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Die Gedanken schweifen lassen. Kinder und Jugendliche sollen sich in den Ferien entspannen. Dazu kann gehören, auch mal später ins Bett zu gehen. Dann sollte man morgens aber länger schlafen.

© picture-alliance / ZB

Endlich Sommerferien: Große Pause ohne Schulstress

Die Sommerferien beginnen in Berlin, bald ziehen andere Bundesländer nach. Viele Schülerinnen und Schüler fühlen sich gestresst. Sie - und auch ihre Eltern - sollen sich in den Ferien am besten entspannen, raten Forscher.

Was ist das Schönste an den Ferien? Zitat aus einem Schüleraufsatz: „Wenn man arbeitet oder in die Schule muss, folgt auf jedes Wochenende immer wieder ein Montag. In den Ferien gibt es das nicht.“ Auch wenn er sachlich angreifbar ist, dürfte dieser Stoßseufzer Kindern und Erwachsenen aus der Seele sprechen. „Ferien sind die längste Pause, die Schüler haben. Und Pausen sind für die kindliche Entwicklung extrem wichtig“, sagt die Wiener Pädagogin und Psychotherapeutin Ingeborg Saval, Autorin des gerade erschienenen Buchs „Planet Schule. Gemeinsam unbeschwert den Schulalltag meistern“ (Thieme Trias 2015).

Die Schulsachen vom Schreibtisch verbannen

Die ehemalige Grundschullehrerin plädiert dafür, die Schulsachen jetzt zunächst einmal vom Schreibtisch des Kindes zu verbannen – und in den ersten Wochen auch nicht über Schulprobleme zu sprechen. Aber droht unter diesen Umständen nicht das berühmte „Sommervergessen“ des mühsam angeeigneten Lernstoffs, von dem der Neurowissenschaftler Harris Cooper von der Duke University und sein Team im Jahr 1996 erstmals berichteten? Sie fanden solche ferienbedingten Lern-Rückschritte vor allem in Mathematik, vor allem in höheren Klassen und vor allem bei Schülern aus sozial benachteiligten Familien. Die empirische Untersuchung fand allerdings in Schuldistrikten der USA statt, in denen die Sommerferien bis zu drei Monate dauerten. Und trotz dieser langen Lernpause wurde der Stoff im neuen Schuljahr relativ rasch wieder aufgeholt.

Wer für eine Nachprüfung lernen muss, soll trotzdem erstmal pausieren

In 55 Prozent der deutschen Familien wird laut einer aktuellen Umfrage der Lernplattform Scoyo in den großen Ferien aber ohnehin für die Schule gelernt. Steht eine Nachprüfung bevor, dann geht es oft nicht anders. Saval empfiehlt allerdings, nicht gleich mit dem Büffeln zu beginnen. Damit Freizeit und Familienleben nicht dauerhaft mit dem Lernen vermischt werden, könne es sinnvoll sein, dafür professionelle Hilfe zu suchen. Bei speziellen Teilleistungsschwächen wie Rechen- oder Leseschwäche bringe es mehr, mit gutem spielerischem Material täglich nur kurz zu üben – um zermürbenden Streit zu vermeiden und mehr Zeit für gemeinsame Unternehmungen zu gewinnen.

„Es ist falsch, die Ferien zur zweiten Schule zu machen“, mahnt auch Claudia Dalbert, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Halle. Schulferien seien Freizeit, und auf die habe jeder Mensch ein Anrecht, Kinder wie Erwachsene. „Ab und zu mit den Eltern etwas zu lernen ist gut, aber der Ernst sollte erst in der ersten Schulwoche wieder beginnen.“ Wissenslücken sollten prinzipiell in der Schulzeit geschlossen werden – „dazu ist die Schule schließlich da“.

Die Gedanken dürfen schweifen

Dalbert findet es zudem wichtig, dass Erwachsene Kinder in den Ferien nicht völlig mit Unternehmungen „verplanen“. Jüngere brauchten die Zeit zum Spielen, Ältere, um in Ruhe neue Interessensgebiete zu entdecken. Auch auf dem Bett zu liegen und die Gedanken schweifen zu lassen, sei in Ordnung.

Dass viele Heranwachsende dafür heute während des Schuljahrs zu wenig Zeit haben, zeigen Ergebnisse einer repräsentativen Studie, für die der Erziehungswissenschaftler Hilger Ziegler von der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung 1100 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren und fast ebenso viele Eltern befragte (wir berichteten). Jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche fühlt sich demnach stark gestresst, vor allem durch Anforderungen, die die Eltern stellen. Fast 40 Prozent der Zwölf- bis 16-Jährigen haben in der Woche drei oder mehr regelmäßige Termine nach der Schule. Und die letzte WHO-Studie zur Gesundheit von Schülern („Health Behaviour in School-aged Children“) zeigte: Ein Viertel der Jugendlichen fühlt sich durch die Schule sehr stark belastet.

