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Entwicklungsbiologie: Das Gen, das aus Muttermilch Gehirnfutter macht

Nicht alle Kinder können die wertvollen Stoffe der Muttermilch nutzen.

Leistet Stillen der Entwicklung des Gehirns Vorschub und fördert es die Intelligenz? Nur wenn dass Kind eine Variante eines Gens trägt, aufgrund derer es die wertvollen Stoffe, die in der Muttermilch enthalten sind, auch nutzen kann, sagen Wissenschaftler. Die Ergebnisse tragen zu der Debatte "Natur versus Erziehung" über Intelligenz bei, indem sie aufzeigen, wie die beiden Größen interagieren. Die Frage, ob Menschen intelligent geboren oder durch Einflüsse ihrer Umgebung gemacht werden, wird seit Jahrzehnten debattiert. Forschung mit eineiigen Zwillingen, die nach der Geburt getrennt wurden, hat gezeigt, dass sowohl genetische wie auch Bedingungen der Erziehung die Intelligenz entscheidend beeinflussen. Ein wichtiger Einflussfaktor scheint das Stillen zu sein. Kinder, die gestillt wurden, schneiden bei IQ-Tests im Allgemeinen besser ab als Kinder, die mit anderen Arten von Milch ernährt wurden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bestimmte Fettsäuren, die sich in der Muttermilch, nicht aber in Kuhmilch oder Babynahrung finden, die Entwicklung des Gehirns unterstützen. Avshalom Caspi und Terrie Moffitt, Psychologen am King'sCollege in London, und ihre Kollegen betrachteten die Beziehung zwischen Stillen und Intelligenz, um die Möglichkeit zu untersuchen, dass in diesem Fall Natur und Erziehung in einem engen Zusammenhang stehen. Das Team suchte zunächst nach Genen, die für die Metabolisierung von Fettsäuren verantwortlich sind, die wiederum wichtig für das Wachstum von Neuronen sind. Unterschiede in diesen Genen, so ihre Hypothese, könnten die intellektuellen Vorteile, die mit dem Stillen einhergehen, beschränken. Sie durchsuchten die Literatur und Gendatenbanken und fanden einen geeigneten Kandidaten: ein Gen mit der Bezeichnung FADS2.

IQ-Tests

Das Team untersuchte 1.000 neuseeländische Kinder, die 1972 geboren sind und deren IQ im Alter von 7,9,11 und 13 Jahren getestet wurde; es wurden Aufzeichnungen darüber geführt, welche der Kinder gestillt worden waren. Die Studie wurde mit 2.200 Kindern in Großbritannien wiederholt, die 1994/95 geboren sind und deren IQ im Alter von 5 Jahren getestet wurde. Mittels DNA-Tests wurde ein bestimmter Spot auf ihrem FADS2-Gen untersucht, um zu sehen, welches Allel sie tragen. Bei den Kindern, die das Allel C trugen, lag bei denjenigen, die gestillt worden waren der IQ im Allgemeinen höher als bei denjenigen, die nicht gestillt worden waren: im Durchschnitt 6,4 IQ-Punkte in der neuseeländischen Studie und 7 Punkte in der britischen. Im Gegensatz dazu hatten Kinder, die das GG-Allel trugen, nahezu denselben IQ, unabhängig von ihrer Ernährungsweise. Es wird angenommen, dass etwa 10 Prozent der Bevölkerung dieses Allel trägt. "Wir hatten eine sehr sichere Hypothese, aber auch die hätte sich leicht als falsch erweisen können, daher waren wir sehr zufrieden, dass die neuseeländischen Daten dazu passten und wirklich erleichtert, als sie in Großbritannien bestätigt wurde", sagt Moffitt. Das Team veröffentlichte seine Ergebnisse in Proceedings of the National Acadamy of Sciences (1). Wie und warum dieser genetische Unterschied entstand, ist unklar. "Es scheint beinahe so, als habe sich das G-Allel als schützender Genotyp für Kinder, die nicht ausreichend gestillt werden, entwickelt", sagt die Entwicklungspsychologin Linda Gottfredson von der University of Delaware in Newark.

Mutterliebe

Die Ergebnisse werden dazu beitragen, die Debatte darüber, ob Stillen die Intelligenz aufgrund der Qualität der Milch fördert, oder weil Mütter, die stillen, die Sorte Mütter sind, die ihre Kinder zum Lernen ermutigen, beruhigen. "Ich denke, diese Studie wird zu einer Einigung führen, oder die Debatte zumindest ihrem Ende näher bringen", sagt die Epidemiologin Jean Golding von der University of Bristol. Sie könnte gleichfalls als Richtlinie für Wissenschaftler dienen, die auf der Suche nach genetischen Faktoren sind, die weitere komplexe Entwicklungsfaktoren, wie die Größe, beeinflussen. Üblicherweise werden für solche Studien tausende Menschen untersucht, um unterschiedliche Allele zu finden, die mit dem Merkmal von Interesse assoziiert sind. "Diese Studie legt nahe, dass ein solches Vorgehen am Ziel vorbeigeht", sagt der Psychologe und Genetiker Matt McGue von der University of Minnesota in Twin Cities.

(1) Caspi, A. et al. Proc. Natl Acad. Sci. USA doi: 10.1073_pnas.0704292104 (2007).

Dieser Artikel wurde erstmals am 5.11.2007 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news2007.217. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Matt Kaplan

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