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Genforschung: Angst vor der Chimäre

Kritiker fürchten, dass Genetiker ein Menschen-Rind züchten. Von den therapeutischen Zielen sind noch nicht einmal die Grundlagen erforscht.

Nachdem Großbritannien Klonversuche mit menschlichen Zellkernen in Rindereizellen erlauben will, fürchten Kritiker Mischwesen aus Mensch und Rind.

Die Chimäre, die Homer in der „Ilias“ beschreibt, ist ein Ungeheuer mit drei Köpfen, dem eines Löwen, einer Ziege und einer Schlange. Ein Fabelwesen, das Angst macht. Seit die Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) in London letzte Woche grünes Licht gegeben hat für die Erzeugung von Klonen aus entkernten Eizellen von Kühen und menschlichen Zellkernen, sind die Chimären oder Mensch-Tier-Wesen wieder im Gespräch.

Die Forscher der Arbeitsgruppen von der Universität in Newcastle und dem King’s College in London, deren Projekte nun noch einzeln geprüft werden sollen, wollen aus den Embryonen jedoch nicht ausgereifte Lebewesen erzeugen, sondern Stammzellen gewinnen. Dass mit deren Hilfe eines Tages Krankheiten geheilt werden könnten, hat wohl eine Mehrheit der Briten, die von der HFEA zur Abstimmung gebeten wurden, von der Methode überzeugt. Die Zellhaufen, von Biologen als zytoplasmatische Hybride bezeichnet, sollen nach dem Willen der Forscher im Labor nur wenige Tage überdauern.

Bleibt die Frage, ob aus solchen Embryonen nicht von weniger skrupulösen Wissenschaftlern doch Lebewesen erzeugt werden könnten. Dass das prinzipiell möglich ist, hat der Brite Ian Wilmut mit Schaf Dolly vorgeführt. In den vergangenen Jahren kamen Rind, Schwein, Ziege, Maus, Katze, Kaninchen und Hund dazu. Was den geklonten Menschen betrifft, blieb es bei Ankündigungen der Raelianer-Sekte und des römischen Frauenarztes Antinori. Im Kern wäre das Genom eines in der Kuheizelle entstandenen Embryos mit dem des menschlichen Spenders der Körperzelle identisch. Von der fast leeren Hülle der Tiereizelle bliebe nur das Genom der Mitochondrien, der Zellkraftwerke, die nur wenig genetisches Material enthalten. Allenfalls 0,1 Prozent des Erbguts würde dem Rind entstammen.

Falls also jemand eine so befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einer Frau einpflanzen sollte, könnte sie durchaus ausreifen. Ganz anders wäre das, wenn der Embryo tatsächlich Tierchromosomen enthielte. „Das kann – nach allem, was wir wissen – nicht funktionieren“, sagt Jürgen Hescheler, Direktor des Instituts für Neurophysiologie der Uni Köln. „Wenn dagegen jemand auf die Idee käme, eine Blastozyste einzupflanzen, für die menschliches Erbgut in eine entkernte Kuheizelle gegeben wurde, könnte daraus durchaus ein Mensch entstehen.“ Für Hescheler ist das ein zusätzliches Argument dafür, das reproduktive Klonen international zu ächten. „Weil Kuheizellen leicht zu beschaffen sind, könnte es mit einer solchen Technik leichter werden, Klonversuche zu machen. Wir müssen streng darauf achten, dass sie nur für Forschungszwecke zulässig sind.“

Noch ist es jedoch alles andere als sicher, dass das neue Vorhaben zur Stammzellgewinnung Erfolg haben wird. „Man muss abwarten, ob das überhaupt funktioniert, wenn jedoch, dann wären uns die Briten einen Riesenschritt in Richtung Therapie voraus“, sagt Hescheler, der selbst mit embryonalen Stammzellen von Maus und Mensch nach Therapien gegen Herzinfarkt und Schlaganfall fahndet. „Wir sind allerdings noch lange nicht so weit, dieses Potenzial wirklich für Patienten zu nutzen. Wir Forscher müssen zugeben, dass wir zunächst einmal die grundlegenden Prinzipien der Zellverjüngung verstehen müssen“, sagt der Heidelberger Stammzellforscher Anthony Ho.

Noch sind die hehren therapeutischen Ziele also eine Art „Schimäre“. Dieser Begriff bezeichnet laut Lexikon nämlich „Vorstellungen und Geistesprodukte, die etwas abseits der Realität liegen“.Adelheid Müller-Lissner

Adelheid Müller-Lissner

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