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Erdaufgang

© Nasa

Jahrhundert-Bild: Die aufgehende Erde

Wie mondbegeisterte Amerikaner das "Bild des Jahrhunderts" neu erstehen ließen – in ungekannter Pracht.

„Das ist wirklich ein unglaubliches Bild.“ Dem Amerikaner Dennis Wingo hat der Anblick den Atem verschlagen. Er ist Chef von „SkyCorp“, einer Firma für Raumfahrttechnologie. Auf dem Bild sieht man einen Teil des Mondes und dahinter die aufgehende Erde. Es war das erste Foto überhaupt, das unseren im Weltall frei schwebenden Heimatplaneten aus einer großen Entfernung zeigte.

Aufgenommen wurde das „Bild des Jahrhunderts“ am 23. August 1966 von der amerikanischen Mondsonde „Lunar Orbiter 1“. Doch in einer solch hohen Auflösung war es bislang noch nie zu sehen, das Original wurde rekonstruiert und mit moderner Digitaltechnik aufbereitet. „Es gibt bis heute nichts Vergleichbares“, schwärmte Wingo, als er dieses einzigartige Bild jetzt im Auditorium des Ames Research Center der US-Weltraumbehörde Nasa in Moffett Field (US-Bundesstaat Kalifornien) der Öffentlichkeit präsentierte – der vorläufige Höhepunkt einer abenteuerlichen Geschichte, an der er selber beteiligt war.

1967 und 1968 schickte die Nasa fünf „Lunar Orbiters“ ins All, deren Hauptaufgabe darin bestand, den Mond aus nächster Nähe zu fotografieren, um potenzielle Landeplätze für die Apollo-Flüge auszukundschaften. Jede dieser kompakten, nur 1,52 Meter breiten und 1,68 Meter hohen Sonden verfügte über zwei Schwarz-Weiß-Kameras – die eine mit einem Tele-, die andere mit einem Weitwinkelobjektiv. Die Filme wurden noch an Bord entwickelt, elektronisch abgetastet und dabei in Tausende von „Framelets“ zerlegt. Ein Telebild bestand aus 26, ein Weitwinkelbild aus 86 Framelets, die Übertragung eines kombinierten Weitwinkel- und Telebildes dauerte rund 43 Minuten. Die Daten wurden zur Erde gefunkt. Um die Aufnahmen sichtbar zu machen, beschritt man dann den umgekehrten Weg: Die Bildsignale eines jeden „Framelets“ wurden von einer Kathodenstrahlröhre auf einem 35-Millimeter-Film belichtet, so dass sich daraus die ursprünglichen Bilder wieder zusammensetzen und herauskopieren ließen.

Insgesamt konnten die fünf Lunar Orbiter fast die gesamte Mondoberfläche fotografieren, bei rund 100 000 Quadratkilometern gelang dies sogar mit einer Auflösung von einem bis zwei Metern. Daraus ging ein bis heute noch gültiger Mondatlas hervor. Doch das öffentliche Interesse an den Mondbildern erlahmte, als im Dezember 1968 mit „Apollo 8“ die erste bemannte Raumkapsel die Mondumlaufbahn erreichte und im Juli 1969 im Rahmen von „Apollo 11“ die ersten Astronauten den Mond betraten.

Die Astronauten machten eigene, spektakuläre Aufnahmen, so dass die Orbiter-Fotos vergessen wurden. Die Filme der Orbiter wurden von der Nasa archiviert. Zur Sicherheit waren die Rohdaten auch auf Magnetbändern gespeichert worden. Aber daran hatte nun auch die US-Weltraumbehörde kein Interesse mehr. Und die riesenhaften, sperrigen Maschinen, die man brauchte, um die Daten auszulesen, standen ihr nur im Weg.

