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Fieldsmedaille: "Nobelpreis der Mathematik" geht erstmals an eine Frau

Maryam Mirzakhani wollte eigentlich Schriftstellerin werden. Dann hörte sie von dem deutschen Mathematiker Carl Friedrich Gauß – und war fasziniert von seinem Fach.

Dieser Preis ist so wichtig, dass selbst der Papst warten musste. Das zumindest erzählt man sich auf den Fluren des Konferenzzentrums in Seoul, wo sich zurzeit Mathematiker aus aller Welt treffen. Weil die koreanische Präsidentin, Park Geun-hye, am Mittwoch selbst die Fieldsmedaillen, den „Nobelpreis der Mathematik“ überreichen wollte, musste Papst Franziskus seine Seoulreise um einen Tag nach hinten verschieben. Er soll nun am Donnerstagmorgen in Korea landen.

Park dürfte mit Ihrer Entscheidung zufrieden sein, denn die Preisverleihung hatte historisches Ausmaß. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fieldsmedaille, die seit 1936 vergeben wird, wurde am Mittwoch eine Frau ausgezeichnet: Maryam Mirzakhani, eine 37-jährige Iranerin, die an der Universität Stanford forscht. „Das wurde mit großem Applaus aufgenommen. Jeder in dem Raum wusste, dass hier Geschichte geschrieben wird“, sagt Günter M. Ziegler. Der Mathematiker von der Freien Universität Berlin war Mitglied der zwölfköpfigen Kommission, die die Preisträger ausgewählt hat und ist bei dem Kongress in Seoul vor Ort.

"Die Mathematik wird international"

Neben Mirzakhani gab es drei weitere Preisträger: Artur Avila (ein Brasilianer), Manjul Bhargava (ein Inder, in Kanada geboren, heute in Princeton) und Martin Hairer (Österreicher, in der Schweiz aufgewachsen, in England tätig). „Die Preisverleihung ist nicht nur spektakulär, weil eine Frau dabei ist. Es ist auch noch nie eine Medaille nach Indien gegangen, noch nie nach Österreich, nach Südamerika oder in den Iran“, sagt Ziegler. „Die Mathematik wird auf eine Art international, wie sie es bisher nicht war.“

Die Fieldsmedaille gilt als wichtigste Auszeichnung auf diesem Wissenschaftsgebiet. Im Gegensatz zu Preisen in Medizin oder Chemie erhält sie aber weniger Aufmerksamkeit, unter anderem weil die Leistung der Geehrten Laien oft kaum zu vermitteln ist. Selbst Ziegler sagt, dass er die Arbeit von Mirzakhani nicht zu 100 Prozent versteht. „Im Detail sind es sogar weniger als 50 Prozent“, sagt er. „Aber ich verstehe, warum das spannend ist und die Grundstruktur dessen, was da geleistet wurde.“ Um die Arbeit umfassend zu verstehen müsste er sich jedoch Jahre einarbeiten, sagt Ziegler. „In der Kommission gibt es natürlich Leute, die da sehr viel näher dran sind.“

Elegante Lösungen für mathematische Probleme

Mirzakhani hat sich unter anderem mit der Geometrie von kompliziert geformten Objekten befasst. So trivial eine Brezel oder ein Doughnut uns erscheinen mögen – für Mathematiker ist es sehr herausfordernd, solche Strukturen exakt zu beschreiben. Mirzakhanis größte Leistung bestehe wahrscheinlich in ihren Beiträgen zu „dynamischen“, also veränderlichen Systemen, sagt Curtis McMullen von der Universität Harvard gegenüber dem Fachmagazin „Nature“. Er ist einer ihrer Lehrer, selbst Träger der Fieldsmedaille und hielt am Mittwoch die Laudatio auf Mirzakhani. In unserer Umwelt gibt es zahlreiche dynamische Systeme, etwa das Trio Sonne-Erde-Mond. Die Interaktionen zwischen diesen drei Himmelskörpern lasse sich jedoch nicht vollständig mathematisch beschreiben, sagt McMullen. Mirzakhani habe jedoch herausgefunden, dass dynamische Systeme in ihrer Entwicklung bestimmten Pfaden folgen, die mit den Gesetzen der Algebra übereinstimmen.

Wie Ziegler und einige andere Mathematiker hebt auch McMullen hervor, dass die Preisträgerin die Probleme ihres Fachs ausgesprochen elegant löse und sich sehr sicher in mehreren Teilgebieten des Fachs bewege. „Das ist ungewöhnlich für die heutige Zeit, in der man oft sehr spezialisiert sein muss, um an die Grenzen vorzustoßen.“

Inspiriert von Gauß

Mirzakhani, 1977 im Iran geboren, kam erst spät zur Mathematik. Als Kind begeisterte sie sich vor allem für Literatur. Von ihrer Schule in Teheran war es nicht weit zu einer Straße mit zahlreichen Buchhandlungen, die Mirzakhani oft besuchte. Schriftstellerin wollte sie damals werden.

Ihr Bruder weckte schließlich ihr Interesse für Mathematik, erzählte sie vor einigen Jahren in einem Interview. Oft berichtete er, was er in der Schule gelernt habe. Die Geschichte des deutschen Mathematikers Carl Friedrich Gauß faszinierte sie besonders. Er hatte bereits als Schulkind binnen weniger Sekunden alle Zahlen von 1 bis 100 zusammengezählt. Statt stupide zu addieren, bildete er Zahlenpaare, die jeweils 101 ergeben und gelangte rasch zu der Antwort: 5050.

Die Schülerin war begeistert von der eleganten Art, ein Problem zu lösen. So wandte sie sich der Mathematik zu, unterstützt von ihrer Direktorin, die entschlossen dafür kämpfte, dass Mädchen die gleichen Chancen erhalten wie Jungen. Bald darauf nahm Mirzakhani an internationalen Mathematikolympiaden teil. 1994 und 1995 errang sie jeweils Gold, beim zweiten Mal mit voller Punktzahl.

Sie gibt keine Interviews

Nach dem Bacherlorabschluss an der Sharif-Universität ging sie zur Promotion nach Harvard. Von 2004 bis 2008 forschte sie am Clay Mathematics Institute in Cambridge (Massachusetts) und an der Universität Princeton. Vor sechs Jahren wurde sie Professorin in Stanford, wo sie bis heute mit ihrem Mann und einer dreijährigen Tochter lebt.

Aktuelle Interviewanfragen lehnte sie am Mittwoch ab. Ihre Universität hat jedoch ein Statement veröffentlicht, wonach die Auszeichnung „eine große Ehre“ für sie sei. Es würde sie freuen, wenn das junge Forscherinnen bestärken würde. „Ich bin mir sicher, dass es in Zukunft viele Frauen geben wird, die solche Preise gewinnen.“ Es dürfte dennoch geraume Zeit vergehen, bis Frauen in puncto Auszeichnungen tatsächlich aufgeschlossen haben. Erwähnt seien nur der ebenfalls prestigeträchtige Abel-Preis oder der Wolf-Preis für Mathematik, die bis jetzt ausnahmslos an Männer gingen.

Kritik an der Situation von Frauen in der Mathematik

Erst im vergangenen Jahr kritisierte Mirzakhani, dass die Situation für Frauen in der Mathematik weit entfernt vom Ideal seien. „Die sozialen Barrieren für Mädchen, die an dem Fach interessiert sind, dürften kaum geringer sein als zu der Zeit, als ich aufwuchs.“ Nach wie vor sei es eine Herausforderung, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Mirzakhani scheint das gelungen zu sein.

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