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Hand aufs Herz. Wer einen Kreislaufstillstand erleidet, braucht sofort Hilfe. Eine kräftige Herzdruckmassage erhält den Blutfluss zu den Organen aufrecht – vor allem zum Gehirn. Das Beatmen ist nicht ganz so wichtig, das kann man den Profis überlassen.

© Imago

Erste Hilfe: Beherzter Leben retten

Jahrelang gültige Regeln werden umgestoßen: Laienhelfer sollen bei Kreislaufstillstand nicht mehr beatmen. Damit steigt die Überlebensrate.

Eben noch hat er die Stufen ganz locker genommen, doch auf der untersten von ihnen, ganz dicht vor dem bereitstehenden Taxi, bricht der Geschäftsmann plötzlich zusammen. Er ist bewusstlos, atmet allenfalls schnappend. Ein lebensgefährlicher Kreislaufstillstand. Doch der Mann hat Glück im Unglück: Er hat gerade ein großes Hotel verlassen, sofort ist ein couragierter Helfer zur Stelle, der einen livrierten Angestellten veranlasst, drinnen an der Rezeption den Notruf zu wählen. Und der sich selbst sogleich an die Wiederbelebung macht.

Zu sehen ist die kleine Szene auf der Homepage der American Heart Association (AHA). Gestern hat diese Fachgesellschaft, zeitgleich mit dem European Resuscitation Council (ERC) und dem International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR), eine aktualisierte Leitlinie veröffentlicht. Die spektakulärste Neuigkeit wird in dem kleinen Film schon in Szene gesetzt: Laien, die in einem solchen Fall Erste Hilfe leisten wollen, sollten sich nicht an die Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung machen, sondern sich allein auf die Herzdruckmassage konzentrieren. Die Experten haben damit ihre jahrelang gültige ABC-Regel umgestoßen, in der es noch hieß: Erst sicherstellen, dass die Atemwege frei sind (A wie Airway), dann Beatmen (Breathing), zuletzt Druckmassage (Compression). Die neue Regel lautet CAB – und um A und B, also alles rund ums Atmen, sollen sich möglichst schon wenige Minuten später die geschulten Helfer kümmern. Außerdem bleibt beim gefährlichen Kammerflimmern des Herzens der Defibrillator wichtig. Geräte, die auch von Laien bedient werden können, finden sich inzwischen in vielen öffentlichen Gebäuden.

Dietrich Andresen, Direktor der Klinik für Innere Medizin, Kardiologie und konservative Intensivmedizin in den Vivantes-Kliniken Am Urban und Im Friedrichshain, begrüßt die Vereinfachung der Leitlinien. Und das zunächst aus fachlichen Gründen: „Wenn ein Mensch aus heiterem Himmel umfällt, steckt meist ein Stillstand von Herz und Kreislauf dahinter. Dann kommt es darauf an, die Organe möglichst schnell wieder mit sauerstoffreichem Blut zu versorgen, allen voran das empfindliche Gehirn.“ Dass die Herzdruckmassage das effektivste Mittel ist, das Laien dazu in ihrer eigenen Hand haben, zeigen inzwischen mehrere Studien. Zuletzt zeigten Michael Hüpfl und seine Kollegen von der Medizinischen Universität Wien bei der zusammenfassenden Analyse von drei Studien mit 3700 Patienten mit Herzstillstand, dass es etwa ein Fünftel mehr Überlebende gab, wenn Laienhelfer angewiesen wurden, nach dem Notruf gleich mit der Herzdruckmassage zu beginnen und auf Beatmung zu verzichten. Die Studie wurde vergangene Woche online im Fachjournal „Lancet“ veröffentlicht.

Beim ERC geht man davon aus, dass in jedem Jahr in Europa 100 000 Menschenleben mehr als heute gerettet werden könnten, wenn allen Menschen mit einem Herzstillstand diese Form der Ersten Hilfe zuteil würde. Den Zahlen des ERC zufolge erhöht das die Überlebenschance um das Zwei- bis Dreifache. Heute werde jedoch nur etwa 20 Prozent der außerhalb einer Klinik davon Betroffen derart beherzt geholfen. Eine noch unveröffentlichte Untersuchung aus dem Urban-Krankenhaus bestätigt diese Zahlen. Zwar gibt es in 60 bis 70 Prozent der Fälle eines plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstands einen Augenzeugen, doch nur ein knappes Drittel von ihnen tut etwas. Oft liegt es daran, dass der Ernst der Lage nicht erkannt wird. „Man sieht die Schnappatmung, die aber eigentlich nur ein Reflex ist, und beruhigt sich dann damit, dass der Betroffene ja noch atme“, sagt Andresen.

Doch es gibt noch andere Gründe für die Untätigkeit, und die könnten wegfallen, wenn sich nun alle nach der neuen Leitlinie richten. Empfohlene Schemata für den Wechsel zwischen Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzdruckmassage kommen Laien oft viel zu kompliziert vor, man lernt sie vielleicht einmal, vergisst sie aber schnell wieder. „Dann steht man im Ernstfall auch als hilfsbereiter Mensch wie das Kaninchen vor der Schlange“, sagt Andresen. Dazu kommt die Angst, sich eine Krankheit einzufangen, wenn man als Passant einen Wildfremden so intim berührt wie bei der Mund-zu-Mund-Beatmung. Oft gibt es auch ein spontanes Ekelgefühl.

So verstreicht wertvolle Zeit, bis professionelle Helfer kommen. In Berlin ist das im Schnitt nach acht Minuten der Fall. Doch in jeder Minute, die das Gehirn ohne Sauerstoff bleibt, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent. 3500 Berliner sterben in jedem Jahr am plötzlichen Herztod. „Eine große Gruppe sind Männer Anfang bis Mitte 60, Menschen, die kurz zuvor noch mitten im Leben standen“, sagt Andresen. Und er fügt hinzu: „Was die Chance betrifft, einen plötzlichen Herzstillstand zu überleben, der einen außerhalb einer Klinik ereilt, hat sich in den letzten Jahrzehnten leider kaum etwas getan.“ Mit der konzertierten Aktion der weltweit geänderten Empfehlungen könnte sich das ändern.

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