„Ich sagte, ich werde sie nehmen“, erzählt Nancy Evans, die damals eine Fotoabteilung der Nasa leitete. Evans konnte sich von den Geräten einfach nicht trennen, denn sie wusste: Ohne sie wären auch die Originaldaten der Lunar Orbiter verloren. So nahm sie vier von diesen Ungetümen Mitte der 80er Jahre mit zu sich nach Hause und stellte sie in ihre Garage. 20 Jahre lang standen sie dort ungenutzt herum, inmitten von Gerümpel und gleich neben dem Hühnerstall. Mit der Zeit wurden sie von dicken Staubschichten überzogen. So manches Mal sei sie versucht gewesen, sie doch auf den Müll zu schmeißen, um mehr Platz zu schaffen, sagt Evans. Doch jedes Mal schreckte sie im letzten Moment zurück.

Auch die meterhohen Stapel von Magnetbändern mit den Originaldaten der Lunar Orbiter kamen in Nancy Evans’ Obhut. Sie lagerten in einem ungenutzten Raum in Sun Valley in der Nähe von Los Angeles. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Mark Nelson vom California Institute of Technology in Pasadena hatte Evans sogar noch versucht, privates Geld aufzutreiben, um die analog aufgezeichneten Daten zu digitalisieren, doch als weitere Förderung ausblieb, ließen sie davon ab.

Nelson wechselte in die Industrie, Evans verließ die Nasa, um eine zweite Karriere als Tierärztin zu machen. Die Hoffnung, die Geräte und Bänder noch einmal loszuwerden, hatte sie eigentlich schon aufgegeben. Erst als das allgemeine Interesse am Mond neu erwachte und die Nasa sogar eine neue Mondlandung ins Auge fasste, machte sie einen letzten Versuch, jemanden zu finden, der daran Interesse haben könnte.

Anfang 2007 erfuhr Dennis Wingo über das Internet von der Existenz des Lunar-Orbiter-Materials. Elektrisiert setzte er sich mit Keith Cowing in Verbindung, dem Leiter des Internet-Portals „SpaceRef Interactive“. Die beiden Mondbegeisterten nahmen Kontakt zu Nancy Evans auf. Sie holten die Magnetbänder und Lesegeräte mit LKWs ab. Das Einzige, was sie jetzt noch brauchten, war ein großer Raum. Die Nasa stellte ihnen eine verlassene Niederlassung von McDonalds auf dem Gelände des Ames-Forschungszentrums zur Verfügung, die Wingo und Cowing kurzerhand in „McMoons“ umtauften.

Es gelang, die Lesegeräte und mit ihnen die alten Magnetbänder zu neuem Leben zu erwecken. „Wir mussten schon ziemlich herumexperimentieren, um zu verstehen, wie die Daten auf den Bändern organisiert waren“, berichtet Keith Cowing. Und dann der sensationelle Erfolg: Mit Hilfe von moderner Software war es möglich, die Originalfotos der Lunar Orbiter in einer sehr viel höheren Auflösung zu reproduzieren, als dies vor 42 Jahren mit der damals zur Verfügung stehenden Technik möglich gewesen war.

„Jeder, der schon mal ein Kopiergerät benutzt hat, um eine Kopie von einer Kopie anzufertigen, weiß, dass bei diesem Vorgang die Auflösung verloren geht“, sagt Cowing. „So war es auch beim Lunar Orbiter. Die Nasa brauchte einen schnellen Zugang zu den Daten, die damaligen Computer waren noch nicht so leistungsfähig. Die Bilder waren dadurch zwar nicht so gut, aber sie erfüllten ihren Zweck, sich einen Eindruck von möglichen Landeplätzen für die Apollo-Missionen zu verschaffen.“

Im Rahmen des „Lunar Orbiter Image Recovery Project“ sollen in den nächsten Jahren sämtliche alten Bänder mit moderner Software ausgelesen und alle Bilder in ihrer „wahren“ Auflösung reproduziert werden. Immer vorausgesetzt, die vorsintflutlichen Lesegeräte halten der Belastung weiter stand. Dennis Wingo leitet das Projekt. Er rechnet mit 1983 weiteren Fotos von ähnlich exzellenter Qualität, wie sie sich beim „Bild des Jahrhunderts“ zeigte. „Wir betreiben hier Archäologie“, sagt er. „Techno-Archäologie.“

Mehr im Internet unter:

www.moonviews.com

Irene Meichsner

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