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Schnittstelle. Bürgermeister Michael Müller eröffnete das Einstein Center Digital Future mit dem Vorstandssprecher des Zentrums Odej Kao (Mitte).

© ECDF/Kay Herschelmann

Einstein Center Digital Future: Digitaler Blitzstart

50 Professoren erforschen künftig am neuen Berliner Einstein Center die Möglichkeiten der Digitalisierung.

Was am Montag feierlich eröffnet wurde, das begann vor ziemlich genau zwei Jahren mit einem Leitartikel im Tagesspiegel: 100 IT-Professuren hatte Sebastian Turner für Berlin gefordert, um die Metropole zur Hauptstadt der Digitalisierung zu machen. Der Tagesspiegel-Herausgeber rannte damit offene Türen ein. Nur wenige Monate später bildete sich der „Berliner Kreis zur Digitalisierung“, formulierte eine Zehn-Punkte-Agenda, und eines der Ergebnisse ist nun das Einstein Center Digital Future (ECDF) im Robert-Koch-Forum in Mitte.

„Die Zahl 100 war ein politischer Weckruf“, sagt Günter Stock, Vorstandsvorsitzender der Einstein Stiftung Berlin, die am ECDF und in Kooperation mit den vier Berliner Universitäten nun in Rekordzeit immerhin 50 der 100 Professuren schafft. Das Zentrum ist bis 2023 mit 38,5 Millionen Euro ausgestattet, die von der Stadt und den Universitäten stammen. Zwölf Millionen davon steuern über 20 interessierte Unternehmen im Public-Private-Partnership bei, darunter Intel, SAP, Telekom, Viessmann und die Bundesdruckerei. Sechs Millionen Euro kommen vom Land Berlin, mit 8,5 Millionen Euro finanzieren die beteiligten Universitäten die Berufungen der Forscher.

Simulierte Epilepsie, realitätsnahe Lebergefäße

Schon Monate vor der offiziellen Eröffnung sind die Forschungsprojekte längst im Gange, beispielsweise das „Virtuelle Gehirn“ Petra Ritters vom ECDF-Partner Charité: „Wir simulieren die Aktivität von Milliarden von Nervenzellen des Gehirns”, sagt die Leiterin des Projekts. Bisher gebe es keinen Computer auf der Welt, der die Interaktionen aller Nervenzellen des Gehirn gleichzeitig simulieren könnte. Deshalb abstrahiert Ritters Team und simuliert die Interaktionen von 50 000 Nervenzellknoten, etwa zwei Millionen Nervenzellen insgesamt. „Das reicht, denn wir brauchen das Gehirn nicht eins zu eins abzubilden, sondern müssen nur aussagekräftige und hilfreiche Vorhersagen für Patienten treffen”, sagt Ritter. Nützlich ist das zum Beispiel für Epilepsie-Patienten, für die das virtuelle Gehirn berechnen kann, wo im Gehirn der Startpunkt ihrer epileptischen Anfälle sitzt, von wo sich also die unkontrollierten Nervenimpulse über das gesamte Gehirn ausbreiten. „Erst dann ist eine gezielte Operation und Entfernung der kranken Region möglich.“ Immerhin 30 Prozent der Epilepsie-Patienten, die auf medikamentöse Therapien nicht ansprechen, könnte das helfen.

Das "Virtuelle Gehirn" soll anhand von Informationen über die Wechselwirkungen von wenigen Millionen Nervenzellen Aussagen über das gesamte Gehirn und seine über 100 Milliarden Neuronen machen.
Das "Virtuelle Gehirn" soll anhand von Informationen über die Wechselwirkungen von wenigen Millionen Nervenzellen Aussagen über das gesamte Gehirn und seine über 100 Milliarden Neuronen machen.

© Petra Ritter/Charité

Einen ähnlichen Ansatz, Mixed Reality genannt, verfolgt ein Projekt der Charité. Dem Chirurgen wird ein virtuelles, dreidimensionales Bild des Gefäßsystems der Leber eines Krebspatienten über eine Virtual Reality-Brille projiziert, „um kleine Tumoren zu operieren, die jenseits dessen sind, was ein Chirurg noch sehen und behandeln kann“, sagt Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité. Bislang wird das Bild noch außerhalb des Patientenkörpers projiziert, doch bald soll der Chirurg das Computerbild auf der lebenden Leber sehen, so dass er immer genau weiß, wo sich der zu beseitigende kleine Tumor befindet oder wo empfindliche Blutgefäße sitzen.

