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Zwischenstopp. In einer Höhle im Norden Israels machten die womöglich ersten modernen Menschen auf dem Weg nach Europa Rast.

© M. Weinstein Evron/Uni Haifa

Evolution des Menschen: Die ersten Flüchtlinge aus Afrika

Knochenfunde in Israel beweisen: Der Mensch verließ vor etwa 180.000 Jahren seinen Heimatkontinent.

Viel ist nicht geblieben von diesem Menschen, der einst im Nahen Osten lebte: die linke Seite eines Oberkiefers samt Zähnen und einige Knochen. Diese scheinbar unspektakulären Überreste hatten der Archäologe Israel Hershkovitz von der Universität Tel Aviv und seine Kollegen in der Misliya-Höhle im Karmel-Gebirge im Norden Israels entdeckt. Die genaue Analyse, publiziert im Fachblatt „Science“, ergab nun allerdings, dass es sich dabei um die Spuren eines der ersten Auswanderer aus Afrika handeln könnte. Etwa 177.000 bis 194.000 Jahre lagen die Knochen in der Erde und sind damit viel älter als bisherige außerhalb Afrikas entdeckte Homo-sapiens-Fossilien.

Die Sahara als natürliche Barriere

„Das ist ein sehr interessanter Fund“, sagt Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Eva) in Leipzig. Ähnlich alte Menschenknochen hatten Forscher bisher nur südlich der Sahara in Äthiopien gefunden, mal 160.000 Jahre, mal 195.000 Jahre alt. Nach Süden stand diesen Menschen der Kontinent weit offen, während die trockene Sahara-Wüste den Weg nach Norden wohl blockierte. Frühmenschenforscher vermuten daher, dass die Wiege der Menschheit südlich der Sahara stand und dass unsere Vorfahren den Rest der Welt erst später erreichten.

Für diese Theorie spricht, dass die ältesten bisher entdeckten Überreste der modernen Menschen in Europa nicht viel älter als 40.000 Jahre sind. Allerdings trafen die Auswanderer damals nicht etwa auf eine menschenleere Welt, sondern begegneten manchmal anderen Menschen-Typen, den Neandertalern. Deren Vorfahren wiederum stammten ebenfalls aus den afrikanischen Regionen südlich der Sahara. Auch sie mussten irgendwann diesen Wüstengürtel überwunden haben. Allerdings passierte das wohl bereits vor mindestens 1,85 Millionen Jahren: Darauf deuten Funde von Neandertaler-Knochen im Süden des heutigen Georgien hin.

Zeitweise ergrünte die Wüste und ließ Tiere und Menschengruppen durch

Wie aber konnten Menschen die lebensfeindliche Sahara durchquert haben? Eine Erklärung kam Hublin bereits in den Sinn, als er noch als junger Frühmenschenforscher in Israel arbeitete und in rund 100.000 Jahre alten Erdschichten immer wieder versteinerte Überreste von Tieren fand, die ganz offensichtlich aus den südlich der Sahara gelegenen Regionen stammten. Zu dieser Zeit lebten auch moderne Menschen im Nahen Osten, die später wohl verschwanden und von Neandertalern ersetzt wurden. Diese verschwanden nach einigen Jahrtausenden ebenfalls wieder, an ihre Stelle traten wieder moderne Menschen. Diese Geschichte erinnert Hublin ein wenig an die Gezeiten mit Ebbe und Flut: Mal schwappt von Süden eine Welle moderner Menschen nach Norden, später trägt eine andere Welle die Neandertaler aus dem Norden in den Nahen Osten.

Die Schädel jener Menschen, von denen sich einige auf den Weg gen Europa und Asien machten, waren etwas langgezogener als heutige, legen Funde von Homo-sapiens- Schädelfragmenten nahe.
Die Schädel jener Menschen, von denen sich einige auf den Weg gen Europa und Asien machten, waren etwas langgezogener als heutige, legen Funde von Homo-sapiens- Schädelfragmenten nahe.

© REUTERS

Was aber treibt diese Wanderungswellen an? Einen wichtigen Hinweis liefern die Tiere aus den südlich der Sahara gelegenen Regionen, die vor hunderttausend Jahren im heutigen Israel auftauchten. Durch die heutige Wüste hätten sie es mangels Futter nie geschafft. War die Sahara also zu bestimmten Zeiten grün und lieferte wanderlustigen Tieren aus dem Süden genug zu fressen? Genau das war offensichtlich nicht nur vor 100.000, sondern auch vor rund 200.000 und 300.000 Jahren der Fall, sind Klimaforscher überzeugt. Jedes Mal war das Klima damals erheblich feuchter als heute und anstelle der trockenen Wüsten unserer Zeit erstreckte sich wohl eine Savannenlandschaft von der Atlantikküste im Norden Afrikas bis zur Arabischen Halbinsel.

