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Wissen: „Habt keine Angst, Intellektuelle zu sein!“

Sehnsucht nach Hegel: Der Philosoph Slavoj Žižek begeistert sein Publikum an der FU als schweißgebadeter Erzählbär

Da sage nochmal jemand, Philosophen verdorrten über ihren Büchern, eine gräuliche Staubschicht auf dem Cordsakko, ab und an den vergeistigten Blick durch verschmierte Brillengläser hebend. Zumindest im Falle Slavoj Žižeks gleicht das Philosophieren eher einer Art Leistungssport. Nach sechzig Minuten Vortrag ist sein graues Baumwollshirt an Brust und Rücken dunkel gefärbt, die schweißnassen Haare kleben an der Stirn. Ein erschöpftes Schnaufen setzt den Schlusspunkt zur diesjährigen Hegel-Lecture des Dahlem Humanities Center der Freien Universität, und eine jubelnde Masse im Henry-Ford-Bau beklatscht den rhetorischen Hürdenlauf Žižeks, der sich dem Namensgeber der Vorlesungsreihe höchstselbst zugewandt und gefragt hatte: Ist es heute noch möglich, Hegelianer zu sein?

Žižek, der philosophische Tausendsassa: Mit intellektuellen Schwergewichten wie Kant, Hegel und Marx hat er sich ebenso auseinandergesetzt wie mit den Filmen Alfred Hitchcocks und David Lynchs. Durchtränkt von Lacanscher Psychoanalyse deckt seine ob ihrer Länge berüchtigte Liste an Büchern ein denkbar weites Spektrum ab. Ob Pornographie oder Christentum, Oper oder Politik – wo sich der (pop)philosophisch interessierte Geist hinwendet, hat Žižek seine Schweißtröpfchen schon hinterlassen. 1949 in Slowenien geboren, ist er heute ein akademischer Weltenbummler. Er nimmt Lehrverpflichtungen an der Universität seiner Heimatstadt Ljubljana sowie an der European Graduate School in Saas Fee wahr, und diverse Gastprofessuren, Vorträge und Buchprojekte sorgen für anhaltende Popularität Žižeks auf dem philosophischen Parkett der Linksintellektuellen.

Heute „Hegelianer“ sein, das ruft für den postmodernen Denker gleich zwei Probleme hervor. Einerseits muss er sich als Anhänger eines Philosophen ausweisen, also eine Form der solidarischen Identifikation eingehen, derer sich der von Dekonstruktion und Skeptizismus durchrüttelte Geist des 21. Jahrhunderts meist verwehrt. Andererseits verschreibt sich der „Hegelianer“ ausgerechnet dem Philosophen des Deutschen Idealismus, den Žižek als Bruchstelle identifiziert. Nach ihm habe die Philosophie ihre Unschuld verloren und arbeite sich seitdem in Bejahung wie Ablehnung an ihm ab.

Dabei habe man sich insbesondere der Metaphysik der Hegelschen Philosophie zu entledigen versucht und ein „Loch“ geschaffen, das heute von naturwissenschaftlichen Disziplinen aufgefüllt werde: „Genau deswegen lesen die Menschen heute die Bücher von Stephen Hawking – sie wollen darin Antworten auf die großen Fragen finden“, sagte Žižek. In dem Versuch, zentrale Stichworte Hegels Philosophie zu verteidigen, gibt Žižek den philosophischen Erklärbär, der anschauliche Beispiele und publikumswirksame Bonmots nicht scheut. Zur Erklärung der Dialektik, eines jener Hegel-Stichworte, begibt sich Žižek auf biblisches Terrain und führt seine hegelianische Lesart der Kreuzigung Jesu vor: „Die schlechte Nachricht ist: Gott hängt tot am Kreuz. Die gute Nachricht ist: Gott hängt tot am Kreuz.“ Der Tod Gottes bedeute die Verabschiedung einer endgültigen Wahrheit. Die Welt und ihre Geschichte sei nie vollständig gegeben sondern konstituiere sich erst in nachträglichen Sinnzuschreibungen. „Wir sind hier draußen allein, ohne zu wissen, was die Dinge endgültig bedeuten“, sagte Žižek.

Der Hürden, die Žižek in seinem Vortrag zu nehmen versucht, sind viele – und manch eine wird gestreift, fällt gar um. Doch ohne Punktabzug ins Ziel zu kommen, war nicht die Aufgabe, die sich Žižek gestellt hatte. Er beschreibt das dialektische Moment als ein Geschenk der Unsicherheit, das Fragen statt Antworten produziere, und dreht Hegel damit derart um sich selbst, dass am Ende Politik statt trockener Philosophen-Lektüre das Max-Kade-Auditorium der FU durchdringt.

„Wir müssen nicht alle Hegelianer werden“, sagte Žižek , „sondern wir sollten Hegelianische Gedanken erneut mobilisieren.“ Körperlich wie rhetorisch engagiert ruft er auf zum Mut, sich dem philosophischen Denken auszusetzen. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern“ – so das berühmte Marx-Zitat in der Halle der Humboldt-Universität. Žižek greift den Allgemeinplatz der Weltverbesserung harsch an: „Vielleicht haben wir im 20. Jahrhundert zu oft versucht, die Welt zu verändern.“ Seine Vision: eine intellektuelle Politik in der Tradition Hegels, die der Dialektik und mehrdeutigen Wahrheit Raum gibt, die dem Denken seine Zeit lässt.

Nicht zuletzt die Bologna-Reform sei erschreckendes Beispiel für geistlosen Aktionismus: „Man will uns alle zu Experten machen, die ständig Antworten finden – ob auf den Klimawandel, moderne Gentechnik oder Fukushima. Aber das ist doch kein Denken! Denken bedeutet, kritisch zu hinterfragen, wie wir Probleme überhaupt als solche wahrnehmen“, empört sich Žižek. Die Anwesenden jubeln und klatschen über die Köpfe des FU-Präsidiums hinweg dem Stehpult zu. „Habt keine Angst, Intellektuelle zu sein!“ schließt Žižek seinen Vortrag. Seine Worte wirken wie Balsam auf den Seelen derer, vor denen man von Exzellenz spricht und die sich in Wahrheit nach Diskurs und Dialektik sehnen. Anna-Lena Scholz

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