Wer um jedes Zehntel seines Abischnitts kämpft, kann zum "Burnout-Kid" werden

Haben die Heranwachsenden heute zu viel um die Ohren? Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, hat nach eigener Aussage lange gezögert, sich in die Debatte um die Überforderung der Kinder einzumischen. Schon weil er findet, „dass die reflexhafte Zuschreibung der Schuld an die Eltern oder an die Schule hier zu kurz griff“. Nun hat er doch ein Buch mit einem knackigen Titel dazu geschrieben: „Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert“ (Pattloch-Verlag 2015). Der Kinder- und Jugendpsychiater hat in den letzten Jahren in seiner Ambulanz immer mehr Kinder gesehen, denen er die Diagnose „Erschöpfungs-Depression“ stellen musste. Patientinnen wie die 16-Jährige, die sich in der elften Klasse aus Angst vor einem Abi-Durchschnitt über 1,5, der ihr die freie Studienwahl vermasseln würde, keine Pause, keine Party und schon gar keinen Freund gönnte, und die schließlich nachts nicht mehr schlafen konnte. Die besorgten Eltern hatten vergeblich versucht, ihr den Stress zu nehmen.

Im "Strudel der Anstrengung"

Der erfahrene Kinder- und Jugendpsychiater erlebt heute „reflexiv gewordene“ Kinder, die es gewohnt sind, in die Entscheidungen der Eltern einbezogen zu werden und die ihre Schwierigkeiten gut selbst artikulieren können. Den harmonisch-freundlichen Umgangston, der in vielen Familien herrscht, empfindet er als Wohltat. Doch treibt ihn die Sorge um, „warum in dieser verbesserten Welt immer mehr Kinder unter dem Druck zusammenbrechen, den sie selbst sich machen, um den Ansprüchen, unartikuliert oder nicht, ihrer Umwelt zu gehorchen“. Anders als vor zwanzig Jahren erlebt er heute Kinder, die die Schule zu ernst nehmen und die von Versagensängsten geplagt werden. Ändern könne sich an diesem „Strudel der Anstrengung“ nur etwas, wenn die Gesellschaft insgesamt zu einer anderen Gewichtung komme. Der Urlaub könne immerhin für Familien eine „Insel der Gemeinsamkeit“ bilden.

Erholsamer Schlaf zählt

Auf jeden Fall solle man schon jüngere Kinder an der Urlaubsplanung beteiligen und ihnen ein echtes Mitspracherecht einräumen, sagt Psychologin Dalbert. Eine Studie zum Familienurlaub, für die das Marktforschungsinstitut IDM im letzten Jahr – passenderweise im Auftrag des Ferienwohnungs-Portals „FeWo direkt“ – Mütter von Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren befragte, ergab, dass 80 Prozent der Eltern das heute tun. Und fast alle gaben an, bei der Planung die Interessen der Kinder im Blick zu haben.

Erholsamer Schlaf liegt auf jeden Fall in ihrem Interesse. Gerade hat die vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung koordinierte FLUX-Studie belegt, dass Grundschüler zwischen acht und elf Jahren spielerische Denkaufgaben besser lösen, wenn sie ausgeschlafen sind und sich gut ausgeruht fühlen. Einen Gutteil der kognitiven Schwankungen, die die Forscher fanden, konnten sie auf das Schlafverhalten der Kinder zurückführen. Projektleiter Florian Schmiedek sieht darin einen Beleg dafür, dass generell „gleichmäßige Schlafroutinen“ für Kinder wichtig sind.

"Früh immer spät aufstehen"

In den Ferien dürfe sich der Tageslauf aber durchaus etwas nach hinten verschieben. „Die Kinder müssen dann ja nicht gleich um acht Uhr morgens anspruchsvolle Aufgaben lösen.“ Für die ganze Familie gehe es im Urlaub stattdessen darum, eine Balance der Wünsche und Interessen zu finden. „Wir wissen aus unseren Studien, dass die Schlafqualität auch für die Stimmung eine entscheidende Rolle spielt. Gemeinsame Ferien können Eltern gut dazu nutzen, zu beobachten, wie die Rahmenbedingungen sein müssen, damit ihr Kind konzentriert und bei guter Laune ist.“

Für viele Kinder und Erwachsene ist es das lange Aufbleiben und das Faulenzen im Bett, das zum entspannten „Feriengefühl“ beiträgt. Ein Schüler bringt es in seinem Aufsatz auf den Punkt: „Das Schönste an den Ferien ist, dass ich früh immer spät aufstehen kann.“

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