Ähnlich wie heute in der Serengeti in Tansania könnten damals Tierherden durch diese grüne Landschaft gezogen sein, denen kleine Menschengruppen folgten, deren Ursprung viele Forscher ohnehin in den Savannen Afrikas vermuten. In der Pfingstwoche 2017 konnten Hublin und seine Kollegen diese Theorie mit dem Fund von Überresten sehr früher Vertreter der Art Homo sapiens bestätigen, die vor rund 300.000 Jahren im heutigen Marokko gelebt hatten.

Kein Ebenbild heutiger Menschen

„Diese Menschen müssen uns allerdings keineswegs bis aufs Haar geähnelt haben“, sagt Hublin. So hatten die Menschen am Jebel Irhoud in Marokko zwar ein ähnlich großes Gehirn wie Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts. Nur war ihr Schädel nicht rundlich, sondern langgestreckter. Genaue Analysen der Schädelform, die Hublins Team in dieser Woche in der Online-Fachzeitschrift „Science Advances“ vorstellt, zeigen, dass der menschliche Schädel seine heutige, rundliche Form erst im Zeitraum von vor 100.000 bis vor 35.000 Jahren entwickelt hat. Dadurch bekamen jene Gehirnregionen mehr Platz, die für den Menschen des 21. Jahrhunderts so wichtige Eigenschaften wie Orientierung, Aufmerksamkeit, Selbstwahrnehmung, das Arbeits- und Langzeitgedächtnis, Planen, Rechnen und das Verwenden von Werkzeugen maßgeblich beeinflussen. Das moderne Denken hat also wohl erst vor einigen zehntausend Jahren in die Schädel der modernen Menschen Einzug gehalten.

Überreste vom Schädel des jetzt in der Misliya-Höhle im Karmel-Gebirge gefundenen Menschen haben die Forscher bisher aber noch nicht gefunden. Die Zähne und andere Eigenschaften zeigen aber deutlich, dass diese Menschen nicht zu den Neandertalern gehörten. Sie weisen vielmehr auf eine weitere Gruppe von Homo-sapiens-Menschen hin, die vor rund 200.000 Jahren aus den Regionen südlich der Sahara nach Norden gewandert sein muss.

Spuren der Wanderung von H. sapiens sogar in Neandertalern zu finden

Diese Wanderungsbewegung lässt sich auch in den Genen nachvollziehen. Der Paläogenetiker Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und seine Kollegen haben die Spuren der Wanderungsbewegungen von Homo sapiens paradoxerweise sogar im Erbgut eines Neandertalers entdeckt, der vor etwa 100.000 Jahren auf der Schwäbischen Alb lebte. „Irgendwann vor 468.000 bis 219.000 Jahren müssen einem seiner Vorfahren sehr frühe moderne Menschen begegnet sein“, sagt Krause. Aus diesen Treffen sind dann Kinder geboren worden, die ihr gemischtes Erbgut an ihre Nachkommen weitergaben, zu denen viele Jahrtausende später auch der Neandertaler auf der Schwäbischen Alb gehörte.

Auch der Eva-Forscher Martin Kuhlwilm und seine Kollegen haben im Erbgut eines anderen Neandertalers, der vor rund 130.000 Jahren im Altai-Gebirge im Süden Sibiriens lebte, Spuren der Wanderungsbewegung von Homo sapiens entdeckt, die auf einen Exodus vor etwa 200.000 Jahren hindeuten. Aber es scheinen jeweils nur kleinere Gruppen, gewissermaßen Pioniere, aus Afrika heraus bis zu den Neandertalern vorgestoßen zu sein. Sie selbst verschwanden irgendwann wieder und die von ihnen im Erbgut der Neandertaler hinterlassenen Spuren verdünnten sich im Laufe der Zeit immer weiter. „Anders war es bei einer weiteren Welle der modernen Menschen, die sich wohl erst vor 45.000 bis 50.000 Jahren mit den Neandertalern mischten“, sagt Krause. Auch diese Menschengruppe war vorher wohl durch die ergrünte Sahara gewandert. Nur waren es dieses Mal so viele, dass nicht sie, sondern die Neandertaler verschwanden. Erst in dieser letzten Wanderungswelle setzten sich die Sippen von Homo sapiens also durch und wurden zu unser aller Vorfahren.

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