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Schatz aus der Tiefe. Helium wird vor allem aus Erdgas gewonnen, das aus dem Untergrund gefördert wird. Damit wird in absehbarer Zeit Schluss sein. Foto: dapd

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Helium: Treibstoff für Kälte

Forschung, Industrie, Medizin – der Verbrauch von Helium nimmt zu. Doch die Quellen des Edelgases versiegen

Das Heliumparadoxon. Diesen Begriff wird man in den deutschen Wörterbüchern vergebens suchen, obwohl es existiert. Denn das Edelgas, das den Namen des griechischen Sonnengottes trägt, ist im Weltall das zweithäufigste Element: 23 Prozent der Masse der sichtbaren Materie bestehen aus Helium, welches zum überwiegenden Teil kurz nach dem Urknall entstand, aber auch durch Kernfusion in Sternen produziert wird. „Die Frage ist nur, wie viel wir davon hier auf der Erde haben“, skizziert Wolfgang Sandner, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, das Problem. „Helium hat eine sehr geringe Masse und gehört deshalb zu den leichtflüchtigen Gasen.“ Dies sei auch einer der Gründe, warum in der Atmosphäre nur ein verschwindend geringer und ökonomisch heutzutage nicht sinnvoll verwertbarer Anteil des Gases existiert.

Die einzigen Ressourcen, auf die hier auf der Erde zurückgegriffen werden kann, sind im Wesentlichen die Heliumanteile im Erdgas. Aber nicht jede Lagerstätte hat eine entsprechendes Erdgas-Helium-Verhältnis. „Um es sinnvoll extrahieren zu können, sollte der Heliumanteil mindestens einige Prozent betragen“, sagt Sandner. In Extremfällen macht das Edelgas bis zu einem Zehntel des geförderten Erdgases aus, doch das sind Ausnahmen. Ab etwa sieben Prozent Heliumgehalt sei die Gewinnung wirtschaftlich, sagt Sandner. Diese Quote bieten aber nur sehr wenige Lagerstätten. Sie finden sich in den USA, Algerien, Katar und Russland. Diese Länder decken im Wesentlichen den weltweiten Heliumbedarf von 150 bis 180 Millionen Kubikmetern.

Zwar ließen sich, bei entsprechender Nachfrage, auch andere Erdgaslagerstätten nutzen. Langfristig besteht das Problem aber nicht in den steigenden Gewinnungskosten, sondern in der Endlichkeit der Vorräte. „Selbst wenn Helium heute noch vergleichsweise billig ist, darf man nicht die Augen davor verschließen, dass es in absehbarer Zeit zu Ende sein wird“, sagt Sandner. In maximal 30 Jahren werde es kein Helium mehr geben, warnte bereits der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Robert Richardson.

Der Bedarf an Helium ist groß und nimmt zu. Die Palette seiner Anwendung ist breit, denn das farblose, geruchlose, ungiftige Gas besitzt hervorragende Eigenschaften. Es bleibt auch bei sehr tiefen Temperaturen gasförmig und wird erst nahe dem absoluten Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius flüssig. Deshalb wird es in der Grundlagenforschung, der Medizin und Industrie vielfältig genutzt.

Für manche Anwendungen ist Helium aus heutiger Sicht unentbehrlich. Am häufigsten wird es in der Tieftemperaturtechnik eingesetzt, besonders als Kühlmittel für supraleitende Magneten. Rund ein Viertel des weltweiten Heliumverbrauchs geht auf die Erzeugung extremer Kälte zurück. Zwar gelang es durch Rückgewinnungsanlagen und andere technische Entwicklungen, den Verbrauch spürbar zu senken. Aber vor allem Magnetresonanz-Tomographen (MRT) für die medizinische Diagnostik und die für chemische Analysen genutzten „NMR-Spektrometer“ sind weiterhin auf Helium angewiesen. Ebenso können Beschleuniger für Elementarteilchen wie der Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf nur mit Helium tiefgekühlt werden.

Weitere Verwendung findet das Gas bei der Herstellung von Silizium-Wafern, der Grundlage für Computerchips oder Solarzellen. In der Industrie wird es außerdem beim Schutzgasschweißen eingesetzt. Das Helium schützt dabei die Schweißnaht vor dem Luftsauerstoff, was die Qualität der neu geschaffenen Verbindung erhöht.

Darüber hinaus dient Helium als Füllgas für Ballone und Traggas für Luftschiffe, als Atemgas für Tiefsee-Aqualungen sowie bei der Altersbestimmung von Gesteinen, ferner zum Spülen der Treibstofftanks von Raumfahrzeugen. Für diesen Einsatz haben Ingenieure zum Teil Alternativen in Form von Argon, Stickstoff oder Wasserstoff entwickelt. Das gilt aber nicht für die Herstellung von Glasfasern, die für die Datenübertragung genutzt werden.

Zwar lässt sich auch Helium recyclen – was angesichts der kritischen Lage verstärkt getan werden muss. „Doch damit gewinnt man kein neues Helium, denn man streckt einfach nur die Vorräte und schafft keine neuen. Man hält einen Status quo aufrecht“, warnt Sandner. Und: Es ist offenbar momentan noch teurer, Helium zu recyclen, als neu gewonnenes Helium zu verwenden.

So bleibt als eigentliche Lösung des Problems gegenwärtig nur die künstliche Herstellung durch Kernreaktionen. Das geschieht beispielsweise indem Lithium mit Neutronen beschossen wird. Dabei entstehen die Heliumsorte 4-He und „superschwerer Wasserstoff“ (Tritium), aus dem durch radioaktiven Zerfall das Isotop 3-He wird.

Doch die Methode wird kaum genutzt – zu teuer. Zumindest Helium-3, das in der Natur extrem selten ist, wird bisher vorrangig bei der Wartung und Demontage von amerikanischen Kernwaffen gewonnen, die ebenfalls Tritium enthalten. Aber auch diese „Quelle“ wird im Zuge der atomaren Abrüstung immer weniger liefern. Theoretisch könnte Helium-4 einmal in Kernfusionsreaktoren erzeugt werden. Doch diese Technik ist noch lange nicht einsatzbereit. Hinzu kommt, dass in kerntechnischen Anlagen auch nur kleine Mengen des Edelgases hergestellt werden können. „Im Vergleich zum weltweiten Bedarf wäre das unverhältnismäßig teuer“, sagt Sandner.

Helium ist somit weit kostbarer als sein momentaner Marktwert und Modellfall für eine tatsächlich begrenzte Ressource. Umso wichtiger ist es, die noch vorhandenen Reserven klug einzusetzen und wo möglich Alternativen zu nutzen.

Bernhard Mackowiak

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