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Hochschulpolitik: Die Universität, das bin ich!

Immer mehr Wissenschaftler klagen über „Präsidialdiktaturen“. Wie hierarchisch muss eine Hochschule geführt werden?

Post von der Präsidentin. Als die Dekane der Universität Hamburg den Brief der Unileitung öffneten, stand sogleich eine Frage im Raum: Darf die das? Monika Auweter-Kurtz, die die Hochschule erst seit November leitet, behält sich in dem Schreiben vom März ausdrücklich die alleinige Außenvertretung der Uni vor. Professoren, die mit den Medien sprechen wollten, sollten deshalb vorher die Pressestelle der Universität kontaktieren.

Eine Unileitung, die die Meinungsfreiheit mit einem Maulkorberlass aushebeln will – so haben empörte Wissenschaftler und Studierende der Universität den Brief verstanden. Aus ihrer Sicht markiert das Schreiben einen neuen Höhepunkt einer fragwürdigen Entwicklung im deutschen Hochschulwesen: der Entstehung von „Präsidialdiktaturen“, die sich über die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden einfach hinwegsetzen nach der Devise: Die Universität, das bin ich! Einen „Skandal“, nennt Christine Landfried, Professorin für Politikwissenschaften in Hamburg, das Ansinnen der Präsidentin und fordert nun eine große Debatte über die Leitungsstrukturen von Hochschulen.

Landfried steht nicht allein da. Viele Wissenschaftler und Studierendenvertreter beobachten die zunehmende Konzentration von Befugnissen bei den Hochschulleitungen mit Skepsis. Gerade erklärte der Fachbereich Rechtswissenschaft der Uni Frankfurt, der Wissenschaftsbetrieb sei „kein Befehlsprodukt entscheidungsfroher Präsidien und Dekane“. Wissenschaftliche Leistung lasse sich nicht obrigkeitlich anordnen.

Zusätzlich angetrieben wird der Trend zur Hierarchisierung durch den Elitewettbewerb von Bund und Ländern. In ihren Anträgen entwerfen die Unileitungen neue Welten. Dem Präsidenten und den von ihm ausgesuchten Beratern wird dabei so viel Macht zugestanden wie nie zuvor. So wird an der Freien Universität (FU) Berlin ein „Exzellenzrat“ etabliert, der die zukünftigen Themen für den Forschungsolymp bestimmt. Die Mitglieder ernennt der Präsident. Diese „demokratiefreie Managementstruktur“ entziehe die Forschung der Mitbestimmung der Gremien zugunsten „vielfältiger klüngelartiger und seilschaftlicher Privatverbindungen“, hat Bodo Zeuner, Politologe an der Freien Universität, unlängst bei seiner Abschiedsvorlesung kritisiert.

„Wir wollen keine Organisationsformen, in denen Präsidenten ihre Profilneurosen pflegen können“, sagt der Chef des konservativen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, Professor für Rechtswissenschaften. Noch deutlicher wird Torsten Bultmann vom links orientierten Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Die Präsidenten entwickelten sich zu „absoluten Monarchen“, die Gremien würden auf „folkloristische Schrumpfformen reduziert“. Unter dem „angemaßten Politikmonopol der Universitätszentrale“ und ihrer „Mauschelrunden“ werde eine unabhängige, kritische und innovative Wissenschaft aber schlecht gedeihen.

Straffe Leitungen – ist es nicht genau das, was die Hochschulen unbedingt brauchen? Allerdings, sagt Karl Max Einhäupl, Professor an der Charité und früher Vorsitzender des Wissenschaftsrats: „Demokratie an der Universität bedeutet zu oft: Jeder kann machen; was er will, und das Geld dafür kommt aus der Steckdose.“ Tatsächlich vollzieht sich seit etwa zehn Jahren ein tief greifender Wandel. Die Länder geben den Hochschulen mehr Freiheiten, etwa wenn es um die Verwendung der Mittel oder um Berufungen geht. Die staatliche Verwaltung zieht sich aus der Detailsteuerung zurück. Doch eine Hochschule, die mehr Verantwortung übernimmt, muss ihr auch gewachsen sein. Entscheidungen dürfen nicht endlos aufgeschoben oder nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner getroffen werden. Es muss persönlich Verantwortliche geben. Die Hochschulen brauchen also handlungsfähige Leitungen, wie der Wissenschaftsrat 1993 festgestellt hat.

