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Idee Euorpa: Euro-patriotische Polen

Bleibt die Welt der Nationen erhalten? Wissenschaftler diskutieren über die Identität unserer Nachbarn.

Bei sanfter Klaviermusik trat der Staatspräsident vor die Kameras. Zur besten Sendezeit verkündete Lech Kaczynski vor ein paar Tagen, Polen sei in seiner Souveränität bedroht, falls die Regierung den EU-Vertrag von Lissabon ratifizieren werde. Die Musik verstummte, dunkle Bilder zogen auf. Ein schwules Pärchen hielt Händchen – „eine Welt, die die Polen nicht wollen“ – und zwei Deutsche tauchten auf: Angela Merkel und Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach, anschließend eine Karte des Deutschen Reichs von 1937. Ratifiziert Polen den Vertrag, so die Botschaft, werde Polen zum fünften Mal in seiner Geschichte geteilt und von Schwulen und Lesben überschwemmt. Ein typischer Kaczynski, der Film – hatte der Präsident doch selber den Vertrag ausgehandelt und nur nach Wegen gesucht, in einem innerpolnischen Streit antideutsche Emotionen zu wecken.

Funktioniert das in Polen noch? Ist der polnische Patriotismus stark wie nie oder im Zeitalter der Globalisierung ein Auslaufmodell, wie der noch bei der Fußball-WM so bejubelte, neue deutsche Patriotismus? Als Tomasz Dabrowski, der Chef des polnischen Instituts in Berlin, die Veranstaltung mit dem Thema „Alte und neue Patriotismen in Europa“ plante und dazu den polnischen Kulturwissenschaftler Andrzej Mencwel und den FU-Professor und Publizisten Paul Nolte einlud, ahnte er nicht, dass das Thema so viele Menschen bewegen würde: Mehr als 200 Gäste kamen jetzt in die Brandenburgische Landesvertretung, um dem Gespräch zweier Wissenschaftler beizuwohnen, die beide für einen aufgeklärten Patriotismus in ihren Heimatländern warben. „Das Zeitalter des Nationalismus ist vorbei“, stellte Nolte fest. „Wir erleben einen Übergang von der ethnischen zur civic nation.“ Auch Mencwel sprach vom Auslaufmodell des „Ethno-Nationalismus“, der in Polen zunehmend von einem „Euro-Patriotismus“ abgelöst werde. „Die Vorstellung des ethnisch reinen und katholischen Polen wird zunehmend infrage gestellt“, konstatierte er und stimmte Nolte zu, der für einen Patriotismus der „Schuld und Verantwortung“, der Freiheit und Demokratie, aber auch der „Zukunft und Selbstverbesserung“ warb.

Die Welt der Nationen werde erhalten bleiben – davon waren Mencwel wie Nolte überzeugt. In einer solchen Welt sei Patriotismus „zur Selbstvergewisserung und Identitätsfindung“ wichtig – solange er sich nicht gegen andere richte. Ein Wort vermieden die Diskutanten, wie eine Zuhörerin bemerkte: „Von ,Vaterland’ hat heute Abend keiner gesprochen. Warum eigentlich nicht?“ (Tsp)

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