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Schnell noch ein Smiley. Doch die Bandbreite unserer Gefühle ist viel komplexer, als sich mit Emojis ausdrücken lässt.

© iStock/nicomenijes

Humboldt-Universität zu Berlin: Digitale Emotionen

Das „Wieviel“ und nicht die Qualität von Gefühlen steht in den neuen Medien im Vordergrund.

Im vergangenen Jahr ist Facebook emotionaler geworden. Neben den üblichen „Gefällt-mir-Likes“ lassen sich nun auch andere Emotionen per Zeichen ausdrücken. Besonderer Beliebtheit erfreut sich weltweit das Herzchen-Symbol. Bei der morgendlichen U-Bahnfahrt verteilt man auf das Smartphone starrend nun lieber „Loves“ statt „Likes“. Doch was bedeutet das für unseren Alltag? Wie verändern bestimmte Nutzungsweisen digitaler Medien wie Smartphones und Apps unsere alltägliche Lebenswirklichkeit?

Die Digitalisierung wird nach der Industrialisierung als neues Zeitalter benannt, das radikale Veränderungen mit sich bringt. Zukunftssorgen wegen der fortschreitenden Digitalisierung scheinen 2017 aktueller denn je. „In der öffentlichen Debatte geht es oft um das Neue, das Spektakuläre der digitalen Medien. Es werden große Utopien und auch große Ängste vor neuen möglichen Entwicklungen aufgezeigt“, sagt Christoph Bareither. Er ist Leiter des Media & Digital Anthropology Lab (MeDia Lab) am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität. Hier werden diese Veränderungen aus der Perspektive der Medienanthropologie mit einem Blick auf die Alltagskultur untersucht. „Uns interessiert in erster Linie, was machen Menschen mit den digitalen Medien und nicht umgekehrt.“

"Medien sind Teil einer schon lange bestehenden Populärkultur"

Die Veränderungsprozesse durch digitale Medien sind oft weniger spektakulär als komplex und weisen meist mehr Kontinuitäten als Brüche auf. Kurz gesagt, nicht alles, was neu erscheint, ist es auch. „Medien sind grundsätzlich Teil einer schon lange bestehenden Populärkultur. YouTube ist beispielsweise auf eine Fernsehkultur zurückzuführen, bei der Menschen Videoangebote konsumieren“, erklärt der Juniorprofessor. Ein wichtiger Aspekt für diese Entwicklung ist die Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte und empfundene Idee von Freizeit, die unsere Gesellschaft in eine sogenannte Erlebnisgesellschaft verwandelt hat, in der Vergnügen und Unterhaltung ein wichtiger Bestandteil des Lebens sind. „Menschen gestalten ihre Freizeit mit Dingen, die sie als schön, erfreulich und ästhetisch empfinden. Das macht für viele einen zentralen Teil ihres Alltags aus. Und bei der Frage des Unterhaltens und Vergnügens spielen Medien eine zentrale Rolle.“

Unterhaltung und Medien sind also nicht neu, aber eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg digitaler Medien. „Gerade für jüngere Menschen sind digitale Medien zentral für die Freizeitgestaltung. Durch Facebook, YouTube oder Computerspiele entstehen veränderte Formen und Genres des Unterhaltens“, erklärt Bareither. „Die Möglichkeit der Partizipation und Interaktion durch aufrufen, liken und kommentieren bringt neue Formen des Vergnügens hervor.“

Menschen setzten nicht linear um, was digitale Medien vorgeben

Auch soziale Phänomene, die als spezifisches Produkt der Digitalisierung identifiziert werden, sind nicht neu, sondern treten in veränderter Form auf. Oft genannte Folgen der Digitalisierung wie zum Beispiel die zurzeit häufig diskutierte These, die Politik sei emotionaler geworden und die politische Meinungsbildung vor allem postfaktisch, Fakten spielten also keine Rolle mehr, müssen vorsichtig betrachtet werden. „Die Annahme, die gesamte politische Meinungsbildung habe sich durch das Internet geändert, stimmt so nicht. Politische Meinungsbildung läuft nicht erst seit heute über Emotionen“, so der Medienanthropologe. Wie werden aber digitale Techniken eingesetzt, um bestimmte Emotionen zu erzeugen? „Ein Beispiel ist die vieldiskutierte Verbreitung von Fake-News über Social Media wie Facebook. Hier werden digitale Medien genutzt, um vermeintlich authentische Nachrichten zu verbreiten, die Erfahrungen von Wut und Angst oder auch Wir-Gefühle mobilisieren und dabei politisch meinungsbildend wirken können.“

Die Wissenschaftler des MeDia Lab untersuchen auch, welche Aushandlungsprozesse hier im Einzelnen stattfinden. „Es ist niemals so, dass digitale Medien etwas vorgeben, und Menschen es wie Roboter linear umsetzen, wie es von den Entwicklern gedacht worden ist.“ Menschen sind widerständig in der Aneignung. „Es ist ein permanenter Aushandlungsprozess, was die digitalen Medien vorgeben und wie Menschen damit umgehen“, erklärt der Wissenschaftler. So gibt Facebook nicht vor, wie wir uns fühlen sollen, aber das Verwenden der Emojis beeinflusst durchaus unser Verständnis von bestimmten Emotionen. „Wir wissen alle, dass es vielfältigere, komplexere und verwirrendere emotionale Erfahrungen gibt als Wut, Angst, Trauer und Lachen. Aber Emojis versuchen genau das vorzuzeichnen. Sie geben uns digitale Formen, anhand derer wir uns über unsere Emotionen austauschen können.“

Die Anzahl von „Loves“ und „Likes“ rückt in den Vordergrund

Aus ethnographischer Perspektive sind Emotionen nicht etwas, was einfach im Menschen vorhanden ist. „Wenn wir versuchen, durch unsere Symbole und Sprache Emotionen auszudrücken, dann ,tun’ wir diese Emotion und verändern sie dabei.“ Das heißt, wenn Facebook eine Sprache für Emotionen durch Emojis vorgibt, verändert sich, wie man überhaupt Emotionen ausdrücken kann. „Hierdurch erhalten digitale Medien wie Facebook, die viele Menschen im Alltag nutzen, eine große Prägekraft in Bezug darauf, wie wir überhaupt fühlen, wenn wir durch das Internet kommunizieren“, erklärt Bareither.

Über Emojis hinaus haben Emotionen auch eine spannende Entwicklung durch die neuen Medien in Bezug auf ihre Quantifizierung erhalten. Das „Wieviel“ und nicht nur die Qualität von Emotionen stehen nun oftmals im Vordergrund. Die Anzahl von „Loves“ und „Likes“ sind zentraler Bestandteil eines Ausdrucks von Emotionen, wobei ein qualitativer Unterschied in den Hintergrund rückt.

Diese Bedeutungsverschiebungen aufzuzeigen, ist Anliegen der Medienanthropologie. Insbesondere die akteurszentrierte Perspektive als Forschungsansatz erlaubt digitale Medien und Digitalisierung nicht als einen drohenden Prozess zu betrachten, der über die Menschen hereinbricht, sondern trägt dazu bei, die Drohung der Digitalisierung zu entmystifizieren. „Dieses Grundlagenwissen kann sehr wichtig sein für gesellschaftspolitische Debatten zum Thema Digitalisierung“, unterstreicht Bareither.

Der Artikel ist am 14.Oktober 2017 in einer Beilage der Humboldt-Universität zum Start des Wintersemesters 2017/2018 erschienen.

Stefanie Langner

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