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Lebende Waffe. Pockenviren gelten als ausgerottet. Aber einige Länder halten noch einige Exemplare des tödlichen Erregers unter Verschluss – eine Biowaffe von morgen?

© Mauritius

Ingenieure des Lebens (5): Gefahr aus dem Labor

Die Auferstehung der gefürchteten Pockenviren ist möglich – zumindest theoretisch. Schattenseiten der Synthetischen Biologie: Die Angst vor Waffen, Monstermikroben und den neuen Schöpfern.

Einer der größten Killer der Menschheit ist vor kurzem, unbemerkt von der Öffentlichkeit, unsterblich geworden. Am 8. Mai 1980 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pocken für ausgerottet. Doch im November 2010 diagnostizierte ein Komitee der WHO die Auferstehung der gefürchteten Pockenviren – zumindest theoretisch: „Es ist technisch möglich, das gesamte Genom eines Pockenvirus aus dem Nichts zu synthetisieren, allein unter Nutzung öffentlich zugänglicher Sequenzinformationen und daraus infektiöse Viruspartikel herzustellen“, schreiben die Forscher. Theoretisch könne sogar ein Pockenvirus erstellt werden, das mit vorhandenen Verfahren nicht nachweisbar sei, heißt es weiter.

Es ist nur ein kleines Beispiel für das, was die Synthetische Biologie inzwischen zu leisten vermag – und wie wenig darüber in der Öffentlichkeit gesprochen wird. Dabei gibt es viele Diskussionspunkte. Die wichtigsten im Überblick.

Künstliche Erreger als Waffe

Biowaffen gehören zum Repertoire der Menschheit spätestens seit die Griechen im Ersten Heiligen Krieg das Trinkwasser einer Stadt mit Nieswurz vergifteten. Während sich die antiken Krieger noch auf das Arsenal von Mutter Natur verließen, könnte es in Zukunft mit gezielter Manipulation möglich sein, Waffen aus dem Rohmaterial von Viren und Mikroben zu bauen. Deren Effekte „könnten schlimmer sein als jede bekannte Krankheit“, heißt es in einem Papier des US-Geheimdienstes CIA. Darin wird auch auf eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler verwiesen, die bereits 2002 das Erbgut des Poliovirus nachgebaut und damit Mäuse infiziert hatten. Die Gensequenzen, aus denen sie den Erreger der Kinderlähmung zusammensetzten, bestellten sie bequem über das Internet.

„Im Moment sehe ich trotzdem keine konkreten Risiken“, beruhigt Piers Millet, stellvertretender Leiter des UN-Büros zur Implementierung der Biowaffenkonvention in Genf. Die letzten zehn Jahre hätten gezeigt, dass Synthetische Biologie weitaus komplexer sei, als viele dachten. Noch sei ein enormer Aufwand nötig, um Krankheitserreger im Labor zu erschaffen. „Die Frage lautet eher: Wann wird es einfacher solche Waffen im Labor zu entwickeln, als sie direkt aus der Natur zu holen?“

Diese Sorge ist auch in der deutschen Politik angekommen. So stellten Abgeordnete der SPD im Bundestag jüngst eine kleine Anfrage, in der sie unter anderem wissen wollen: „Sind der Bundesregierung Informationen bekannt, wonach es bereits Versuche gegeben hat, das Wissen über die Synthetische Biologie für terroristische Zwecke zu nutzen?“ Die Antwort steht noch aus.

Um die Gefahr frühzeitig zu erkennen, soll eine Software bei Bestellungen von DNS-Sequenzen besonders gefährlicher Erreger Alarm schlagen. „Die Programme haben aber noch viele Probleme“, sagt Millet. Außerdem wird es für die meisten Anbieter bald billiger sein, DNS selbst zu synthetisieren, als sie zu bestellen.

„Aus meiner Sicht gibt es keine Möglichkeit, diese Technologie zu kontrollieren“, sagt Millet. „Schließlich ist es die Idee der Synthetischen Biologie, die Manipulation von Lebewesen so leicht wie möglich und so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen.“ Er glaube aber, dass die Synthetische Biologie im gleichen Maße, in dem sie neue Bedrohungen ermögliche, auch neue Verteidigungsstrategien erlauben werde.

Die Mikroben entkommen aus dem Labor

Nicht weniger Angst macht vielen Menschen die Vorstellung, dass synthetische Lebewesen versehentlich freigesetzt werden – mit dramatischen Folgen. „Wenn synthetische Organismen aus dem Labor entkommen, können sie sich unkontrolliert ausbreiten und Barrieren innerhalb bestehender Ökosysteme überwinden“, warnt etwa der Verein Testbiotech. Manche fürchten gar einen unberechenbaren „grünen Schleim“, der die ganze Welt überwuchert. Das Muster ist klar: Der Forscher als Zauberlehrling, der die Natur beherrschen will und feststellt, dass Lebewesen eben doch nicht kontrollierbar sind wie Maschinen.