Die Bestrebungen, Entscheidungswege zu straffen, sind nicht zuletzt eine Reaktion auf die Auswüchse der Gruppenuniversität, die die deutschen Hochschulen jahrzehntelang geprägt hat. „Gruppenuniversität“, das bedeutet, nicht nur die Professoren, sondern auch die Studierenden sowie die wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeiter entsenden Repräsentanten in die Gremien und sind an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt. Diese Mitbestimmung war ein Sieg der 68er-Bewegung über die alte Ordinarienuniversität, in der allein die Professoren etwas zu sagen hatten. Doch die Gruppenuniversität war lange Zeit politisiert. Linke und Rechte bekämpften einander und behinderten so den Betrieb. Die Fraktionsuni regelte Konflikte um Geld und Stellen mit einer Gießkannenpolitik, die alle beschwichtigte, aber eine Konzentration auf Stärken verhinderte.

Die Missstände an der Massenuni, neue Sparzwänge und ein neuer Wettbewerb der Hochschulen um Geld und Ansehen verhelfen seit Mitte der neunziger Jahre neuen Organisationsformen zum Durchbruch. Die Akademischen Senate (AS) werden entmachtet. Als „professionell“ gilt es, wenn die Präsidien und Dekane die Hochschulen wie Manager leiten: Forschungsschwerpunkte setzen, Weisungen erteilen, Geld direkt vergeben.

In Hamburg nutzt die Präsidentin die neuen Spielräume voll aus, sagt Christine Landfried. So gebe es Konflikte mit der Unileitung um Berufungen. Auch aus Berlins Unis berichten Wissenschaftler, die Präsidenten widmeten Aufgabengebiete von Professuren nach Gutdünken um, ja, sie unterliefen sogar die im AS beschlossene Verteilung von Professuren auf die Fachbereiche. Entspreche ein Berufungswunsch einer Fakultät nicht dem des Präsidenten, gebe es „Pingpongspiele“: Die Präsidenten verzögerten die Berufung so lange, bis sich die Fakultäten beugen müssen – was etwa in den USA undenkbar wäre. Dort sind Präsidenten tatsächlich Manager, die sich um die finanziellen Angelegenheiten kümmern. Akademische Fragen werden ausschließlich in den Fakultäten unter starker Beteiligung der Professoren entschieden.

Kritiker befürchten, in Deutschland könnten autokratisch gesinnte Unileitungen letztlich der Wissenschaft schaden. Die Vielfalt des Forschungsspektrums könnte zunehmend dem persönlichen Geschmack eines Einzelnen geopfert werden, Günstlingswirtschaft sich breitmachen. Vor allem könnten intransparente Leistungskriterien die Qualitätssicherung erschweren. Die Präsidenten würden dann zu Innovationsbremsen.

Solche Risiken sieht die schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen nicht. Gibt es bei Berufungen Ärger mit den Fachbereichen, kann der Präsident sogar selbst eine ihm geeignete Person für eine Professur benennen. So will es das neue „Hochschulfreiheitsgesetz“. Die Professoren sollen davon abgehalten werden, Mittelmaß zu berufen, das ihnen selbst nicht die Show stiehlt.

Während der Präsident zunehmend mächtiger wird, schrumpft zugleich seine Legitimationsbasis. Die Kandidaten für das Präsidentenamt werden vielerorts inzwischen nicht mehr von den Gremien, sondern von den mit Externen besetzten Hochschulräten ausgesucht. Die Gremien sollen nur noch abnicken. Das geht nicht immer gut. In der letzten Zeit haben mehrfach Gremien von den Hochschulräten ausgesuchte Kandidaten „abschmieren lassen“, wie ein Experte formuliert: In Darmstadt, Tübingen, Heilbronn und Reutlingen widersetzten sich die Wähler den Wünschen der Externen, weil sie die Kandidaten für ungeeignet hielten.

Damit solche Pannen nicht passieren, wählen in NRW gar nicht erst die Gremien der Basis den Präsidenten oder die Präsidentin, sondern gleich der Hochschulrat. Ähnlich bei den Präsidentenwahlen entmachtet wird die Basis in Bayern, dem Saarland und Schleswig-Holstein.

Um den Gremien die Macht über die Unileitung zu entwinden, sollen die Präsidenten in NRW sich ferner ihre Vizepräsidenten selbst aussuchen dürfen, anstatt die von den Gremien gewählten Kollegen bei Amtsantritt gleichsam „in Kauf“ nehmen zu müssen. In Berlin hat Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität (HU), deutlich gemacht, dass er das für eine gute Idee hält. Konflikte in seinem Präsidium gab es sowohl mit einer Vizepräsidentin, die schließlich zurücktrat, als auch mit dem nun nach Darmstadt wechselnden Vizepräsidenten Hans Jürgen Prömel. „Die Unileitung ist kein Debattierclub“, hat Günter Stock, der Kuratoriumsvorsitzende der HU, zu den Querelen festgestellt.

