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Geschichte: Gemeinsam in die NSDAP

Parteimitglied wurde man auch über Sammellisten – aber unterschreiben musste jeder selbst, sagen Forscher.

Erst im Juni ist über den Kölner Schriftsteller Dieter Wellershoff bekannt geworden, dass er Mitglied der NSDAP gewesen sein soll. Sein Name wurde in der Mitgliederkartei entdeckt, aufgelistet unter der Nummer 10.172.531. Er ist nicht der erste Intellektuelle der Bundesrepublik, der heute, nach mehr als 60 Jahren, als Parteigenosse Hitlers entlarvt wird. Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz, Hans Werner Henze, Peter Wapnewski oder Walter Jens – laut Aktenlage waren sie alle Mitglieder der NSDAP. Und keiner von ihnen will sich erinnern können, jemals einen Aufnahmeantrag unterschrieben zu haben. War es also möglich, ohne eigenes Zutun in die Partei aufgenommen zu werden?

Dieser Frage widmet sich der gerade erschienene Sammelband „Wie wurde man Parteigenosse?“, den Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, soeben herausgegeben hat. Das Thema habe große Diskussionen angeheizt, sagte Benz jetzt bei der Vorstellung des Bandes im Berliner Gropius-Bau. „Endgültige Antworten“ hätten die Forscher aber nicht versprochen.

Auch wenn immer noch Fragen offen bleiben, das Buch präsentiert durchaus Ergebnisse: Niemand musste Parteigenosse werden. Der Zwang zum Eintritt in die Partei werde nach wie vor überschätzt, heißt es dort. Teilweise sei es sogar äußerst schwierig gewesen, NSDAP-Mitglied zu werden, etwa, weil zwischen 1933 und 1942 Aufnahmesperren verhängt wurden.

Die besondere Rolle der HJ und des BDM wird in mehreren Beiträgen des Sammelbandes thematisiert. So hat der Historiker Armin Nolzen einen Beitrag über die Aufnahme von Angehörigen der Hitlerjugend verfasst. Eins seiner Ergebnisse ist, dass die „Freiwilligkeit“ für den Eintritt im gesamten Zeitraum bis 1944/45 gewahrt blieb, „indem es eines eigenhändig unterschriebenen Aufnahmeantrags eines jeden Einzelnen bedurfte, der in die Partei eintreten wollte. Sicherlich stieg der Druck hierzu kontinuierlich an und erreichte beim Aufnahmeverfahren 1944 seinen Höhepunkt. Dem Einzelnen blieb aber immer die Möglichkeit, sich entweder für oder gegen eine Unterschrift zu entscheiden.“ Nolzen stellt außerdem fest, dass es keine automatische Aufnahme von HJ- und BDM-Jahrgängen gab – wie immer wieder behauptet wird.

Auch Juliane Wetzel, Wissenschaftlerin am Zentrum für Antisemitismusforschung, greift in ihrem Aufsatz die besondere Situation der Hitlerjugend auf. Sie erwähnt Sammellisten, die als Sammelanmeldungen an das Büro des Reichsschatzmeisters weitergegeben wurden. Wetzel sieht hier eine mögliche Erklärung dafür, dass heute von ihrer Mitgliedschaft überraschte Persönlichkeiten auf eine solche Liste geraten waren und sich deshalb nicht mehr an den „Zeitpunkt ihres wirklichen oder vermeintlichen Eintritts in die Partei“ erinnern. „Sie waren jung, fast noch Kinder“, so Wetzel. Allerdings betont auch sie, dass für die tatsächliche Aufnahme eine eigene Unterschrift unabdingbar war, „so dass es eigentlich nicht möglich war, ohne eigenes Wissen in die Partei aufgenommen zu werden“.

Am Ende ihres Vortrags im Gropius-Bau zitierte Wetzel den Schriftsteller Wellershoff nach einem Interview. Dort erklärt er, er könne sich nicht daran erinnern, einen Mitgliedsantrag unterschrieben zu haben. Er fügt aber hinzu: „Ob ich in der Partei war oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, dass ich mich grundsätzlich betroffen fühle, dass so etwas passiert ist und dass ich dabei gewesen bin. Das ist etwas, das man in seiner Dimension gar nicht wegschieben und verkleinern kann – der Krieg und die Vernichtungslager, das Zerbomben der Städte.“ Wetzel sagte, eine solche Aussage hätte man sich auch von Walser, Hildebrandt und anderen gewünscht. Vera Pache

„Wie wurde man Parteigenosse?“ – Hrsg.: Wolfgang Benz, S. Fischer Verlag, 12,95 €.

Vera Pache

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