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Speed

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Tagesrückspiegel – Heute vor 136 Jahren: Ein Labor auf Speed

Chemiker können Myriaden verschiedener chemischer Substanzen synthetisieren. Bei Ähnlichkeiten mit menschlichen Neurotransmittern kann das unerwartete Folgen haben.

Es war die Fingerübung eines begabten jungen Chemikers, nichtsahnend, was er damit in die Welt setzen würde. Am 18. Januar 1887 experimentierte Lazăr Edeleanu in einem Labor an der Humboldt-Universität. Das Erdöl-Zeitalter hatte begonnen, und wie viele andere wollte Edeleanu herausfinden, wie man die langkettigen Kohlenwasserstoffmoleküle, die man dem Erdreich entrissen hatte, in neue Moleküle mit unterschiedlichen Eigenschaften umwandeln könnte.

Der 26-jährige Rumäne jüdischer Herkunft war fürs Studium in die deutsche Hauptstadt gekommen und hantierte nun mit Kolben und Destillierapparaten. Er fügte zu einer bekannten Ausgangssubstanz Brom, dann Kalilauge hinzu, leitete anschließend mehrere Stunden Wasserdampf durch die entstandene Mischung.

Am Ende erhielt er eine „farblose, stark lichtbrechende Flüssigkeit“, die sich in ein wasserlösliches Salz überführen ließ. Er analysierte die neue Substanz, ermittelte ihre Strukturformel und notierte sie neben vielen anderen in seiner Doktorarbeit. Diese erschien noch im selben Jahr unter dem unverdächtigen Titel „Über einige Derivate der Phenylmethacrylsäure und der Phenylisobuttersäure“.

Über Jahrzehnte verstaubte die Arbeit in den Bibliotheken, bis zwei britische Biochemiker 1910 die Substanz wiederentdeckten. Die beiden suchten nach einem billigen Ersatz für Ephedrin, eine aus Pflanzen gewonnene Substanz. Wie Alkohol, Nicotin oder Kokain wurde Ephedrin bereits seit Jahrtausenden in verschiedenen Kulturen konsumiert und unter anderem zur Behandlung von Asthma eingesetzt.

Lazăr Edeleanu erfand nichtsahnend Amphetamin.

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Die vergessene Substanz von Edeleanu wirkte ähnlich, aber ungleich potenter. Durch eine zufällige Ähnlichkeit dem menschlichen Neurotransmitter Adrenalin, aktiviert sie das vegetative Nervensystem, steigert Herzfrequenz, Blutdruck und Leistungsfähigkeit, unterdrückt das Schlafbedürfnis, macht hellwach – und süchtig.

Sie hat viele Namen, durchgesetzt hat sich Amphetamin, bekannt ist sie auch als Speed. In den 30er Jahren wurde Amphetamin bedenkenlos eingesetzt, ob gegen Migräne, Polio, Depression, Epilepsie, Parkinson oder Impotenz. Das wohl bekannteste Opfer: Judy Garland, die schon als 17-Jährige während der Dreharbeiten zu „Der Zauberer von Oz“ von den Filmproduzenten Amphetamin verabreicht bekam und nach lebenslänglichen Substanz-Abhängigkeiten mit 47 an einer Überdosis Schlafmittel starb.

Lazăr Edeleanu kam nach seiner Doktorarbeit in ganz anderem Zusammenhang zu Ruhm und Wohlstand – er erfand ein Verfahren, mit dem man stinkendes Rohöl in Petroleum verwandeln konnte.

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