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Freie Universität: Lenzens Halbwahrheiten

FU-Präsident versus Senat: Wer hat die Berliner Universitäten kaputt gespart?

Dieter Lenzen verlässt die Freie Universität mit lautem Geräusch. Seinen Wechsel an die Spitze der Universität Hamburg erklärt er nicht nur mit persönlichen Motiven: Die finanziellen und politischen Perspektiven in Hamburg seien einfach besser als in Berlin. Die FU habe ihren Erfolg in der Exzellenzinitiative trotz der „immer weiteren Kürzungen“ der Sozialisten und Sozialdemokraten errungen. Den Universitäten seien gerade erst 40 Millionen Euro aus der Einstein-Stiftung abgezogen worden. Planungssicherheit gebe es nicht mehr.

All das hat Berlins CDU gefreut. Doch sind Lenzens Aussagen ist nicht nur übertrieben, sondern eine Halbwahrheit. Nicht nur, weil das Geld für die Einstein-Stiftung zusätzlich zu den Hochschuletats vom Land Berlin bereitgestellt wurde. Vor allem muss man ins Jahr 1990 zurückblicken. Die entscheidenden finanziellen Einschnitte in den Hochschulbereich fallen nämlich in die gemeinsame Verantwortung der großen Koalition unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). Damals stellte die SPD mit Annette Fugmann-Heesing die Finanzsenatorin und die CDU mit Peter Radunski den Wissenschaftssenator.

1997 hatte diese Koalition ernsthaft den Plan verfolgt, aus den Berliner Hochschulen 950 Millionen Mark bis zum Jahr 2003 herauszusparen. Damit ließen sich die von der Regierung beschworenen 85 000 Studienplätze nicht mehr finanzieren, sondern – wie in einem Geheimgutachten errechnet wurde – nur noch 62 250 Studienplätze. 1997 wurden 146 000 Studierende in Berlin gezählt. Diese Diskrepanz verdeutlichte das wahre Ausmaß der Bildungskatastrophe.

Die geplante Sparorgie war mit einer Abkehr von dem Masterplan von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) verbunden. Der Masterplan war 1992 nach den Empfehlungen einer hochrangig besetzten Strukturkommission entwickelt worden. Er basierte darauf, die nach der Wiedervereinigung entstandene einzigartige Konzentration von Hochschulen und Forschungsinstituten in Berlin weitgehend zu erhalten.

Ein Teil der Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR wurde zur Grundlage des Technologieparks Adlershof und des biomedizinischen Campus in Berlin-Buch. Die in Mitte konzentrierten naturwissenschaftlichen Institute der Humboldt-Universität befanden sich in einem so desolaten Zustand, dass sie nach Adlershof verlagert werden sollten. In der Medizin gab es nach der Wiedervereinigung nicht nur die beiden Klinika der FU in Steglitz und Wedding, sondern auch die Charité in Mitte, die einen historisch bedingten Weltruf besaß. Alle sollten gestärkt werden. Die Verwirklichung dieses Plans kostete Milliarden, die Berlin nicht aufbringen konnte. Deswegen musste Erhardt 1996 gehen. Er wurde durch Peter Radunski abgelöst.

Der Wissenschaftsrat hat das Schlimmste verhindert. Er koppelte seine Empfehlung für den Ausbau von Adlershof an die Garantie von 85 000 Studienplätzen in Berlin. Das war ein Druckmittel. Denn ohne das Votum des Wissenschaftsrats wären keine Bundesmittel für den Hochschulbau nach Berlin geflossen. Außerdem warnte der Wissenschaftsrat den Berliner Senat davor, sich bei den Investitionen zu überheben. Bevor drei Klinika heruntergespart würden, sollte eindeutig die Priorität auf den Ausbau der Charité gesetzt werden.

Diese Empfehlung spielte im Jahr 2002 eine Rolle, als der rot-rote Senat unter Klaus Wowereit das Klinikum Benjamin Franklin in ein städtisches Krankenhaus umwandeln wollte. Die Proteste in der Stadt konnten diese Radikalkur mildern. Die 98 Millionen Euro, die Wowereit zur Sparauflage gemacht hatte, wurden nicht dem Klinikum in Steglitz allein aufgebürdet, sondern der gesamten Universitätsmedizin. Vor diesem Hintergrund entstand die Großcharité mit den Standorten Mitte, Wedding und Steglitz.

Wenn Lenzen heute so scharf gegen Sozialisten und Sozialdemokraten polemisiert, dann kann er das allenfalls auf die Einsparungen in der Hochschulmedizin beziehen, nicht jedoch auf die Radikalkur, die die große Koalition unter Eberhard Diepgen (CDU) im Einvernehmen mit der Finanzsenatorin Fugmann-Heesing und dem Wissenschaftssenator Radunski beschlossen hatte. Die Radikalkur traf vor allem die Freie Universität und die Technische Universität. Dieter Lenzen hat das alles miterlebt. Seine Vorgänger im Präsidentenamt beklagten den Abbau West, weil die Humboldt-Universität beim Sparen weniger gebeutelt wurde. Die Freie Universität hatte vor der Wiedervereinigung 646 Professoren. Nach einer Bilanz des Wissenschaftsrats blieben im Jahr 2000 rund 370 Professoren übrig. Die TU musste 279 Professuren abbauen, und die Humboldt-Universität wurde in ihrem Aufbau gestoppt. Sie sollte von 473 Professuren auf 382 reduziert werden.

Der Wissenschaftsrat kritisierte damals vor allem die Verringerung der Studienplätze als „beispiellose Entwicklung“. Sollte Berlin die Zahl von 85 000 Studienplätzen weiter unterschreiten, wäre das „für das Hochschulsystem des Landes Berlin in hohem Maße abträglich“.

Wenn Lenzen einseitig von einem „Kaputtsparen“ durch Sozialisten und Sozialdemokraten spricht, vergisst er also die Sparorgien der großen Koalition unter herausragender Mitwirkung der CDU. Wissenschaftssenator Zöllner hat mit seinem Wechsel von Rheinland-Pfalz nach Berlin von Wowereit Zusicherungen bekommen, dass das Heruntersparen im Wissenschaftsbereich beendet wird und zusätzliche Gelder für die Einstein-Stiftung bereitgestellt werden. Zu beiden Aussagen hat sich Klaus Wowereit mehrfach öffentlich bekannt.

Uwe Schlicht

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