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Mediziner filtern heute viele Informationen über die Gesundheit des Patienten aus Bildern.

© iStockphoto/xijian

Humboldt-Universität zu Berlin: Die Macht der Bilder

Was Ärzte von Kultur- und Medienwissenschaftlern lernen können.

Gebrochen oder verstaucht? Ein Blick auf das Röntgenbild und der Arzt weiß, was zu tun ist. Digitale Schnittbilder des Magnetresonanztomografen (MRT) erlauben ihm eine nicht-invasive Diagnostik an Organen und Geweben. Auch im OP-Saal orientieren sich Mediziner zunehmend an Bildern, etwa bei der minimalinvasiven Entfernung einer steinreichen Gallenblase: Anders als beim offenen Bauchschnitt sieht der Chirurg sein Operationsfeld nicht mehr direkt, sondern orientiert sich über eine Miniaturkamera, die er wie seine Instrumente durch die Bauchdecke schiebt. Kommt ein OP-Roboter wie „Da Vinci“ zum Einsatz, ist der Patient völlig außer Reichweite des Arztes. Den Blick auf die Live-Bilder des Körperinneren gerichtet, bedient der Chirurg mittels kleiner Joysticks Instrumente im narkotisierten Körper.

Wer dominiert hier? Das Bild oder der Arzt? Und wen muss der Patient bei einem Kunstfehler künftig verklagen? Die Klinik oder den Gerätehersteller?

Die Digitalisierung verändert die Medizin grundlegend. Während ein Arzt früher seine Diagnose durch Fragen und Untersuchung stellte, schickt er heute seine Patienten zunehmend zum Ultraschall oder MRT. Das Bild übernimmt, liefert die entscheidenden Informationen für die Therapie. „Im Sinne des Patientenwohls kann das nur funktionieren, wenn in der Medizin ein Bewusstsein für die Macht der Bilder geschaffen wird“, sagt Thomas Picht, Neurochirurg an der Berliner Charité. Bild- und Medienkompetenz ist also gefragt. Deshalb engagiert sich Picht in Projekten des Exzellenzclusters „Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor“ der Humboldt-Universität. Hier arbeiten Geistes-, Natur- und Technikwissenschaftler, Mediziner und auch Gestalter zusammen.

"Bilder sind zu einer Art Symptomersatz geworden"

Inwiefern können Kunsthistoriker wie Matthias Bruhn und Medienwissenschaftler wie Kathrin Friedrich Medizinern Bildkompetenz vermitteln? „Wir ,kartieren’ die verschiedenen Schichten medizinischer Betreuung, bei denen Bilder zum Einsatz kommen“, sagt Bruhn. „Etwa bei der Aufnahme des Patienten in die Klinik, bei der OP-Vorbereitung sowie bei Durchführung und Überwachung der Operation.“

Bruhn will bei Medizinern eine Grundsensibilität dafür wecken, wie abhängig sie von Bildern sind – aber ohne erhobenen Zeigefinger. „Wenn man den Körper nicht aufschneiden kann, muss man andere Mittel finden, um Krankheiten zu diagnostizieren. Bilder sind darüber zu einer Art Symptomersatz geworden.“ Beim Blick auf sie stellt sich die Frage: Was ist eigentlich gesund und was nicht? Nur wer Tausende Bilder gesehen hat, kann das wirklich beurteilen.

„Es geht um Bildwahrnehmung, deren Übersetzung und Überführung in produktive Handlung am Körper“, betont Kathrin Friedrich. Die Kunst des Arztes liegt heute (auch) darin, die zu den Beschwerden des Patienten passenden Informationen aus den Bildern herauszufiltern – und andere auszublenden.

Letztlich geht es darum, die Hoheit über die Bilder zu behalten

Hersteller bieten inzwischen Geräte an, die 16 Millionen Farben darstellen können. Es ist aber die medizinische Erfahrung, die dem Radiologen sagt, dass er den Tumorrand in Schwarz-Weiß viel schärfer erkennt. „Wann welche bildgebende Methode in der Klinik zum Einsatz kommt, ist auch eine medienwissenschaftliche Fragestellung“, sagt Wissenschaftlerin Friedrich. Vor ähnlichen Fragen stehen übrigens auch Kunsthistoriker und Archäologen, wenn sie anhand von Bildern entscheiden sollen, ob ein Gemälde oder Artefakt echt ist.

„Aktuell drückt uns die Industrie die fertigen Hightech-Geräte regelrecht in den OP. Mit der Integration in bereits bestehende Abläufe und der Kombination mit anderen technischen Geräten sind die klinischen Teams schlicht überfordert“, sagt Neurochirurg Picht. Deshalb wollen Charité-Mediziner gemeinsam mit Medienwissenschaftlern Unterrichtsmodule entwickeln, damit Medizinstudierende bereits früh den Umgang mit bildgebender Diagnostik und bildgeführten Behandlungsmethoden sowie die Fingerfertigkeit für deren Bedienung lernen. Letztlich geht es darum im Zeitalter des zunehmend virtuellen Patienten die Hoheit über die Bilder zu behalten. Bei der Prüfungsfrage „Worauf schauen Sie bei einem Computertomografie-Bild als erstes?“ scheitern übrigens fast alle. Die richtige Antwort ist: Auf den Namen des Patienten.

Der Artikel ist am 14.Oktober 2017 in einer Beilage der Humboldt-Universität zum Start des Wintersemesters 2017/2018 erschienen.

Catarina Pietschmann

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