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Raub der Flammen. Während der vergangenen Tage haben in Russland mehr als 200.000 Hektar Land gebrannt. Eine außergewöhnliche Hitzewelle begünstigte die Feuer.

© dpa

Extremereignisse: Feuer und Fluten

Mit Ereignissen wie in Russland und Pakistan muss man künftig häufiger rechnen. Befördert die geringe Aktivität der Sonne diese Wetterextreme?

In Russland wüten hunderte Feuer, in Pakistan reißt Hochwasser den Menschen buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Auch in Mitteleuropa schießen kleine Flüsse über die Ufer und zerstören Häuser. Sind diese Extremereignisse binnen kurzer Zeit Zufall oder eine Folge des Klimawandels? Oder sind sie womöglich der geringen Sonnenaktivität geschuldet?

„Solche Ereignisse sind relativ selten, als klaren Beweis für den Klimawandel würde ich sie nicht bezeichnen“, sagt Stefan Hagemann vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Bei den Temperaturen zum Beispiel gebe es eine Fülle von Messwerten, ihr Anstieg sei statistisch klar belegt. Bei den raren Extremereignissen sei es viel schwieriger, zuverlässige Aussagen zu machen. Er bezeichnet die Katastrophen daher lieber als „Vorboten des Klimawandels“.

Dass beispielsweise Hochwasser künftig häufiger auftreten können, haben verschiedene Modellrechnungen gezeigt. „Je wärmer es wird, umso mehr Feuchtigkeit kann die Luft aufnehmen und später wieder abgeben“, erläutert der Physiker. Wobei die Niederschlagsmenge nicht gleichmäßig zunimmt, sondern es häufiger zu Starkregen kommt, wie es etwa vor einer Woche im Dreiländereck geschah. „Diesen Trend können wir gut sehen, aber eine konkrete Aussage, wie viele Extremregenfälle pro Grad Erwärmung zu erwarten sind, können wir noch nicht machen“, sagt er. Um solche lokalen Ereignisse abzubilden, sind die Raster der meisten Klimamodelle schlicht zu grob.

„Natürlich kann man ein Einzelereignis nicht in einen kausalen Zusammenhang mit dem Klimawandel stellen“, sagt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Aber die Chronik der letzten Jahre spreche eine deutliche Sprache: 2002 Jahrhundertflut der Elbe, 2003 extreme Hitze in Europa, 2005 stärkste Hurrikansaison seit Beginn der Aufzeichnungen, 2007 verheerende Brände in Griechenland, 2009 Rekordhitze in Australien. „Und jetzt die Dürre in Russland und die Fluten in Pakistan – dass das ein Zufall ist, ist sehr unwahrscheinlich“, sagt Rahmstorf. Er ist sich sicher, dass es eine Häufung von Extremereignissen gibt und dass sie auf die Erderwärmung zurückzuführen ist.

Michael Lockwood von der britischen Universität Reading glaubt, dass auch die geringe Aktivität der Sonne dahintersteckt, zumindest teilweise. Ausgangspunkt für die Überlegung ist eine „Blockadelage des Wetters“, wie sie derzeit über Europa und Asien herrscht.

Normalerweise fegt in sieben bis zwölf Kilometer Höhe ein starker Wind über die Nordhalbkugel. Immer von West nach Ost. Dieser „Jetstream“ genannte Luftstrom zwingt Fluggäste nach Amerika zu einem nördlichen Umweg über Grönland, kann jedoch die Heimreise um mehrere Stunden verkürzen, dank Rückenwind. Wie ein großer Fluss pendelt der Jetstream hin und her, etwas nach Norden, etwas nach Süden. Die „Flusskurven“ selbst wandern langsam nach Osten. Gelegentlich kommt es dazu, dass die Flusskurven immer steiler werden und stehen bleiben. „Blockierende Wetterlage“ nennen das die Meteorologen.