Ein weiterer Versuch der Politik, die Präsidien gegenüber der Unibasis zu stärken, sind die neuen langen Amtszeiten. Sechs Jahre dauert eine Wahlperiode in NRW, Wiederwahl ist möglich und erwünscht. Das aber birgt die Gefahr von „Verkrustungen, die von den Akteuren nicht wahrgenommen werden“, warnt etwa Johann-Dietrich Wörner, der selbst zwölf Jahre die Technische Universität Darmstadt geleitet hat und nun Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist.

Starke Präsidenten – doch wer kontrolliert sie? Eigentlich müsste dies vor allem die Aufgabe der neuen Kuratorien oder Hochschulräte sein. Nach Art der Aufsichtsräte in der Wirtschaft gehören sie zu jeder „unternehmerischen Hochschule“, wie sie Detlef Müller-Böling, der Chef des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), als neues Idealbild Mitte der neunziger Jahre entwarf.

In den Kuratorien alter Art hatten in Zeiten der Fraktionsuni die Vertreter der Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit den Mitgliedern der Akademischen Senate Bündnisse gemäß der politischen Farbenlehre geschmiedet. Die Kuratorien neuer Art sind mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens besetzt – besonders mit Wirtschaftsbossen, wie Kritiker beklagen – und sollen externen Sachverstand einbringen. Damit übernehmen sie Aufgaben des sich zurückziehenden Staates.

Nach Jahren der Erfahrung zeigen sich inzwischen die Mängel der neuen Strukturen. Wie soll ein Aufsichtsrat, der sich nur zwei Mal im Semester trifft und überwiegend aus hochschulfremden Personen besteht, das Präsidium mit seinen Informationsvorsprüngen kontrollieren und rechtzeitig Fehlentwicklungen stoppen? Eher neigen die Mitglieder dazu, sich in informellen Kamingesprächen vom Präsidenten für dessen Politik einnehmen zu lassen. „Aus den Beiräten können leicht Beischläfer werden“, hat ein Kuratoriumsmitglied einer renommierten Uni beobachtet. Hinzu kommt ein entscheidender Konstruktionsfehler: Die Gesetzgeber machen die Kuratorien nicht nur für die Aufsicht über die Hochschulen zuständig, sondern beteiligen sie auch maßgeblich an Grundsatzentscheidungen – damit werde aber die Gewaltenteilung zwischen den Hochschulräten und den Präsidien ausgehebelt, kritisiert der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann.

„Blauäugig“, nennt Berlins ehemaliger Wissenschaftssenator George Turner in seinem jetzt erscheinenden Aufsatz „Autonomie und Hochschulleitung“ die in die Kuratorien gesetzten Hoffnungen. Viele zentrale Probleme der Unis seien auch mit diesem Gremium nicht zu lösen. Vielmehr führten die Hochschulräte zu einer Entfremdung der Professoren von „ihrer“ Hochschule. Identifikation ist aber ein Erfolgsgeheimnis zumal der amerikanischen Hochschulen, in denen die Professoren maßgeblich mitreden.

Was ist zu tun? Gibt es für deutsche Hochschulen nur die Wahl zwischen „Präsidialdiktaturen“ oder viertelparitätisch besetzten „Quasselrunden“, wie sie in Berlin diskutiert werden (siehe Kasten)? George Turner plädiert für mittlere Wege, die an vielen Hochschulen auch existieren. Die Gremien, in denen die Professoren die Mehrheit haben, sind noch an Entscheidungen beteiligt – wenn auch nicht so stark wie früher – und wählen auch die Leitung. Aber an der Spitze steht ein handlungsfähiger Präsident mit Richtlinienkompetenz. Er teilt die Macht mit den Vizepräsidenten, die eigene Ressortzuständigkeiten haben. Dieses Präsidium bildet die Spitze einer Verwaltung, deren Effizienz vielerorts noch verbessert werden muss, um die Forscher zu entlasten. Dafür, wie genau die Hochschulen das Spannungsfeld zwischen der Basis, den Fakultäten und der Leitung organisieren, sollen sie Spielräume haben, sagt Turner. „Eine allein selig machende Lösung gibt es nicht.“ Und selbst das beste Modell sei gegen den menschlichen Faktor nicht gefeit: Ungeeignete Persönlichkeiten machen nun einmal keine gute Hochschulpolitik.

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