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Wissen: Frisch verliebt auf Rosen gebettet

Georg Hermanns „Rosenemil“ in der beliebten Reihe „Im Garten vorgelesen“

Zuerst die Suche nach einem Parkplatz in Eiches Kaiser-Friedrich-Straße, dann tritt man in den Hof des Anwesens Nummer zwanzig. Wo ist er nun, der ausgewählte Rosengarten von Barbara Welk-Nies und Günter Nies? Die drei Stöcke an der hufeisenverzierten Scheune von 1871 werden doch wohl nicht als der „Rosengarten“ gemeint sein, in den die Urania zur Gartenlesung eingeladen hatten. Hier beherrscht eine mächtige Birke alles, auch den dämmernden Rhododendron darunter. Das passende Ambiente für Georg Hermanns Milieu-Roman vom „Rosenemil“?

Eigentlich schon, denn im armen Norden Berlins werden um 1900 auch nicht überall Rosen geblüht haben. Erst jenseits des mauerhohen Innenhofes beginnt das kleine Paradies: Der gar nicht so große Bergauf-Garten ist ein ganz Hundertprozentiger, jeder Meter wird dem Wachstum reserviert, staunenswert das Fehlen von Gras. Dafür lässt das niedrigstämmige Obstgehölz viel Himmel durch, erdwärts danken es Glockenblumen, Gladiolen, Nelken und Phlox. Tomaten mit eignem Häuschen, Salbei am Wege, Rosenduft überall. Ein gepflegter Misthaufen vorne zeigt, was die dreizehnblättrigen Wesen wirklich brauchen.

Das Wetter bei den Lesungen am Freitag und Samstag konnte unterschiedlicher nicht sein, aber das Umfeld für diese große Liebesgeschichte zweier Schwacher mit so viel Liebe im Herzen war es ja auch. Im Herbst vor zwei Jahren gab es den von Hans-Jochen Röhrig erwählten Roman schon mal, als Matinee im Theaterkabuff, Caroline Lux las damals die Passagen der schwindsüchtigen Stricherin Polen-Liese, genannt Lissy. War Christian Klischat dazumal ihr Partner, so Matthias Hörnke jetzt. Eine Idealbesetzung, denn just vor diesem Rosengarten trafen zwei verliebte Halb-Naive mit Berliner Slang zusammen: Emil schenkt ihr Rosen, sie entdeckt in ihm, was kein Freier ihr gibt, Halt und Geborgenheit.

„Haste nu een Kuss jestohlen, kannste och die andern holen!“ ermuntert sie ihn beim ersten Rendezvous. Ins Bett ging es übrigens damals auch nicht geschwinder als heute, denn sie beteuert: „Ick wohn’ solide!“ Polen-Liese sorgt also für ihren mittellosen Emil, doch seine Schwäche treibt ihn allzu schnell in die dickfleischigen Arme von Brillanten-Berta, die Berliner „Mohrenhöfe“ waren um 1900 der Sündenpfuhl schlechthin.

Die Wissenschaft sagt dem Naturalisten Georg Hermann, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde, bis heute literarische Nähen zu Gerhart Hauptmann und dem frühen Alfred Döblin nach. „Rosenemil“ hat und braucht Sentiment und Milieu, um Wirkung zu zeigen, und das brachten die beiden Schauspieler mit so viel Herzensfrische und Authentizität herüber, dass ein Rührstück für brave Bürgerherzen gar nicht erst entstehen konnte.

Rita Herzog unterstrich diesen Grundton mit kurzen Passagen am Klavier. Frisch verliebt auf Rosen gebettet also der erste Teil, Rosen und andere Blumen, nachdem sich der Kelch von Lissy und Emil zur Bitternis neigt: Während er sich noch mit dem Fleischberg Brillanten-Berta, deren „kleine Laune“ er ist, amüsiert, sucht Polenliese auf der Gertraudenbrücke vergeblich den Tod. Beim letzten Wiedersehen vergibt sie alles, schickt ihn zu der andren zurück. Stirbt: Schwindsucht mit Lungenentzündung. Er legt ihr Blumen aufs Grab. Gar nicht schlecht, diese Reprise vom Rosen-Emil, draußen, wo die Kirschen reifen. Gerold Paul

Gerold Paul

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