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Einstein-Stiftung: „Die Leute wollen Cola classic“

Altphilologe Glenn Most erklärt, was uns die Antike heute sagt – und was er von der Einstein-Stiftung hält. Dort spricht Most am 9. November gemeinsam mit rund 30 internationalen Forschern bei der "Falling Walls"-Konferenz über künftige wissenschaftliche Durchbrüche.

Mr. Most, wo waren Sie am 9. November 1989?

Ich war in Innsbruck, wo ich zu der Zeit Professor war. Bis zum Sommer hatte ich ein wunderbares Jahr in Berlin verbracht, am Wissenschaftskolleg. Als ich wegging, habe ich allen gesagt, dass die Mauer fallen würde – aber sicher erst in 20 oder 30 Jahren. In Innsbruck saß ich nun wie gebannt vor dem Radio und lauschte heulend den Berichten aus Berlin.

An diesem 9. November sprechen Sie in Berlin bei der „Falling Walls“-Konferenz der Einstein-Stiftung, die führende Wissenschaftler aus aller Welt eingeladen hat, über bevorstehende Durchbrüche in ihren Forschungsgebieten zu berichten. Als Altphilologe wollen Sie „die Mauer um das antike Griechenland durchbrechen“. Wie verstehen Sie die Konferenz-Idee der Einstein-Stiftung?

Es ist eine wunderbare Idee, eines wirklich historischen Ereignisses zu gedenken, indem man nach vorne schaut und fragt, welche anderen Mauern fallen könnten. Ich ergreife dankbar die Gelegenheit zu überlegen, welche wissenschaftlichen Mauern und Grenzen in den nächsten Jahren in meinem Fach durchbrochen werden könnten.

Sie sind einer der wenigen Geisteswissenschaftler bei der Einstein-Konferenz. In der öffentlichen Meinung werden wissenschaftliche Durchbrüche tatsächlich eher in den Natur- und Technikwissenschaften erwartet. Teilen Sie diese Sicht?

Selbstverständlich nicht. Es gehört zur Wissenschaftskultur in Europa, dass die Naturwissenschaften den Löwenanteil an Subventionen und an politischer Unterstützung genießen. Viele Menschen meinen, die Probleme ihres tagtäglichen Lebens mithilfe der Technik und der Naturwissenschaften in der Zukunft besser bewältigen zu können. Allerdings sind viele dieser Probleme direkt aus der Technik gekommen. Zudem können uns die Naturwissenschaften keine Warum-Fragen beantworten, sondern nur Wie-Fragen. Ein Naturwissenschaftler kann uns sagen, wie wir uns verhalten müssen, um etwa länger zu leben. Aber er kann nicht sagen, warum wir länger leben sollen. Nur die Geisteswissenschaftler haben die Aufgabe in der Gesellschaft, über Warum-Fragen nachzudenken.

Sie selber sprechen über ein neues Bild der Klassik im 21. Jahrhundert. Stimmt etwas nicht vom Bild der Antike als Europas Geschichte?

Gerade die Rolle der griechisch-römischen Antike zur Identitätsstiftung von Europa hat den Griechen und den Römern in den letzten Jahrhunderten eine ungeheure Bedeutung verliehen. Das hat aber zu Einseitigkeiten und zu Verzerrungen der historischen Wirklichkeit geführt und zu einer Art Kurzsichtigkeit in Bezug auf andere Kulturen. Ich werde darüber sprechen, wie man die Mauer um das klassische Griechenland abbauen könnte, um Europa über die Griechen besser ins Gespräch mit anderen Kulturen zu bringen.

Schlagen Sie vor, dass wir die Quellen unserer westlichen Kultur neu interpretieren, um der Vielfalt der Kulturen in einer globalisierten Welt gerecht zu werden?

Die Annahme, die Wurzeln der europäischen Kultur seien rein europäisch, ist immer falsch gewesen. Die alte Einsicht, dass zu unserer kulturellen Identität nicht nur Griechen und Römer, sondern auch Ägypter, Juden, Araber, Perser, Assyrer oder Hethiter einen sehr wichtigen Beitrag geleistet haben, wurde im letzten Jahrhundert verdrängt. Aber sie ist schon in den letzten Jahrzehnten wiederbelebt worden.

Was ist dann das Neue an Ihrem Ansatz? Was sollen Altphilologen in Zukunft anders machen, um mit anderen Kulturen ins Gespräch zu kommen?

