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Humboldt-Universität: Erster Besuch im Grimm-Zentrum

Elegant lesen: Die neue Zentralbibliothek der Humboldt-Universität in Mitte ist ein Ereignis. 1250 Studierende und Forscher finden in den atmosphärisch hinreißenden Lesesälen Platz.

Dies wird der letzte große Bibliotheksneubau in Berlin sein, der in großem Stil Lese- und Arbeitsplätze anbietet. Doch mag in der Ära des Internets auch die Kunde von einer neuen Zentralbibliothek der Humboldt-Universität als unzeitgemäß empfunden werden: Das Jacob- und-Wilhelm- Grimm-Zentrum, das Architekt Max Dudler und Uni-Präsident Christoph Markschies am Donnerstag vorstellten, ist der architektonische Höhepunkt des Jahres.

Das Bibliothekswesen befindet sich im größten Umbruch seiner Geschichte. Dass sich die Informationsvermittlung ins Internet verlagert, ist ein unaufhaltsamer Prozess, der die herkömmliche Institution Bibliothek offenkundig infrage stellt. Katalog und Ausleihe, Lesesaal mit Präsenzbeständen sowie das interne Magazin sind traditionell die Funktionselemente großer universitärer oder stattlicher Bücherhorte. In Zukunft wird es wohl genügen, für die jährlich 95 000 Neuerscheinungen und die fremdsprachigen Titel die Speicher und Server für die Online-Bereitstellung der Volltext-Scans auf dem aktuellen technischen Standard zu halten. Doch das liegt in einer fernen Zukunft, ist Christoph Markschies überzeugt, denn noch findet längst nicht jeder Bibliotheksbesuch zu Hause am Bildschirm statt.

Der Architekt habe den Geist der Universität in Architektur umgesetzt, sagte Markschies, der extra seine mit Buchrücken dekorierte Krawatte angelegt hatte. Als die Universität 1809 gegründet wurde, ging es darum, alle barocken Standesunterschiede auszuräumen. Freien Zugang zur Bildung bietet auch die neue Bibliothek, frei und kostenlos und bis 24 Uhr, in Berlin eine Einmaligkeit.

Das Ideal der Brüder Humboldt von der Einheit der Wissenschaften sieht Markschies zudem in der Vereinigung der geisteswissenschaftlichen Bibliotheken unter einem Dach verwirklicht: „Wenn ich mich mit Homer beschäftige, kann ich hier den Originaltext lesen, nebenan die Rezeptionsgeschichte zur Renaissancezeit und ein Stockwerk höher zeitgenössische Bearbeitungen studieren, ohne in andere Fakultätsbibliotheken wechseln zu müssen.“

Hundert Jahre lang war die Uni-Bibliothek Untermieterin der Staatsbibliothek Unter den Linden. Nun kann sie den stattlichen Neubau beziehen, der direkt am Stadtbahnviadukt zwischen Planckstraße und Geschwister-Scholl-Straße in idealer Nähe zum Campus liegt. Den Architektenwettbewerb im Jahr 2004 konnte der Schweizer Architekt Max Dudler für sich entscheiden. Dudler, der sein Hauptbüro in Berlin führt, ist in der Stadt kein Unbekannter. Neben einigen Büro- und Wohnhäusern hat er den Erweiterungsbau des Verkehrsministeriums in der Invalidenstraße und die Grund- und Gesamtschule an der Falkenberger Chaussee gebaut. Insbesondere die Schule in Hohenschönhausen im harten, steinernen Look der in den vergangenen Jahren als „berlinisch“ geltenden Architektur zeigt, dass sich Dudler gut assimiliert hat.

Für die nach den Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm benannte Bibliothek hatte der Architekt eine blockhafte Baukörperkomposition vorgeschlagen, die sich entlang der S-Bahn zehngeschossig weit über die Berliner Traufkante erhebt, sich aber mit niedrigeren Bauteilen an die Nachbarbebauung anpasst.

