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Karl Dietrich Bracher. Der Politikwissenschaftler wird am Dienstag 90 Jahre alt.

© picture alliance / dpa

Karl Dietrich Bracher zum 90. Geburtstag: Ein idealer politischer Professor

Die Politikwissenschaft in Deutschland ist herausgewachsen aus der Nachkriegszeit. Von daher charakterisiert sie die enge Durchdringung von Zeitgeschichte und Demokratiewissenschaft - was auch den großen Karl Dietrich Bracher kennzeichnet.

Bracher wurde als eine der Säulen des Fachs einer der großen intellektuellen Köpfe der alten Bundesrepublik. Denn mit seinen Büchern, Aufsätzen und der Wirkung, die er in bald dreißig Jahren Lehrtätigkeit an der Bonner Universität entfaltete, bildete er so etwas wie den Idealtypus des politischen Professors, dessen Einfluss auf die Entwicklung des öffentlichen Bewusstseins gar nicht zu überschätzen ist. Klar in den Grundsätzen, überzeugend in seiner Diktion, meißelte er mit an dem Konsensus, der sich in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik herausbildete.

Die Biographie hat dem gebürtigen Stuttgarter aus bildungsbürgerlicher Familie die nötigen und zeitgemäßen Ingredienzien mitgegeben: Schulzeit am berühmten Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, Kriegsdienst, amerikanische Gefangenschaft, Studium in Tübingen und ein amerikanisches Studienjahr. Ein Kind also der historischen deutschen Konvulsionen und der neuen Erweckung zur Demokratie, legte er 1955 mit seiner Habilitationsschrift über die „Auflösung der Weimarer Republik“ – entstanden übrigens in Berlin, in dem fruchtbaren Klima der jungen Freien Universität – einen Eckstein für die Beschäftigung mit der jüngsten der Vergangenheit und die Öffnung zur Demokratie. Nicht zu aller Freude: An den Vorbehalten, die dem Buch entgegenschlugen, kann man ablesen, dass sich die Bundesrepublik damals noch in einer Phase ihrer Geschichte befand, in der Traditionalismus und neue Ansätze heftig im Streit lagen.

Damals galt Bracher vielen eher als links, später, zumal nach der 68er Rebellion, wenn schon nicht als konservativ so doch als etwas altmodisch. Geändert hat er sich nicht: Grundlegend für sein Denken und Schreiben blieb die Kritik des Totalitarismus, dem des Dritten Reiches wie des Kommunismus, und die Auseinandersetzung mit dem ideologischen Denken des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bracher hat diese Themen in einer kaum noch übersehbaren Zahl von Publikationen immer wieder durchdekliniert, sein Seminar zur Instanz der politischen Pädagogik gemacht und sich selbst unverdrossen und unermüdlich an der öffentlichen Debatte beteiligt, so unaufgeregt wie standfest. Seinen Begriff von der „postnationalen“ Staatlichkeit der Bundesrepublik, mit dem er in den achtziger Jahren Aufsehen erregte, hat er auch für den wieder begründeten deutschen Nationalstaat zu verteidigen verstanden: ein Praeceptor Germaniae, den humanes Format und intellektuelle Überzeugungskraft gleichermaßen auszeichnen. An diesem Dienstag wird Karl Dietrich Bracher neunzig Jahre alt.

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