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Licht ins Dunkel. Forscher können hauchdünne Scheiben des menschlichen Gehirns mit polarisiertem Licht durchleuchten und so erkennen, in welche Richtung Nervenfasern verlaufen. Auch dabei entstehen Datenberge.

© Forschungszentrum Jülich

Helmholtz-Forschungszentren: „Ich finde die Energiewende klug"

Wachstum, Big Data und Kooperationen mit den Unis: Ein Gespräch über die Pläne der Helmholtz-Gemeinschaft mit ihrem Präsidenten Otmar Wiestler.

Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren ist ein stiller Gigant. Mit 37000 Mitarbeitern und einem Budget von rund vier Milliarden Euro ist sie die größte deutsche Forschungseinrichtung außerhalb der Hochschulen. Ihre 18 Zentren decken große Gebiete der Naturwissenschaften und Medizin ab und werden zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent vom jeweiligen Bundesland bezahlt. Über die Herausforderungen der Helmholtz-Gemeinschaft haben wir mit Otmar Wiestler (60) gesprochen, seit 2015 Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. Zuvor leitete der Mediziner und Neuropathologe das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Herr Wiestler, die Helmholtz-Gemeinschaft ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Andere außeruniversitäre Einrichtungen, besonders die Universitäten, sehen das mitunter kritisch. Werden Sie diesen Kurs fortsetzen?

Alle deutschen Forschungsorganisationen haben in den vergangenen Jahren erheblich von der nachhaltigen Unterstützung durch die Bundesregierung und die Länder profitiert. Für die Helmholtz-Gemeinschaft gelten über den Pakt für Forschung und Innovation exakt die gleichen Aufwuchsbedingungen wie für alle anderen außeruniversitären Einrichtungen – nämlich ein jährliches Wachstum von drei Prozent. Wir haben keine Sonderstellung. Allerdings sind einige weitere Forschungszentren in die Gemeinschaft aufgenommen worden. Im deutschen Wissenschaftssystem denkt jede Organisation darüber nach, worin ihr besonderer Auftrag besteht und worin ihre besonderen Stärken liegen. Da gibt es Unterschiede.

Universitäten haben sicher ein breiteres Spektrum als die außeruniversitären Einrichtungen, wenn man beispielsweise an die Lehre denkt. Die Max-Planck-Gesellschaft richtet sich auf Grundlagenforschung aus, die Fraunhofer-Gesellschaft greift Themen auf, die relativ nahe an der Anwendung sind. Helmholtz ist geprägt durch die Arbeit von 18 Zentren, die sehr viel interdisziplinäres Know-how besitzen, und alle eine kritische Größe sowie exzellente Infrastruktur besitzen. Damit haben wir das Potenzial, in unseren sechs Forschungsbereichen die großen und drängenden Fragen der Gesellschaft mit hoher Systemkompetenz zu bearbeiten.

Also ein primus inter pares?

Das will ich so nicht sagen. Wir haben die Möglichkeit, bei einigen Themen einen umfassenden Bogen zu spannen – von herausragender Grundlagenforschung über Forschung und Entwicklung bis hin zur Anwendung. Da liegt eine Besonderheit der Helmholtz-Gemeinschaft, die andere Organisationen vielleicht nicht haben. Diese Stärke möchte ich weiterentwickeln. Wir können sie vor allem dann nutzen, wenn wir auf die richtigen Themen setzen, für die wir eine einmalige Kompetenz besitzen. Die entscheidende Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen: Erreichen wir dieses Ziel? An jedem Zentrum und innerhalb unserer Forschungsprogramme?

Und, erreichen Sie es?

Wir erreichen das in unterschiedlichem Ausmaß, aber in erstaunlicher Weise. Die Zentren sind nicht identisch aufgestellt. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, von dem ich komme, leistet substanzielle Beiträge zum Thema Krebs. Wir tun das auf internationalem Spitzenniveau, von den Grundlagen bis in die klinische Anwendung.

Otmar Wiestler. Der Mediziner leitet seit September 2015 die Helmholtz-Gemeinschaft.
Otmar Wiestler. Der Mediziner leitet seit September 2015 die Helmholtz-Gemeinschaft.

© Steffen Jaenicke

Wie sieht es in den anderen Zentren aus, gibt es da welche, wo Sie als Präsident sagen, da muss mehr passieren?

So einfach lassen sich unsere Zentren nicht vergleichen, weil sie sich in ihren Forschungsfeldern erheblich unterscheiden. Das DKFZ ist thematisch sehr stark fokussiert. Das Forschungszentrum Jülich beispielsweise oder das Karlsruher Institut für Technologie sind ebenfalls Spitzeneinrichtungen auf ihrem Gebiet, aber mit einem anderen Portfolio. Sie waren in der Vergangenheit sehr breit aufgestellt und haben es nun geschafft, Profile zu entwickeln, zum Beispiel auf dem Gebiet der Informationstechnik oder der Energieforschung. Generell müssen wir immer wieder fragen: Sind wir auf den jeweiligen Gebieten an der internationalen Spitze, nutzen wir unsere Systemkompetenz ausreichend? Ein entscheidendes Moment dabei sind die Mitarbeiter. Wir bieten den talentiertesten Köpfen aus aller Welt hervorragende Forschungs- und Arbeitsbedingungen. Am Ende des Tages hängt unser Erfolg davon ab, dieses kreative Miteinander talentierter Menschen auch in Zukunft als Markenkern zu leben.

