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Gedruckt und digital. Die Wissenschaftsorganisationen setzten sich für das Zweitverwertungsrecht der Autoren ein, um online publizieren zu können. Für die Bibliotheken sehen Experten das Berufsbild des „Cybrarian“ voraus. Foto: ddp

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Wissen: Forscher als Kleinverleger

Wissenschaftsorganisationen treiben Open Access voran. Kritiker fürchten um die Qualität und die Verlage

Einer der meistgepriesenen Vorzüge des Internets ist sein demokratisches Wesen. Doch was bei persönlichen Botschaften und internationalen Nachrichten seit mindestens einer Dekade funktioniert und neuerdings sogar Revolutionen begünstigt, ist beim wissenschaftlichen Austausch noch immer Zukunftsmusik: barrierefreier Informationsfluss in Echtzeit.

Seit der Jahrtausendwende formuliert die Wissenschaft immer vehementer den Wunsch nach Open Access. Gemeint ist die kostenfreie Bereitstellung von aus öffentlichen Geldern finanzierten Forschungsergebnissen – entweder sofort, oder nach einer Embargofrist. Im Moment zahlt der Steuerzahler für wissenschaftliche Texte in der Regel mehrfach. Wissenschaftler werden aus Steuergeldern finanziert, für den Abdruck in einem renommierten Magazin fallen Publikationsgebühren an. Dann zahlen öffentlich finanzierte Bibliotheken die Abonnements der Zeitschriften. Und falls die Artikel später etwa in einer Hochschul-Monografie abgedruckt werden, müssen die abgetretenen Rechte auch noch wieder von der Zeitschrift abgekauft werden.

Nach viel Stillstand sieht sich die von der Max-Planck-Gesellschaft über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bis hin zur Hochschulrektorenkonferenz getragene Open-Access-Bewegung nun vor einem Durchbruch. Im Bundesjustizministerium wird die dritte Novelle des Urheberrechts vorbereitet. Autoren sollen nach einer Karenzzeit von wahrscheinlich einem halben Jahr ihre Artikel selbst zweitverwerten können – auch in einem frei zugänglichen Portal.

Doch viele Wissenschaftsverlage stellen sich quer, fürchten um ihre ökonomische Grundlage. Begleitet wird die Diskussion seit Monaten von einer Reihe von Zeitungsartikeln vor allem in der „FAZ“. Zuletzt meldete sich dort der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Bundestag, Günter Krings, zu Wort. Die Open-Access-Bewegung sei nicht so breit, wie es sich die DFG wünsche. Die meisten Wissenschaftler bevorzugten die Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, weil sie die Kompetenz der Verlage und auch ihre Qualitätskontrolle schätzten. Der DFG gehe es in Wahrheit nicht um den freien Zugang zu Forschungsergebnissen, sondern um den „kostenlosen Zugang“, schreibt Krings.

Das von den Forschungsförderern propagierte „verbindliche Zweitverwertungsrecht“ würde den Wissenschaftlern zudem das Recht nehmen, Verlagen ihr ausschließliches Nutzungsrecht zu verkaufen. Die DFG wolle insbesondere „den akademischen Mittelbau und die Wissenschaftsverlage zum Teil enteignen“.

Die Gegner von Open Access aus der Wissenschaft haben sich auf den „Heidelberger Appell“ geeinigt. Initiator ist der Literaturwissenschaftler Roland Reuß, der auch ein scharfer Kritiker der DFG-Vergabepraxis ist. Reuß’ Hauptargument gegen Open Access: „Die Abkopplung des Wissenschaftlers von einer professionellen Verlagsszene und in der Konsequenz die Zerschlagung der gesamten mittleren und kleinen Verlagsszene“ werde der Wissenschaft insgesamt schaden.

Mit einer aktuellen Stellungnahme hat sich jetzt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen in den Streit eingeschaltet. Krings lasse die Vorteile von Open Access völlig außer Acht, darunter die erst durch die Online-Publikation mögliche rasche Diskussion aller Forschungsergebnisse sowie interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit, schreibt das Gremium, dem auch die DFG angehört. Von der Allianz schon früher vorgeschlagene und bereits praktizierte Open-Access-Modelle würden es den Verlagen erlauben, „zum Teil auch weiterhin Geld zu verdienen“.

Vorbildlich sei die Zeitschriftengruppe „Nature“, die Forschungsergebnisse nach einer Frist von sechs Monaten online zugänglich macht. Derzeit seien Wissenschaftler „gegenüber Verlagen und deren Quasi-Monopolstellung in einer stark benachteiligten Situation“. Die Allianz bekräftigt ihr Eintreten für das „unabdingbare Zweitverwertungsrecht“. Damit könnten Autoren nicht mehr verpflichtet werden, ihr Recht exklusiv an die Verlage abzutreten, ob sie es aber für eine Zweitpublikation mit Open Access selbst wahrnehmen, bleibe ihnen überlassen.

Für ein solches Zweitverwertungsrecht setzt sich auch die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Krista Sager, ein. Es sei der richtige Weg um „die vielseitigen Chancen der Digitalisierung für Wissenschaft und Gesellschaft stärker zu nutzen“. Für neue Bewegung könnte überdies die Piratenpartei sorgen. Der Berliner Landesverband fordert die „Zugänglichmachung des wissenschaftlichen und kulturellen Erbes der Menschheit über das Internet nach dem Prinzip des Open Access“ und sieht es als staatliche Aufgabe an, Open Access in den aus öffentlichen Geldern finanzierten Einrichtungen auch durchzusetzen.

„Wir brauchen keine kommerziellen Verleger“, sagt Dieter Stein, Professor an der Uni Düsseldorf und vehementer Open-Access-Vertreter. Zusammen mit Gleichgesinnten hat er kürzlich bei der dritten „PKP Scholarly Publishing Conference“ an der Freien Universität über das wissenschaftliche Publizieren im Online-Zeitalter debattiert. „Während die Budgets der Universitäten gesunken sind, wurden Fachartikel immer teurer. Diese Informations-Krise müssen wir als Chance für Open Access begreifen und nutzen“, sagt Stein.

Eine Leistung, welche die Verlage unbestritten erbringen, ist die Qualitätssicherung. Außerdem wird ein Forscher durch eine Veröffentlichung beispielsweise in „Science“ geadelt. Wer also eine freiere Publikationslandschaft will, muss damit rechnen, dass sie unübersichtlicher und schwerer zu kontrollieren sein wird. So scheint ein Kompromiss – also Erhaltung der Fachzeitschriften und nachträgliche Open-Access-Publikation – derzeit der realistische Weg zu sein.

Einer der Vorreiter ist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Seit 2007 werden dort Forschungsergebnisse aus allen Gebieten vor oder kurz nach ihrer Veröffentlichung in einem renommierten Fachjournal frei zur Verfügung gestellt. „So machen wir frühzeitig auf wichtige Ergebnisse in diesen Disziplinen aufmerksam“, sagt der DIW-Vorstandsvorsitzende Gert G. Wagner.

Am Ende jedenfalls könnten sich die klassischen Profile des Wissenschaftlers und des Bibliothekars ändern. Der Wissenschaftler der Zukunft könnte sein eigener Klein-Verleger werden. Außerdem werde es den „Cybrarian“ geben, sagt Dieter Stein. Dies ist ein Bibliothekar, der mit seiner guten Kenntnis der auf dem digitalen Markt vorhandenen Publikationen in engem Kontakt mit dem Wissenschaftler steht und ihn berät. mit -ry

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