Big Data, aber Open Source

Der Code des Virtual Brains ist öffentlich zugänglich: „Open Source ist ganz wichtig“, betont Ritter. „Das ermöglicht Zusammenarbeit und nur so können wir die Qualität von verschiedenen Simulationen auch vergleichen, was für die Anwendungen am Patienten entscheidend ist.“

Der Open Source-Gedanke ist dem ECDF ohnehin wichtig. So soll es nicht nur „Long Table Discussions“ von Experten und Forschungsprofis geben, sondern auch Open Labs, Civic Labs und Hackathons, in die auch nichtiuniversitäre Organisationen eingebunden sind und so an Entwicklungen beteiligt werden. Auf der Ausstellung anlässlich der Eröffnung waren daher nicht nur virtuelle Organe zu sehen, die Chirurgen das Operieren erleichtern sollen, sondern auch eine Handprothese des Berliner Fablab. „Wir arbeiten mit dem ECDF zusammen, um den Bau einer greifenden Handprothese so weit zu vereinfachen, dass auch amputierte Patienten mit geringen finanziellen Mitteln sich so etwas selbst bauen können“, sagt Daniel Heltzel, der Managing Director des Fablab, einer offenen Entwicklungswerkstatt für Technologie-Begeisterte im Prenzlauer Berg.

Schwebende Leber. „Mixed Reality“-Bilder von Organen sollen Chirurgen bei Krebsoperationen unterstützen.
Schwebende Leber. „Mixed Reality“-Bilder von Organen sollen Chirurgen bei Krebsoperationen unterstützen.

© Jörg Carstensen/dpa

Datensicherheit muss Grenzen haben

Auch mit Datensicherheit wird sich das ECDF intensiv beschäftigen. „Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben, das ist klar“, sagt Charité-Chef Einhäupl. „Was wir brauchen, ist eine vernünftige Balance zwischen dem Anspruch an Datensicherheit und der Möglichkeit, im Rahmen gesetzlicher Bedingungen Forschung zu machen.” Man stoße viel zu schnell an die Grenzen der Datensicherheit. „Ein Gesunder kann leicht auf Datensicherheit pochen, aber wer krank ist, hat durchaus ein Interesse daran, dass die Ärzte die nötigen Informationen schnell austauschen können.“

Kaum eröffnet, steht am ECDF schon 2018 die erste Evaluierung an. „Ob wir zu dem geplanten Zeitpunkt schon die Begutachtung machen sollten oder nicht, wird in den nächsten Monate entschieden“, sagt Stock. „Wir würden gerne erst ein paar weitere Professuren einrichten.“ Bislang sind von den geplanten 50 Junior- und Gastprofessuren 32 öffentlich ausgeschrieben und erst vier besetzt. Mangel an Bewerbungen gibt es zwar nicht – über 300 aus 70 Ländern seien es mittlerweile. „Berufungsverfahren durch die Universitäten haben nun mal ihre Gesetzmäßigkeiten“, sagt Stock.

Forschung jenseits von Legislaturperioden

Zum einen wird also 2018 noch nicht viel zu evaluieren sein, zum anderen sind angesichts der vielen verschiedenen Forschungsrichtungen, die im ECDF zusammen kommen, die passenden Qualitätskriterien für die Arbeit erst noch zu definieren. „Es war schon bei der Erstbegutachtung eine Schwierigkeit, dass wir zwar die Forschungsthemen hatten, aber erst mit Leben füllen mussten, was im Center passieren soll“, sagt Stock

„Wissenschaft spielt sich nicht im Zeitraum von Legislaturperioden ab“, sagt Einhäupl. „Wir können in fünf Jahren sicher noch nicht sagen, ob das ECDF ein Erfolg war.“ Wenn man dann aber 50 Top-Wissenschaftler nach Berlin gelockt hat, dann sei das mehr wert als wenn man ein paar mehr Fachveröffentlichungen zählen könne, mit denen in der Forschung für gewöhnlich Erfolg gemessen wird.

Wann auch immer das ECDF evaluiert wird, vom Ergebnis wird abhängen, ob das Ziel der 100 IT-Professoren erreicht werden kann. Der Regierende Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) bezeichnete das in seiner Eröffnungs-Laudatio als ein „sehr sportliches Ziel“. Stock hält die ECDF-Gründung für eine überfällig „Einsicht in das, was nötig ist“ – Investitionen in die Grundlagenforschung zur Digitalisierung. Dass Berlin die Kraft gehabt habe, in dieser kurzen Zeit so etwas auf die Beine zu stellen, mache Mut.

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