Für Alfred Pühler, der an der Universität Bielefeld im Feld der Synthetischen Biologie forscht, sind das abstruse Ängste. Denn in der Praxis sind die meisten veränderten Lebewesen alles andere als Überflieger. Die Hefezellen etwa, die das Unternehmen Amyris so verändert hat, dass sie ein Malariamedikament herstellen, sind allein darauf getrimmt, diese Substanz herzustellen, die für sie selbst keine Vorteile bringt. „Die Zellen sind an ein Leben ohne Feinde, mit gleich bleibender Temperatur und gleicher Nahrung angepasst. In der freien Natur sind solche Zellen kaum lebensfähig“, sagt Pühler. In der Bevölkerung herrsche schlicht ein falsches Bild, glaubt auch Arthur Caplan, Bioethiker an der Universität Pennsylvania in Philadelphia. „Viele stellen sich eine Kreatur vor, die die Straße runterwankt, in der Kanalisation verschwindet und dann irgendwann unter der Dusche auftaucht und sie auffrisst.“

Kritiker befürchten auch eine „Kontamination des Genpools“. Sie weisen auf die Gefahr hin, Gene könnten von Mikroben an andere Mikroben weitergegeben werden und sich so in der Natur ausbreiten. „Diese Gene kommen ja alle aus der Natur, wenn sie sich dort verbreiten könnten, hätten sie es bereits getan“, entgegnet Pühler.

In einer gemeinsam Stellungnahme kamen Leopoldina, Acatech und Deutsche Forschungsgemeinschaft 2009 zum Schluss, dass zurzeit keine neuen Gesetze benötigt werden. „Was im Moment gemacht wird, ist eine Art ausgeweitete Gentechnik und dafür gibt es bereits Regeln“, sagt Pühler, der an der Stellungnahme mitgearbeitet hat. Nur wenn sich herausstelle, dass man mit der Synthetischen Biologie grundsätzlich andere Dinge leisten könnte als bisher, müsse über neue Gesetze nachgedacht werden.

Wer Patente hat, kann viel Geld verdienen

Die Synthetische Biologie könnte ein äußerst profitabler Industriezweig werden. „Die Firmen, die Länder, die damit erfolgreich sind, werden die ökonomischen Gewinner des nächsten Zeitalters sein, so wie die ölreichen Länder heute“, behauptet etwa Craig Venter. Schon jetzt werden Milliarden in der Branche aufgebracht. Der amerikanische Biotech-Investor Randal Kirk etwa hat 200 Millionen Dollar in das Unternehmen Intrexon gesteckt. Die Firma, die unter strenger Geheimhaltung in der Synthetischen Biologie forscht, könnte das „Google der Lebenswissenschaften“ werden, glaubt Kirk, den das „Forbes“-Magazin als „möglicherweise den besten Biotech-Investor aller Zeiten“ bezeichnet.

Kämpfe darüber, wem neue Lebensformen gehören und wer sie kontrolliert, sind programmiert. Die Angst: Eine Art „Microbesoft“ privatisiert das Leben 2.0 – gesichert von Patentanwälten und Betriebsgeheimnissen. „Wer ein Basispatent hat, also die ersten Schritte in einer komplett neuen Technologie, hat natürlich enormen Einfluss“, sagt auch Alfred Pühler. „Ich halte Venters Einschätzung aber für etwas übertrieben.“ Dennoch sei es sinnvoll, die Grundlagenforschung zu stärken, damit die Basispatente nicht alle bei wenigen großen Firmen liegen.

Das Schöpfersyndrom

Die Fortschritte der Synthetischen Biologie haben die Vision eines Homo creator beflügelt, der nach Gutdünken Leben verändert und erschafft. Welche Konsequenzen das für die Einstellung des Menschen zum Leben haben könnte, ist unklar. Der Deutsche Ethikrat etwa hat in einer Stellungnahme festgestellt, dass die Synthetische Biologie „besonders aggressiv infrage stellt, was Leben eigentlich ist und wie wir damit umgehen wollen“.

Aber noch sind die Forscher weit davon entfernt, wirklich neuartiges Leben zu erschaffen. Craig Venter präsentierte 2010 zwar Zellen, die von einem künstlichen Genom kontrolliert wurden, aber sein „blaues Wunder“ ist kein künstliches Leben. „Ich bin skeptisch, dass die Synthetische Biologie überhaupt künstliches Leben schaffen kann“, sagt Pühler. „Wir setzen nur das, was irgendwie schon vorhanden ist, neu zusammen.“

Viele Wissenschaftler sagen deshalb: Warum reden wir überhaupt darüber, die Forschung beginnt doch gerade erst. Caplan kritisiert diese Einstellung: „Kann irgendjemand heute künstliches Leben schaffen? Nein. Aber Sie können doch nicht warten, bis jemand eine neue Lebensform erschaffen hat, um das zu diskutieren“, warnt er. „Wir müssen die Diskussion zehn bis fünfzehn Jahre vorher führen, sonst brauchen wir sie gar nicht führen.“ Und zehn bis fünfzehn Jahre vorher, daran lässt Caplan keinen Zweifel, heißt heute.

Mit diesem Beitrag endet unsere Serie.

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