Die führt dazu, dass sich das Wetter in den darunter liegenden Regionen kaum ändert. In die nach Süden geöffneten Beulen des Jetstreams zum Beispiel strömt über Tage oder gar Wochen ständig heiße Luft. Das ist jetzt über Russland geschehen. Die Folge: Hitze, Dürre, Brände. Eine weitere Beule befindet sich über Sibirien und führt kühle Luft in Richtung Pakistan, wo sie starke Regenfälle auslöst.

Welche Vorgänge in der Atmosphäre zu einer Blockadelage führen, ist kaum erforscht. Möglicherweise liegt es an einer zu geringen Erwärmung der Stratosphäre, die wiederum eine Folge der derzeit geringen Sonnenaktivität ist. Das sagt zumindest Lockwoods Modell. Der Astrophysiker und sein Team haben Wetter- und Sonnendaten seit 1978 verglichen. „Blockadeereignisse über Europa und Asien sind um rund zehn Prozent häufiger, wenn die Stärke der Sonnenaktivität im untersten Drittel liegt“, sagt Lockwood.

Der Forscher hatte bereits im Frühjahr Diskussionen ausgelöst, als er die eisigen Temperaturen im europäischen Winter 2009/2010 teilweise mit dem schwächelnden Zentralgestirn und einer folgenden Blockade erklärte („Environmental Research Letters“, Band 5, Nr. 2). Im September will er im gleichen Journal eine Studie veröffentlichen, die auch die sommerliche Blockade berücksichtigt. Die alleinige Ursache sei die Sonne aber nicht, betont Lockwood. Denn Blockaden treten auch während erhöhter Sonnenaktivität auf, also muss es noch andere Gründe geben. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei den aktuellen Extremereignissen in Russland und Pakistan die Erderwärmung und die geringe Sonnenaktivität zusammengekommen sind“, sagt er. Den jeweiligen Anteil der beiden genau zu beziffern, sei aber nahezu unmöglich.

Stefan Rahmstorf ist skeptisch. Ob Lockwoods Begründung für die aktuelle Blockade-Wetterlage schlüssig ist, will er nicht beurteilen, solange es keine unabhängig geprüfte Publikation dazu gibt. „Ich kenne aber sein Paper vom Frühjahr, und da waren die Daten knapp an der statistischen Nachweisgrenze“, sagt der Potsdamer Klimaforscher. Er arbeitet derzeit gemeinsam mit Kollegen ebenfalls an einem Fachartikel zu möglichen Ursachen für die Blockaden. Solange der Artikel nicht veröffentlicht ist, will er keine Details nennen. Die wechselnde Sonnenaktivität haben sie jedenfalls nicht untersucht – ein Einfluss sei trotzdem nicht ausgeschlossen. „Bei Extremereignissen kommen mehrere Faktoren zusammen“, sagt Rahmstorf. „Der Hauptgrund für deren Zunahme ist aus meiner Sicht aber der Treibhauseffekt.“

Uwe Ulbrich von der Freien Universität Berlin sieht das ähnlich: „Ich will nicht ausschließen, dass die solare Aktivität das Wetter beeinflusst, aber ob die Auswirkungen nennenswert sind, da bin ich skeptisch.“ Was Russland betrifft, komme ein weiterer Effekt hinzu: Hohe Temperaturen und Trockenheit können einander verstärken. „Anfangs ist der Untergrund feucht und wird durch die Verdunstung gekühlt“, erläutert der Meteorologe. „Die Feuchtigkeit wiederum bildet Wolken, die einerseits Schatten spenden und andererseits Niederschläge bringen.“ Ist der Boden aber trocken, gibt es weniger Verdunstung, und die bodennahen Luftschichten heizen sich umso stärker auf. Dadurch steigt die Brandgefahr.

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes hält die Blockade an, wobei die Temperaturen in Westrussland langsam zurückgehen. Am Wochenende könnte es vielleicht einen Wetterwechsel geben.

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