zum Hauptinhalt
Gesangbuch für die Flucht. Das kleine Büchlein beinhaltet Erzählungen aus dem Christentum.

©  Kai-Uwe Heinrich

Handschriften aus Armenien: Zeichen der Zeit

Die Staatsbibliothek zu Berlin bewahrt kostbare armenische Manuskripte und kooperiert mit der Handschriftenkollektion des Matenadarans in Jerewan

In ihren Büchern findet man die Seele der Armenier wieder. Die Identität des Volkes, das überall in der Welt zerstreut lebt, kommt dort zum Ausdruck. Umso wichtiger ist es, diese wertvollen Schriften vor der Vergänglichkeit zu schützen. Genau darum bemüht sich seit fünf Jahren die Berliner Staatsbibliothek in enger Zusammenarbeit mit dem Mesrop-Maschtoz-Institut für alte Manuskripte (kurz „Matenadaran“, das armenische Wort für Bibliothek), das in Jerewan seinen Sitz hat.

Die armenische Handschriftentradition geht zurück auf das fünfte Jahrhundert, als der Mönch Mesrop Maschtoz um 405 n. Chr. das Armenische Alphabet erfand. Die Schrift hat sich seither kaum verändert. 1997 wurde die Handschriftenkollektion des Matenadarans zum Unesco-Weltdokumentenerbe erklärt.

Die größte Sammlung von armenischen Handschriften in Deutschland befindet sich jetzt in der Staatsbibliothek zu Berlin. Dazu gehört etwa das fünfzehn Zentimeter große Gesangbuch von 1447. „Es ist so klein, weil Armenien um diese Zeit von vielen Kriegen heimgesucht wurde,“ sagt die zuständige Referentin Meliné Pehlivanian. „ Es gab keinen armenischen Staat, das Volk war ständig auf der Flucht, daher mussten die Bücher leicht mitzunehmen sein.“

Kompakt und leicht transportierbar sieht das Gesangbuch von 1447 aus, das in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrt wird.
Kompakt und leicht transportierbar sieht das Gesangbuch von 1447 aus, das in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrt wird.

© Kai-Uwe Heinrich

Das Gesangbuch enthält reich illustrierte Erzählungen aus dem Christentum, das die Armenier als erstes Land der Welt bereits im Jahr 301 zur Staatsreligion erhoben hatten. Das Büchlein ist umhüllt von einem ledernen Umschlag und kann mit zwei kleinen Schnallen verschlossen werden. So geschützt, konnte es die Zeitläufte gut überstehen.

Anders war das mit dem Evangeliar aus dem 17. Jahrhundert. Diese Bibel eines Priesters wurde lange und intensiv verwendet. Gebrauchspuren, wie zum Beispiel Wachsflecken von Kerzen, sind deutlich sichtbar. Immer noch verfügt das Buch über viele Lesezeichen aus Wollfäden, mit deren Hilfe der Priester jene Stellen finden konnte, aus denen er während seiner Messen oft vorlas. Bei genauer Betrachtung sieht man, dass das Buch restauriert wurde. Die Kanten der häufig benutzen Seiten wurden mit einer hauchdünnen Schicht Japanpapier stabilisiert.

„Früher hat man beschädigte Einbände oft originalgetreu rekonstruiert“, erklärt die Restauratorin Julia Bispinck aus der Staatsbibliothek, „aber damit schafft man sie eigentlich neu“. Heutzutage gehe es dagegen um die Sicherung aller Elemente am Objekt und einen möglichst geringen restauratorischen Eingriff.

"Das Buch ist der Schatz und das Gedächtnis der Familie"

In dieser Hinsicht sind die Restauratorinnen der Berliner Staatsbibliothek ausgewiesene Experten. Um ihre speziellen Kenntnisse mit den armenischen Fachkollegen zu teilen, reiste im September 2016 im Rahmen der schon mehrere Jahre bestehenden Kooperation mit dem Matenadaran eine Delegation nach Jerewan. Ziel war es, nur mit den vor Ort bestehenden Möglichkeiten die besten Restaurierungstechniken zu diskutieren und anzuwenden. „Der Workshop war sehr praxisorientiert“, berichtet Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Berliner Staatsbibliothek. In Jerewan habe sie gespürt, dass die Schrift für die Armenier mehr sei als bloß ein Vermittler von Text.

Julia Bispinck sieht das genauso. „Wir haben leidenschaftlich diskutiert, den Handschriften wurde mit sehr viel Liebe begegnet.“ Schließlich erzählen sie so viel über die damalige Gesellschaft. Manchmal haben die Besitzer über Jahrhunderte die Familiengeschichte auf den ersten Seiten eingetragen. „Das Buch ist der Schatz und das Gedächtnis der Familie“, sagt Pehlivanian, „manchmal das Gedächtnis eines ganzen Dorfes.“ Auch wenn das Dorf über die ganze Welt verstreut lebt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false