zum Hauptinhalt

Wissen: Europas erste Bauern

Genetische Untersuchungen zeigen, dass sie aus dem Süden einwanderten

Die erste Revolution der Menschheitsgeschichte war wohl auch die bedeutendste. Vor etwa 11 000 Jahren wurde Homo sapiens sapiens plötzlich sesshaft. Aus den Jägern und Sammlern, die Tierherden hinterherzogen, wurden Bauern mit Kulturpflanzen und Haustieren. Archäologen sprechen von der „neolithischen Revolution“ – und die hatte weitreichende Konsequenzen. Die Zivilisation, von der Antike über die industrielle Revolution bis zur Mondlandung, sei nur einer sesshaften Menschheit möglich gewesen, glaubt Joachim Burger von der Universität Mainz. Als Nebenwirkungen hätten sich neue Krankheiten ausbreiten können, erstmals seien Besitztümer angehäuft und große Kriege geführt worden.

Vor allem befreite die Sesshaftigkeit den Menschen aber vom ständigen Umherziehen und machte sein Überleben unabhängig vom Jagderfolg. Kein Wunder also, dass die neue Lebensweise sich schnell verbreitete. Ihren Ursprung nahm die Revolution vermutlich in der Gegend des fruchtbaren Halbmonds, einer regenreichen Region im Nahen Osten. „Etwa 6500 vor Christus erreichte die Landwirtschaft den Südosten Europas, und breitete sich dann von Bulgarien und Griechenland nach Westen aus“, sagt Norbert Benecke vom Deutschen Archäologischen Institut. Wie genau, darüber streiten Forscher nach wie vor: Waren es die Bauern selbst, die nach Europa zogen, oder nur ihre Idee?

Anthropologen der Universität Mainz haben diese Frage nun mit genetischen Methoden zu beantworten versucht. Dafür analysierten sie das Erbgut aus Skeletten von 25 frühen Bauern und 20 Jägern und Sammlern. Aus den Knochen, die zwischen 15 000 und 4300 Jahre alt sind, isolierten sie den Teil des menschlichen Erbguts, der in den Mitochondrien, den „Kraftwerken der Zelle“, vorhanden ist und entzifferten dann ein kleines Stück daraus, von dem bekannt ist, dass es besonders viele Unterscheide zeigt.

Etwa 400 Buchstaben lang waren die Sequenzen. „Wir haben diese dann in ein Computerprogramm eingegeben, das die Sequenzen vergleicht und eine einzige Frage beantworten soll: Kann genetisch aus dieser Gruppe von Jägern und Sammlern diese andere Gruppe von Bauern entstanden sein?“, sagt Burger, der an der Untersuchung beteiligt war. Die Antwort war ein klares Nein. Die Unterschiede im Erbgut der beiden Gruppen seien zu groß, als dass sie direkt voneinander abstammen könnten, schreiben die Wissenschaftler online im Fachmagazin „Science“.

„Das hat uns überrascht“, sagt Burger. Vorher sei er davon ausgegangen, dass es sich bei der Ausbreitung der Landwirtschaft zumindest teilweise um eine kulturelle Übertragung gehandelt habe. „Aber jetzt müssen wir wirklich von einer großen Wanderung ausgehen, mit Sack und Pack.“ Das sei vorher eher unwahrscheinlich gewesen.

Kritiker weisen darauf hin, dass die genetische Untersuchung alter Knochen sehr anfällig sei für Verunreinigungen mit dem Erbgut anderer Menschen. Burger legt aber Wert darauf, dass äußerst sorgfältig gearbeitet wurde. So seien von fast 60 Knochenproben von Jägern und Sammlern am Ende nur 20 verwendet worden. In der Regel dringe verunreinigendes Erbgut außerdem nicht weiter als einen Millimeter in den Knochen ein. Deshalb seien die Skelette mit UV-Licht bestrahlt worden, das fremdes Erbgut an der Oberfläche zerstört. „Außerdem haben wir nur Knochenstücke verwendet, die einigermaßen dick sind, wie Oberschenkelknochen, oder einigermaßen geschützt, wie die Wurzel eines Zahns, der noch im Kiefer steckt.“

Mit ihrem Ergebnis stehen die Mainzer Forscher auch nicht alleine da. Erst vor wenigen Tagen hatte der Archäologe Ron Pinhasi von der Universität Cork in Irland ein ähnliches Ergebnis präsentiert. In einer Studie, die im Fachblatt „Plos One“ erschien, hatte er Schädel von frühen Bauern mit denen von Jägern und Sammlern verglichen – und war ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass die beiden Gruppen nicht miteinander verwandt seien.

Erstaunlich ist allerdings, dass auch die jetzige europäische Population nicht ganz ins Bild passen will. Denn die Mainzer Forscher haben auch das Erbgut von 484 lebenden Europäern untersucht und mit den uralten Spuren verglichen. Wie zu erwarten, waren die Unterschiede zwischen modernen Europäern und alten Jägern sehr groß. Aber auch gegenüber den Bauern zeigten sich zahlreiche Veränderungen.

Genetisch seien die heutigen Europäer nicht einfach eine Mischung aus den beiden Gruppen, sagt Burger. „Da kommt offenbar noch etwas Drittes hinzu, ein anderer Faktor, den wir bisher nicht kennen.“ Möglicherweise habe es später noch einmal eine Einwanderungswelle gegeben, die diese Unterschiede erklären könne.

Zunächst interessiert Burger aber, woher die ersten Bauern genau kamen. „Sie sind offenbar aus einer Gegend nördlich vom Balaton eingewandert“, sagt er. Darauf deute etwa die Keramik hin, die man bei ihnen finde. Unklar ist aber noch, ob auch die Vorfahren dieser Bauern vom Plattensee stammten und dort die sesshafte Lebensweise übernahmen, oder ob sie wiederum aus der Gegend des fruchtbaren Halbmonds, möglicherweise aus dem Süden Anatoliens, einwanderten. „Das ist genau die Frage, die wir als Nächstes beantworten wollen“, sagt Burger. Dazu benötigt er vor allem eines: Noch mehr alte Knochen.

 Kai Kupferschmidt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false