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Im Visier der Mikrobenfahnder. Mikrobiologen und Seuchenexperten versuchen zu klären, woher der EHEC-Erreger stammt. Eine exakte „Typenbestimmung“ des Bakteriums im Labor ermöglicht die genaue Zuordnung zur Quelle des Keims - falls diese gefunden werden sollte.

© dpa

EHEC-Infektion: "Was haben Sie gegessen?"

Von Tür zu Tür: Wie Seuchenexperten versuchen, die Quelle der EHEC-Infektion ausfindig zu machen. Einen ersten Hinweis gibt es in Frankfurt am Main.

Beim ersten Mal war es McDonald’s. 1982 kam es erst in Oregon und ein paar Wochen später in Michigan zu einer Reihe ungewöhnlicher Erkrankungen. Insgesamt 47 Menschen klagten über Magenkrämpfe, sie litten zunächst an wässrigem, dann blutigem Durchfall. Experten der amerikanischen Seuchenbehörde CDC untersuchten die Fälle und fanden bei den Betroffenen eine Gemeinsamkeit: Sie hatten in den Tagen vor der Erkrankung bei McDonald’s Burger gegessen.

Das Fleisch war offensichtlich nicht richtig durchgebraten worden und so hatten sich die Fast-Food-Fans mit einem Krankheitskeim angesteckt. Als die Seuchenexperten den Erreger ausfindig machten, waren sie allerdings überrascht. Es handelte sich um ein bis dahin als völlig harmlos eingestuftes Bakterium, das auch den menschlichen Darm zu Abermillionen bevölkert: Escherichia coli.

Inzwischen wissen Forscher, dass es sich bei den Krankheitserregern um eine bestimmte Gruppe von E. colis handelt: Sie produzieren ein gefährliches Gift, das die Zellen der Darmwand abtötet. Die aggressiven Keime können den Darm so weit schädigen, dass es zu starkem blutigem Durchfall kommt. Enterohämorrhagisches E. coli (EHEC) tauften die Forscher deshalb den Krankheitskeim. Eine neue Seuche war geboren.

Seither hat es immer wieder EHEC-Ausbrüche gegeben: Im Sommer 1996 infizierten sich in Japan tausende Schulkinder mit EHEC, elf starben. Ursache waren frische Rettichsprossen, die die Kinder in der Schulkantine bekommen hatten. Im Dezember desselben Jahres infizierten sich im schottischen Wishaw hunderte bei einem Kirchenessen für Ältere, 20 starben. 2002 erkrankten in Bayern mindestens 40 Menschen, vier starben. Seuchenexperten wussten: Der nächste EHEC-Ausbruch kommt bestimmt.

Am Donnerstag vergangener Woche erhielt dann Klaus Stark, Arbeitsgruppenleiter für gastrointestinale Infektionen und Zoonosen am Robert-Koch-Institut, (RKI) eine beunruhigende Meldung: In Hamburg würden mehrere Patienten wegen eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) behandelt. Stark wusste, dass das Syndrom die gefährlichste Komplikation einer EHEC-Infektion ist. Bei ungefähr jedem zehnten Patienten verbreitet sich der Keim in der Blutbahn, zerstört rote Blutkörperchen und greift die Nieren an. Und er wusste, was die Folge sein konnte: Nierenversagen. Tod.

Zum Glück kommen HUS-Fälle nur selten vor. Im ganzen Jahr 2010 bekamen nur 65 EHEC-Patienten das Syndrom. „Wenn dann an einem Tag mehrere Leute in einer Stadt mit HUS eingeliefert werden, dann läuten natürlich die Alarmglocken“, sagt Stark. Noch am Donnerstag schickte er ein erstes Team von drei RKI-Mitarbeitern nach Hamburg - zur Unterstützung der Hamburger Gesundheitsbehörden und um Informationen zusammenzutragen sowie Patienten zu befragen.

Die richtige Entscheidung, wie sich schnell herausstellte. Innerhalb nur eines Wochenendes entwickelte sich die kleine Häufung von HUS-Fällen zu einem der größten EHEC-Ausbrüche, die jemals registriert wurde. „Wir nehmen an, dass wir in Deutschland mindestens 80 Menschen mit HUS haben“, sagt Stark. „In Hamburg haben sich an nur einem Tag 60 Menschen mit blutigem Durchfall im Krankenhaus gemeldet. Das ist dramatisch.“

Weil die Dialyseplätze alle belegt sind, müssen vereinzelt Patienten verlegt werden. Mindestens ein Patient ist bereits gestorben, weitere kämpfen ums Überleben. Inmitten der Aufregung, bombardiert von Zeitungs- und Fernsehanfragen, von Bitten um Radiointerviews, versucht nun eine Gruppe von Experten eine vermeintlich simple Frage zu beantworten: Woher kommt der Erreger? Oder genauer: Welchen Weg hat er genommen?