Welche Themen sind aus Ihrer Sicht besonders spannend und müssten künftig stärker in den Fokus gerückt werden?

Ein Gebiet, von dem ich glaube, dass es für die Entwicklung der Wissenschaft insgesamt entscheidend ist, ist Information and Data Science. Es entwickelt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit und erfordert völlig neue Herangehensweisen – jenseits dessen, was die klassische Informatik tut. Dieses spannende Feld muss konsequent entwickelt werden! Wir haben bei Helmholtz viele Bausteine dafür. Wir betreiben Supercomputer, sind in Chip- und Cloud-Technologien sehr gut unterwegs, haben viel Expertise in Mathematik und Algorithmen, verfügen über viel Erfahrung in Modellierung und Simulation, was immer wichtiger wird, um komplexe Prozesse darzustellen.

Begrenzt ist unsere Expertise bei maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz, da müssen wir nachholen. Mehr als jede andere Organisation erzeugen wir Big Data in allen Bereichen. In der Medizin, der Energieforschung, der Luft- und Raumfahrt, der Physik, den Erde- und Umwelt-Wissenschaften. Nun stellt sich die Frage, wie fügt man all das zusammen, um eine völlig neue Art von Informationswissenschaft zu erreichen? Das ist für Helmholtz auch deshalb spannend, weil sich das Thema nicht mehr an die Grenzen einzelner Zentren oder Forschungsdisziplinen hält. Dieses muss die Gemeinschaft insgesamt bewegen.

Wie soll das gelingen?

Wir haben einen Inkubator gegründet, in dem etwa 50 führende Köpfe in puncto Information and Data Science aus allen Helmholtz-Zentren regelmäßig zusammenkommen und gemeinsam Ideen entwickeln, um bei diesem Thema voranzukommen. Welche Infrastruktur ist nötig, wie bilden wir gemeinsam mit Universitäten eine neue Generation von Data Scientists aus? Ich möchte das Know-how von Helmholtz nutzen, um eine völlig neue Art der komplexen Datenanalyse zu erreichen. Wir haben in vielen Bereichen enorm viele Daten gesammelt, die oft sehr heterogen sind. In der Medizin zum Beispiel gibt es schriftliche Unterlagen für jeden Patienten, es gibt Laborwerte, zahlreiche Bilder, eine gesamte Erbgutsequenz von Kranken, Behandlungsdaten und so weiter. Unser Ziel ist es, Formate finden, um all diese Informationen zusammenzuziehen, sodass wir krankheitsrelevante Zusammenhänge auf einer völlig neuen Ebene studieren können.

Werden Sie dabei mit Firmen kooperieren?

Ich habe keine Scheu, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. Das ist ein wichtiges Thema für uns. Helmholtz hat zwar eine ansehnliche Größe, doch auf vielen Feldern können wir nur erfolgreich sein, wenn wir uns Partner suchen. Partner, die am besten zu uns passen, um am schnellsten die Probleme anzugehen, die wir bearbeiten. Das sind für uns zuerst die Universitäten. Dann suchen wir immer innerhalb der eigenen Organisation danach, wer bei einer Fragestellung am besten zusammenpasst, wo wir uns ideal ergänzen können. Wir arbeiten mit außeruniversitären Einrichtungen zusammen, sind international unterwegs. Und wir benötigen, wenn wir es ernst meinen mit der Systemkompetenz und dem Wunsch, bestimmte Entwicklungen bis zur Anwendung zu bringen, intelligente Partnerschaften mit der Wirtschaft.

In Ihren Pressemitteilungen ist immer wieder „Forschen für die Energiewende“ zu lesen, die ja letztlich politisch verordnet ist. Ist das nicht ein Spagat zu erkenntnisgetriebener Grundlagenforschung?

Die Energiewende ist nicht rein politisch verordnet, sondern auch eine wissenschaftliche und ökologische Priorität. Wir müssen den Kohlendioxid-Ausstoß unbedingt in den Griff bekommen, das ist an vielen Orten auf dieser Welt zu sehen. Ich finde die Energiewende klug und ich glaube, dass sie eine hervorragende Chance für die deutsche Wissenschaft und Wirtschaft ist – wenn wir sie nutzen. Dazu benötigen wir weltweit erneuerbare Energien, neue Materialien, insbesondere, wenn es um Speicherung von Energie geht. Wir müssen intelligent aufgebaute und gesteuerte Energiesysteme entwickeln, die dem Bedarf angepasst sind. Da gibt es gerade für uns viel zu tun.

Die Fragen stellte Hartmut Wewetzer.

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