regimewechsel verbinden sie die Hoffnung auf neue Stellen etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen.

© Reuters

Deutsche Wissenschaftler in Ägypten: Notlager in Kairo

Vor dem Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Kairo wird geschossen, Archäologen sitzen fest. Alarmiert ist auch der Präsident der TU Berlin, Jörg Steinbach. Die Eröffnung des neuen TU-Campus in El Gouna ist gefährdet.

Der Samstag war der schlimmste Tag für den Deutschen Akademischen Austauschdienst in Kairo. 50 Stipendiaten und Lektoren hatten sich bereits in die Außenstelle des DAAD geflüchtet: In ein großes Haus, einen Kilometer Luftlinie vom Tahrir-Platz, dem Zentrum der Demonstrationen, entfernt. Dann wurde auf einmal direkt vor der Außenstelle geschossen. „Alle flüchteten in den Keller, eine sehr bedrohliche Situation, anarchische Zustände.“ Atemlos erzählt das Christian Hülshörster, Gruppenleiter Nordafrika beim DAAD.

Dienstagnacht erst ist Hülshörster mit einer Sondermaschine der Lufthansa nach Deutschland zurückgekehrt. Fünf Tage hat er zuvor in Kairo verbracht. Eigentlich wollte er dort nur umsteigen – nach einem Aufenthalt im Jemen, wo Hülshörster sich ebenfalls um die Sicherheit der DAAD-Mitarbeiter kümmern musste. Doch dann war sein Krisenmanagement in Kairo gefragt. Ägypten ist für den DAAD genauso wie für viele deutsche Unis und Institute ein wichtiges Partnerland. An Wissenschaft ist in Ägypten derzeit allerdings nicht zu denken.

So riefen die DAAD-Mitarbeiter  alle Stipendiaten zusammen, die meisten davon deutsche Studierende, die gerade Arabisch in Kairo lernen. Auch den Lektoren und ihren Familien riet Hülshörster, sich in der Außenstelle zu sammeln. „Viele hatten Angst, nachdem in ihren Vierteln geschossen wurde“, sagt Hülshörster. Es war gleichwohl ein schwieriges Unterfangen, alle zu erreichen, nachdem die Regierung das Internet und die Handynetze abschaltete. „Denn das Festnetz funktioniert nur unzuverlässig“, erzählt Hülshörster. Rund 50 Studierende und Wissenschaftler finden schließlich beim DAAD Unterschlupf. Sie schlafen auf eilends organisierten Matratzen und Decken, die Mitarbeiter kaufen Lebensmittel für mehrere Tage, „ein richtiges Notlager“, wie Hülshörster sagt. Hautnah bekommen sie die Proteste mit. Demonstranten ziehen vorbei, Bürgerwehren patrouillieren vor der Außenstelle, bewaffnet mit Besenstielen und Küchenmessern. Die ganze Zeit versucht der DAAD die Ausreise seiner Leute zu organisieren. Zwei Drittel der Stipendiaten und Mitarbeiter konnten inzwischen nach Deutschland zurückkehren, sagt Hülshörster.

Die größte deutsche Auslandsuniversität ist seit Tagen geschlossen

Ähnlich wie dem DAAD ergeht es den anderen deutschen Wissenschaftseinrichtungen. Die „German University in Cairo“ (GUC), mit 8000 Studierenden die größte deutsche Auslandsuni, ist geschlossen. „Die Mitarbeiter kommen gar nicht zum Campus durch“, heißt es im GUC-Deutschlandbüro in Ulm. Die Uni liegt in einer reichen Vorstadt Kairos, 25 Kilometer vom Zentrum entfernt. Aus Kairo hätte man tagelang nur wenig gehört, heißt es im Deutschlandbüro. Immerhin funktioniere seit Mittwochmittag die Webseite wieder.

Auch die Grabungen des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Ägypten ruhen. Doch einige Archäologen sitzen an den Grabungsorten fest. In Luxor, wo es in der Stadt vereinzelt zu Plünderungen kam und eine Ausgangssperre verhängt wurde, wartet der stellvertretende Direktor der DAI-Abteilung Kairo darauf, dass sich die Lage beruhigt. Daniel Polz wolle zurück in die Zentrale, weil es aber keine nationalen Flüge und Zugverbindungen mehr gibt und die Straßen zu unsicher sind, harre er in Luxor aus, sagt DAI-Sprecherin Nicole Kehrer.

Fünf Mitarbeiter, die zunächst auf der Nilinsel Elephantine festsaßen, konnten die Region dagegen am Dienstag mit einem gesicherten Konvoi verlassen und wurden mit einer österreichischen Militärmaschine nach Wien ausgeflogen. Aus Kairo nach Deutschland zurückkehren würden aber zunächst nur Angehörige und Kinder von Archäologen, sagt Kehrer. Die Kernmannschaft wolle die DAI-Villa im Kairoer Stadtteil Zamalek nicht verlassen, auch um die einzigartige Bibliothek zu schützen. Die archäologischen Stätten seien derzeit nicht in Gefahr, in nahe gelegenen Städten und Dörfern organisierten sich Bürgerwehren, um das Kulturerbe notfalls gegen Plünderer zu verteidigen.

Alarmiert ist der Präsident der Technischen Universität Berlin, Jörg Steinbach. Die TU baut einen Campus im Ferienort El Gouna, ein Kooperationsprojekt mit dem ägyptischen Tourismusunternehmer und TU-Alumnus Samih Sawiris. Er finanziert den TU-Campus mit einem zweistelligen Millionenbetrag, der Studienbetrieb sollte im Herbst starten. Doch derzeit könnten die ägyptischen Mitarbeiter in El Gouna keine Studierenden anwerben, sagt Steinbach. Am Wochenende wollten TU-Koordinator Rudolf Schäfer sowie der ehemalige TU-Präsident Kurt Kutzler nach El Gouna fliegen, sie mussten die Reise bis auf Weiteres absagen. Sawiris selber hat sich mit seiner Familie aus Kairo in den Ferienort am Roten Meer zurückgezogen, wie er Steinbach am Telefon sagte.

Die ägyptischen Hochschulabsolventen hoffen auf den Umbruch

Steinbach hofft, dass sich in Ägypten die gemäßigten Demokratisierungsanhänger durchsetzen. Und er hofft, dass diese die Gründung des TU-Campus ebenso unterstützen, wie die Regierung Mubarak es bislang getan hat.

Daran könne überhaupt kein Zweifel bestehen, sagt die Historikerin Hanan Hammad, die aus Ägypten stammt, an der Texas Christian University in den USA lehrt und derzeit Gastwissenschaftlerin am Zentrum Moderner Orient in Berlin ist. In der Demokratisierungsbewegung gebe es keine Stimmen gegen einen akademischen Austausch mit dem Westen. Bliebe Mubarak an der Macht, wäre die Gefahr größer, dass Projekte im System der Korruption stecken bleiben.

Dringend bessern müsse sich die Lage ägyptischer Hochschulabsolventen, auch solcher von westlichen Unis, sagt Hammad. Sehr viele seien arbeitslos und setzten ihre Hoffnung darauf, dass eine demokratische Regierung Jobs etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen schaffen würde.

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