Das Äußere zeigt nichts als eine strenge Natursteinwand aus einem gelblichen, travertinähnlichen Juramarmor mit präzise ausgestanzten Öffnungen. Die hochrechteckigen Fenster von drei unterschiedlichen Breiten ziehen sich in scheinbar endloser Taktung an den Fassaden entlang. Es ist die Abstraktion einer mit Fenstern durchsetzten Hauswand, die ohne Details, ohne Gliederungen, ohne Gesimse und Fensterrahmen auskommt. Wenn das Auge dennoch nicht lustlos an der monotonen Reihung abgleitet, so wegen der Rhythmisierung durch unterschiedliche Fensterformate. Hinter den schmalen Schlitzen verbergen sich Magazine, in denen die Fülle des Tageslichts eher nicht erwünscht ist. Die breiteren Fenster belichten die Leseplätze und die noch größeren die Sonderflächen.

Da der Architekt das Bauwerk um einige Meter vom S-Bahnviadukt abgerückt hat, ergibt sich als Vorfeld für den Haupteingang ein angenehmer Stadtplatz, auf dem das Café im Foyer im Sommer seine Tische platziert. Im Inneren herrscht eine gediegene Eleganz, die bei öffentlichen Bauten kaum mehr anzutreffen ist. Die Juraböden und die mit amerikanischer Kirsche gefertigten Einbauten und furnierverkleideten Wände sowie die sorgfältige und handwerklich makellos ausgeführte Detaillierung sind von einem erstaunlich hohen Standard, der ohne Budgetüberschreitungen mit den angesetzten 75 Millionen Euro realisiert werden konnte. Man kann verstehen, wenn Bibliotheksdirektor Milan Bulaty von seinem schönen Haus schwärmt. Selten genug wird der Begriff Schönheit in Zusammenhang mit zeitgenössischer Architektur verwendet.

Die Innenausstattung bildet mit der Architektur eine gestalterische Einheit. Wände, Regale, Studiertische und Sitzgruppen sind am großen Raster des Baus ausgerichtet. Die Tische sind exakt so breit wie die Fensterzwischenräume, die Sitzbereiche so breit wie die Fenster. So ergeben sich von allen Arbeitsplätzen freie Ausblicke mal in den Saal, mal in die Umgebung, in die Straßen und über die Dächer der Stadt.

Funktionales und geistiges Zentrum des Hauses und im Inneren geschützt vom Straßen- und Eisenbahnlärm ist der beeindruckende große Lesesaal mit 252 Studierplätzen. Taghell mit Oberlichtern beleuchtet, treppt er sich vom Erdgeschoss bis ins vierte Obergeschoss hinauf. Die Terrassen sind den verschiedenen Abteilungen der auf mehreren Geschossen untergebrachten Freihandbibliothek zugeordnet.

Neben dem atmosphärisch hinreißenden Hauptlesesaal gibt es Gruppenarbeitsräume und 54 erstaunlich großzügige Einzelarbeitszellen. Die weiteren der insgesamt über tausend Arbeitsplätze sind überall im Haus verteilt. Ein besonders interessantes Angebot richtet sich an Studierende mit Kindern. Der Eltern-Kind-Bereich im siebten Stock ist mit Spielzimmer und Kinderbücherei ausgestattet und gibt den Eltern die Möglichkeit, in Ruhe zu studieren, während die Kinder beschäftigt sind.

Natürlich ist das Haus mit den neuesten technischen Finessen ausgerüstet. Die WLAN-Vernetzung ist Standard. Videoschnittplätze, Hardwareservice und elektronisches Publizieren sowie alle denkbaren Kopier-, Druck- und Scanmöglichkeiten sind im Angebot.

Noch müssen kilometerweise Bücher in die Regale geräumt werden. Pünktlich zu Semesterbeginn am 12. Oktober steht das Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum dann den Nutzern zu Verfügung.

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