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Wissen: Eine Frage der Ehre

Ute Frevert erklärt, wie die Sprache den Ersten Weltkrieg vorantrieb

„Die Umtriebe eines hasserfüllten Gegners zwingen mich, zur Wahrung der Ehre Meiner Monarchie, zum Schutze ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres Berufsstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwerte zu greifen.“ Mit diesen Zeilen kündigte der österreichische Kaiser Franz Josef am 28. Juli 1914 den Beginn des Ersten Weltkrieges an. Der Erklärung vorausgegangen waren wochenlange hektische Verhandlungen der europäischen Großmächte.

Nach dem Attentat auf das habsburgische Kronprinzenpaar in Sarajevo am 29. Juni warb der deutsche Kaiser für Verständnis, dass Österreich-Ungarn diesen Angriff auf die „Ehre des Vaterlandes“ nicht unbeantwortet lassen könne, ohne dass die Feinde dies als ein „Zeichen der Schwäche“ ansehen würden. Von Serbien wurde „Genugtuung, Satisfaktion“ gefordert, was man dort und bei den Verbündeten Frankreich, England und Russland wiederum als „Schande“ und „Demütigung“ ansah, die man in keinem Falle hinnehmen dürfe.

Hohe Ehrbegriffe bewegten Politiker, Publizisten und die öffentliche Meinung. Erst eskalierten die Worte, am Ende sprachen die Waffen. Dass die „Sprache der Ehre und die Rhetorik des Krieges“ mehr war als nur eine Drohgebärde, machte die Historikerin Ute Frevert, neue Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, jetzt in einem Vortrag beim Max-Planck-Forum Berlin in einer Gesprächsreihe über Sprache deutlich. Zwar sei die Geschichte des Ersten Weltkrieges hervorragend erforscht und dokumentiert, sagte Frevert in der Heilig- Geist-Kapelle der Humboldt-Uni. Welche Rolle allerdings die Sprache in Krisensituationen spielt, inwieweit die bloße Wortwahl eine Situation vorantreibt – dies ist ein neuer Ansatz in der Geschichtsforschung. Der „Geschichte der Gefühle“ ist der Forschungsbereich gewidmet, den Frevert an ihrem neuen Institut gründet

Ute Frevert lege „die Politikgeschichte auf die Couch“, sagte Tagesspiegel-Redakteurin und Moderatorin Amory Burchard und fragte, ob denn die Protagonisten der Macht ein Gefühl dafür gehabt hätten, dass sie Sprache zu kriegstreiberischen Zwecken instrumentalisierten. Nur bedingt, erklärte Ute Frevert, denn allen Beteiligten sei zwar bewusst gewesen, dass der drohende Krieg alle vorhergehenden an Grausamkeit auf unvorstellbare Weise übertreffen würde. Die Sprache der Ehre aber habe eine Eigendynamik entwickelt, in der es letztlich kein Zurück gab.

Klare Ehrvorstellungen gehörten zum „intellektuellen Gepäck“ der Kriegsgeneration, sie wurzelten tief in der gesellschaftlichen Tradition. Seit der Neuzeit pflegten die gesellschaftlichen Stände einen Ehrenkodex. Das Duell stand im 19. Jahrhundert allerdings nur dem Adel als Mittel der Ehrenrettung zur Verfügung.

Dass der Tod am Ende doch realer ist als der Ruhm, war die Lehre, die man in Europa aus dem Desaster des Ersten Weltkrieges zog. Trotzdem gelang es den Nationalsozialisten, den Ehrbegriff erneut zu instrumentalisieren; sie traten an, die „Schande von Versailles“ zu vergelten. Die Vernichtungsfeldzüge aber wurden schon anders begründet: Sie dienten der „Eroberung von Lebensraum“ und dem „Kampf gegen den Bolschewismus“. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstummte die Rhetorik der Ehre – und ist bis heute nicht zurückgekehrt.

Ob es in Zukunft in modernen Gesellschaften, die ein tiefes Misstrauen gegen die Rhetorik des Krieges verinnerlicht haben, eine Renaissance des Ehrbegriffs geben könne – diese Frage ließ Frevert offen. Es sei zu hoffen, dass das Eintreten für die Ehre nie wieder eine Gewaltandrohung beinhalte, sondern mit Vertrauen, Freiheit und Demokratie assoziiert würde. Eva Maria Götz

Weitere Termine: „Kann Recht einfach sein?“, fragt Wolfgang Schön, Direktor am MPI für Geistiges Eigentum, am 22. 11. Über die „Sprache der Gene“ referiert Christina Brandt vom MPI für Wissenschaftsgeschichte am 6. 12. (Infos und Anmeldung im Internet: www.forum.mpg.de).

Eva Maria Götz

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