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Auf der Flucht. Naturkatastrophen – etwa die Flut in Pakistan in diesem August – können die Lebensgrundlage tausender Menschen zerstören. Viele, die das Ereignis körperlich unversehrt überstehen, leiden langfristig unter der psychischen Belastung. Foto: p-a/dpa

© picture alliance / dpa

Klimawandel und Gesundheit: Erreger kennen keine Grenzen

Auf dem Weltgesundheitsgipfel diskutierten Forscher über die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit.

Weltgesundheitsgipfel – das ist ein Konferenzname mit Anspruch. Im letzten Jahr, als der erste World Health Summit an der Charité in Berlin stattfand, monierten denn auch Kritiker bei einem „Gegengipfel“ von 20 Nichtregierungsorganisationen, die Probleme der armen Länder dieser Erde spielten bei der offiziellen Konferenz eine viel zu geringe Rolle. Vom diesjährigen zweiten Treffen, das heute zu Ende geht, kann man das nicht mehr behaupten. „Die Welt wächst vor allem in gesundheitlicher Hinsicht immer mehr zusammen“, sagte Peter Piot, Direktor der London School of Hygiene and Tropical Medicine. „Global ist nicht das Gegenteil von heimisch“, sagte auch Francis Collins, Direktor des National Institute of Health (NIH) der USA.

Infektionskrankheiten, die keine Ländergrenzen kennen, sind längst nicht mehr das einzige Beispiel. Inzwischen nehmen auch in den armen Ländern die nichtansteckenden chronischen Krankheiten zu, weil der westliche Lebensstil dort Nachahmer findet. Umgekehrt tragen gute Programme, die mit internationaler Hilfe auf die Beine gestellt wurden, erste Früchte.

„Erfolg ist möglich“, sagte Timothy Evans, Dekan der School of Public Health, die die Nichtregierungsorganisation „Brac“ in Bangladesch unterhält. Evans bezeichnete das asiatische Land als das „Epizentrum aller globalen gesundheitlichen Herausforderungen“. Dort ist die Kindersterblichkeit inzwischen deutlich zurückgegangen, auch die Lebenserwartung ist gestiegen. Als ein Erfolgsrezept nennt Evans eine Schulung der Mütter, die etwa lernen, wie ein Kind bei Durchfall vor Austrocknung geschützt werden kann. Damit trägt Bangladesch zum Erreichen des erklärten vierten Millenniumsziels der Vereinten Nationen bei, die Sterblichkeit der unter Fünfjährigen bis zum Jahr 2015 gegenüber 1990 weltweit um zwei Drittel zu reduzieren. Evans wünscht sich für die kommenden Jahre eine systematische Auswertung der vielfältigen Erfahrungen in diesem asiatischen Land. „Wir müssen jetzt mehr in Forschung investieren.“

Bei der Konferenz stand auch ein Thema auf dem Programm, das für Bangladesch besonders dramatische Auswirkungen haben und das Land trotz all dieser Fortschritte weit zurückwerfen könnte: der Klimawandel. „Es ist eine bittere Ironie und besonders unfair, dass der Klimawandel, der von den reichen Ländern im Norden verursacht wurde, die heißen Zonen dieser Erde noch heißer machen wird, während die Länder des Nordens wahrscheinlich von dem Wandel profitieren werden“, resümierte Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, in gewohnter Deutlichkeit.

Welche gesundheitlichen Folgen sind zu befürchten? Zunächst ist es, wie Andrew Haines von der London School of Hygiene and Tropical Medicine erklärte, besonders für ältere und kranke Menschen schwer, auf Dauer höhere Temperaturen zu ertragen. In gemäßigten Regionen könnte der Temperaturanstieg eine „Chance“ für Erreger wie die der Malaria und des Dengue-Fiebers sein, denn sie brauchen für ihre Übertragung Stechmücken.

Klimabezogene Erkrankungen geraten zunehmend in den Fokus der Wissenschaftler. Die Weltgesundheitsorganisation bearbeitet das Thema bereits seit Jahren. Auch die britische Medizinerzeitschrift „Lancet“ widmete den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels jüngst eine ganze Serie. Vor allem wenn die schlimmsten Szenarien Wirklichkeit werden und die globale Erwärmung in 100 bis 200 Jahren mehr als acht Grad Celsius betragen sollte, werden einige Regionen der Erde künftig nicht mehr bewohnbar sein, warnte Schellnhuber. Auch große Wanderungsbewegungen, wie sie dann zu erwarten sind, bergen aus medizinischer Sicht Gefahren. „Und wessen Staates Bürger werden die Menschen sein, deren Land untergegangen ist?“, fragte Schellnhuber.

Der Anstieg des Meeresspiegels könnte zudem dazu führen, dass Trinkwasser durch Salzwasser verdorben wird. Auf jeden Fall werden Anbauflächen verschwinden, was ebenfalls Einfluss auf die Gesundheit haben dürfte. Im Norden könnte die Erwärmung dagegen für die Landwirtschaft eher günstig sein, vermuten Experten. Höhere Temperaturen und – damit verbunden – insgesamt mehr Niederschläge lassen Pflanzen besser gedeihen. Aber größere Niederschlagsmengen bedeuten auch, dass die Wahrscheinlichkeit für Starkregen und Hochwasser steigt.

Flutkatastrophen wiederum ziehen nach den unmittelbaren Todesfällen auch ansteckende Krankheiten wie die Cholera nach sich, langfristig drohen nach dem Schock, den der Verlust der ganzen Existenz bedeutet, psychische Störungen. Haines stellte die Frage, ob das Jahr 2010 mit dem Feuerdesaster in Russland und der Flutkatastrophe in Pakistan, bei der 1600 Menschen starben und Millionen ihr Heim verloren, Vorboten der zu erwartenden Entwicklung erlebt habe.

Für die Weltgesundheit bestehe die größte Gefahr jetzt darin, die Risiken zu leugnen, mahnte Peter Piot. „Bisher ist die Diskussion noch nicht in der Medizin angekommen.“

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