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Hans Mommsen sitzt vor einem Bücherregal und blättert in einem Buch.

© dpa

Historiker & Holocaustforscher: Hans Mommsen gestorben

Der Historiker Hans Mommsen, bekannt für seine Forschung zur NS-Geschichte, ist am Tag seines 85. Geburtstags nach langer Krankheit gestorben.

Hans Mommsen kann als einer der wirkungsmächtigsten und streitbarsten Geschichtsforscher der Nachkriegszeit gelten. Sein ganzes Gelehrtenleben hindurch widmete er sich brisanten Themen: der Geschichte der Weimarer Republik, des NS-Staates, des Holocaust, des deutschen Widerstandes und der Rolle der Wirtschaft im NS-Zwangsarbeitssystem. Er räumte auf mit der These von der überragenden Rolle Adolf Hitlers als großem Volksverführer und lenkte den Blick auf die Strukturen und Apparate der Machtausübung mit zahlreichen Tätern, Helfern, Mitwissern und Mitläufern. Eine unbequeme Sichtweise, weil sie unerbittlich den Blick lenkte auf die Mitverantwortung jedes einzelnen Staatsbürgers.

Urenkel des legendären Althistorikers Theodor Mommsen

Mommsen entstammte einer bedeutenden Historikerdynastie. Er war Urenkel des legendären Liberalen und Althistorikers Theodor Mommsen, der für seine „Römische Geschichte“, bis heute ein Standardwerk, 1902 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sein Vater Wilhelm Mommsen lehrte als Ordinarius Geschichte in Marburg, verteidigte zunächst die Weimarer Republik, die erste deutsche Demokratie, verstrickte sich dann aber ins NS-Unrechtssystem. Dass er nach dem verlorenen Krieg nicht auf seinen Lehrstuhl zurückkehren konnte, prägte die Kindheit Mommsens und seines Zwillingsbruders Wolfgang J. Mommsen, ebenfalls Geschichtsprofessor, der 2004 starb.

Hans Mommsen begann seine wissenschaftliche Laufbahn am Historischen Seminar der Universität Tübingen und landete nach Stationen in München und Heidelberg schließlich an der Bochumer Ruhruniversität, wo er von 1968 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1996 als Professor für Neuere Geschichte lehrte. Außerdem war er Gastprofessor und Fellow an bedeutenden Universitäten, etwa in Harvard, Princeton und Oxford.

Mommsen beteiligte sich offensiv an politischen Debatten

Doch Mommsen verkroch sich nie im Studierstübchen, sondern beteiligte sich offensiv an politischen Debatten. Im berühmten Historikerstreit positionierte er sich in den 80er Jahren klar gegen die These seines Kollegen Ernst Nolte, der den Holocaust als mögliche Reaktion auf die Verbrechen der Sowjets gedeutet hatte. 1996 erschien seine große Studie über die Verzahnung von Rüstungsindustrie, Zwangsarbeit und Vernichtungsprogrammen am Beispiel des VW-Konzerns. Mit dieser Arbeit legte er auch die Grundlage für die kontroverse Debatte um eine Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, die schließlich in der Einrichtung einer entsprechenden Stiftung mündete.

Bilanz seiner jahrzehntlangen Holocaustforschung

Mommsens letztes Buch erschien 2014. Mit dem Titel „Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa“ zog er die Bilanz seiner Jahrzehnte langen Holocaust-Forschung. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ würdigte Mommsen anlässlich seines 80. Geburtstags im Jahre 2010 als „einen der ganz Großen seines Fachs“. Er gehöre zu jenen Repräsentanten der langen Generation sozialliberaler Historiker, die in den 1960er Jahren angetreten sei, die westdeutsche Geschichtswissenschaft von verstaubten Traditionen zu befreien. „Er hat das historische Selbstverständnis der Republik im Sinne einer demokratischen Bürgerkultur geprägt wie kein Zweiter.“

Hans Mommsen ist an diesem Donnerstag, am Tag seines 85. Geburtstags, nach langer Krankheit gestorben. (dpa/Tsp)

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