Denn letztlich kommen EHECs stets aus dem Darm von Wiederkäuern. Forscher wie Klaus Stark nennen ihn das Reservoir. Es speist die immer neuen Ausbrüche, auch den, der jetzt in Norddeutschland passiert. Warum sich die Keime in den Wiederkäuern halten können, ist nicht ganz klar. Sicher ist aber, dass die Tiere die Erreger im Kot ausscheiden. Von dort können sie dann mit dem Menschen in Kontakt kommen. Etwa durch das Streicheln von Tieren. Oder den Verzehr von Fleisch, das beim Schlachten, oder Milch, die beim Melken verunreinigt wurde. Oder durch Gemüse oder Obst, das beim Düngen mit dem Erreger in Kontakt kam. Oder durch kontaminiertes Trinkwasser. Die hartnäckigen Keime können sich über viele Wochen im Boden und im Wasser halten und sind hoch ansteckend. Weniger als 100 Keime reichen aus, um einen Menschen zu infizieren.

Um herauszufinden, welcher Weg in diesem Fall vom Darm des Tieres zum Patienten führte, begeben sich die Seuchenexperten auf Spurensuche. Sie fragen erkrankte und gesunde Menschen detailliert darüber aus, was sie gegessen haben. Die Logik ist simpel: Finde heraus, was die Kranken gegessen haben und die gesunden nicht, und du hast die Quelle.

Einen ersten Hinweis gibt es in Frankfurt am Main. Dort meldete das Gesundheitsamt, alle Erkrankten in der Stadt hätten in derselben Kantine der Unternehmensberatung PWC gegessen. Nun versuchen Experten herauszufinden, welche Lieferung an die Kantine den Erreger eingeschleppt haben könnte.

Gleichzeitig begann am Dienstag ein Team von fünfzehn Seuchenexperten in Hamburg Menschen zu befragen, die nicht erkrankt sind. Normalerweise würden Epidemiologen dafür im Melderegister nach Menschen suchen, die in Geschlecht, Alter und anderen Merkmalen den Kranken entsprechen. „Es bringt ja nichts, die Essgewohnheiten von kranken, jungen Frauen mit gesunden alten Männern zu vergleichen“, sagt Stark. Weil die Zeit drängt, werden die RKI-Experten einfach in den Wohngebieten in Hamburg von Tür zu Tür gehen, aus denen einige der Kranken stammen. Noch in der Nacht zum Mittwoch sollen die Ergebnisse dann in den Computer eingegeben werden. „Da wird eine Spätschicht eingelegt“, sagt Stark.

Er hofft, dass die statistische Auswertung dann schon am heutigen Mittwoch erste Ergebnisse liefert. „Wenn das ein eindeutiges Signal ist, wenn wir zum Beispiel feststellen, dass 90 Prozent der Kranken etwas Bestimmtes gegessen haben, aber nur zehn Prozent der Gesunden, dann können wir uns ziemlich sicher sein, die Ursache gefunden zu haben“, sagt er. In der Vergangenheit war das in Deutschland aber häufig nicht der Fall, die genaue Quelle einer EHEC-Epidemie blieb meist im Dunkeln.

Eine zweite Untersuchungsrichtung, bei der die Forscher den Keimen direkt nachspüren, könnte am Ende entscheidend sein. Im Nationalen Referenzlabor für EHEC-Infektionen in Wernigerode werden die Stuhlproben zahlloser Verdachtsfälle untersucht. Dabei wird nicht nur festgestellt, ob es sich um EHEC handelt, sondern auch um welchen genauen Typ des Erregers. „Es sieht im Moment danach aus, als sei ein EHEC vom TYP O104 Ursache der Erkrankungen“, sagt Stark. Dieser Typ gehört nicht zur „Fünferbande“, die üblicherweise in Europa Erkrankungen verursacht. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Sollte der Stamm in einer vermuteten Quelle nachgewiesen werden, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Quelle der Infektion gefunden ist.

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