Gemeinsam mit anderen klassischen Philologen habe ich mein Leben lang versucht, zu einem besseren Verständnis der europäischen klassischen Tradition zu kommen – vom Nachleben der klassischen Antike. Die Fortschritte, die wir alle gemacht haben, sind aber nur dann sinnvoll, wenn wir über die Grenzen der europäischen klassischen Tradition hinauskommen. Wir müssen sie mit anderen klassischen Traditionen, etwa der chinesischen, den indischen, der arabischen und der judäischen vergleichen. Ich träume von einem Institut, in dem man die Geschichte der klassischen Traditionen auf echt komparatistische Weise untersuchen könnte.

Für eine 15-jährige Schülerin eines neusprachlichen Berliner Gymnasiums bedeutet Antike „Männer in Togas und alte Tempel und Vasen“ – Bilder, die sie aus ihrem Geschichtsbuch kennt. Fehlt ihr ein wesentliches Bildungserlebnis?

Wenn Sie in meinem Land, in Amerika, fragen, was ist ein Klassiker, sagen die Leute: Das ist ein Auto aus den 50er Jahren. Viele Amerikaner haben eine sehr vage Vorstellung von Klassik. Aber in der Werbungssprache kommt das Wort klassisch immer wieder vor, um eine Marke zu zeigen. Coca Cola zum Beispiel findet die herkömmliche Cola langweilig und erfindet ständig neue Varianten. Doch die Leute wollen das Alte, sie wollen „Coca Cola classic“. Klassik ist das Alte, das nicht zu ersetzen ist.

Aber wie weckt man Interesse an der Kultur der Antike?

Die Antike bringen wir Kindern nicht näher, indem wir sie zwingen, Griechisch oder Latein zu lernen. Wir müssen ihre Neugierde auf diese wunderbaren Geschichten und Gestalten aus der Antike wecken. Dann werden einige wenige irgendwann denken, wenn diese Griechen so toll sind, dann will ich auch Griechisch lernen, um sie besser zu verstehen. Ich hatte vor Jahren ein T-Shirt mit Cartoons der Reisen des Odysseus. Meine Tochter hat gefragt, wer ist dieser Riese mit nur einem Auge, was ist das mit den vielen Beinen? Ich habe ihr dann die Geschichten erzählt, und sie fand sie fantastisch.

Die Einstein-Konferenz versucht, mit 15-minütigen Vorträgen von Wissenschaftlern ein breites Publikum anzusprechen. Und der Eintritt kostet zwischen 150 Euro bis 2500 Euro, Stifter sind aufgerufen, 5000 Euro zu geben – ein Pilotprojekt für die künftige Sponsorenwerbung der Stiftung. Kann das funktionieren?

Die Veranstaltung wird ein langer Marsch sein, ich wünsche den Zuhörern Geduld, Interesse und gute Ohren. Die Sponsoringidee finde ich mutig, ist sehr amerikanisch. In den USA funktioniert das, weil es ein ganz anderes Steuersystem gibt als in Deutschland, und weil man daran gewöhnt ist, dass private Stifter unentbehrlich sind für Kultur- und Wissenschaftsorganisationen. In einer Zeit, in der sich der Staat immer mehr zurückzieht von seinen Bildungspflichten, ist es gut, wenn auch hier Sponsoren ermuntert werden, die Lücke zu füllen.

Gegründet wurde die Einstein-Stiftung, um eine gemeinsame Marke für die vielfältige Berliner Wissenschaftslandschaft zu schaffen. Nur so könne Berlin international attraktiver und wettbewerbsfähiger werden, erklärt der Wissenschaftssenator. Hat er recht?

Bisher ist die Berliner Wissenschaft auf wunderbare Weise gediehen, ohne einen Markennamen zu haben. Ob das auch für die Zukunft gilt, weiß ich nicht. Eine der wichtigsten Gründe für die Stärke der amerikanischen Wissenschaft ist jedoch, dass die vielen miteinander konkurrierenden Institutionen nie gebündelt worden sind. Alle Versuche in diese Richtung sind gescheitert. Wer in Deutschland die Kräfte bündeln will, möge das bedenken.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Glenn Warren Most (57) ist Professor für

Griechische Philologie an der Scuola Normale Superiore di Pisa (Italien) und an der University of Chicago (USA). Am 9. November spricht er in Berlin.

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