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Immunbiologie: Monoklonale Antikörper werden volljährig

Biotech-Unternehmen suchen Therapien zur passiven Immunisierung.

Eine schnelle Methode, monoklonale Antikörper bei Menschen zu isolieren, wurde benutzt, um eine Bibliothek der Immunproteine zu schaffen, die jemand produziert, der mit einem auf Nikotin reagierenden Impfstoff geimpft wurde. Roger Beerli und sein Team bei Cytos Biotechnology in Schlieren in der Schweiz verwendeten Lymphozyten eines Probanden, der in eine klinische Studie mit einem Impfstoff, der die Raucherentwöhnung erleichtern soll, eingebunden war, und identifizierten mit ihrer Technik schnell nikotinspezifische Antikörper (1).

Die Arbeit ist die jüngste auf dem boomenden Gebiet der monoklonalen Antikörper. Diese Antikörper stammen von einer einzigen Zellpopulation und binden an einer spezifischen Stelle an ihr Ziel. Letzten Monat berichteten Wissenschaftler über die Isolation von Antikörpern bei Überlebenden der Grippe-Pandemie von 1918 (2) (Erinnerung an frühere Viren), und im April berichtete ein anderes Team über die schnelle Herstellung von Grippe-Antikörpern von Menschen, die erst kurz zuvor gegen die Erkrankung geimpft worden waren (3). Wissenschaftler hoffen, dass die Entdeckungen letztlich zu Behandlungsformen der passiven Immunisierung führen.

Der Markt für monoklonale Antikörper ist das am schnellsten wachsende Segment der pharmazeutischen Industrie. 2007 brachten monoklonale Antikörper mehr als 26 Milliarden US-Dollar ein, von denen das meiste auf Behandlungsformen bei Krebs und Autoimmunerkrankungen zurückgeht. Im selben Jahr führten weltweit 50 Unternehmen klinische Studien mit Antikörpern gegen Krebs durch (4).

Es wurde ein langer Weg zurückgelegt seit den Tagen vor der Einführung von Antikörpern, als infizierten Patienten ein Serum aus Pferde-Antikörpern von Tieren, die derselben Krankheit ausgesetzt waren, injiziert wurde. Derartige Behandlungen gingen mit einem hohen Risiko für die Serumkrankheit einher, die durch Immunreaktionen auf die Pferdeproteine verursacht wird. Mit Einführung menschlicher Antikörper wurden Serumtherapien weitestgehend aufgegeben.

Jüngste Fortschritte bei der Gewinnung von Antikörpern bringen neues Leben in die Idee einer Therapie der Passivimmunisierung, dieses Mal mit menschlichen Antikörpern. "Bei der Forschung zu Infektionskrankheiten schließt sich der Kreis", sagt Andrew Chan, Senior Vice President von Genentech, einem Biotechnology-Unternehmen in South San Francisco.

Die grundlegende Technik zur Gewinnung monoklonaler Antikörper wurde vor Jahren etabliert, aber da der Markt wächst, modifizieren Unternehmen diese Techniken, um technische Schwierigkeiten zu umgehen und ihren Platz in einer mit Patenten übersäten Landschaft zu finden. "Kleine Biotechnology-Unternehmen versuchen neue Wege zu finden, um an intellektuellem Eigentum vorbei arbeiten zu können", erklärt der Immunologe James Crowe vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee. "Es ist ein großer Anreiz für sie, innovativ zu sein."

Die Isolierung von Antikörpern von immunisierten Menschen hat jedoch ihre Grenzen. "Der Punkt ist, dass man mit einer Krankheit beginnen muss, gegen die man Menschen immunisieren kann", so Crowe. Zum Beispiel können Wissenschaftler Patienten nicht gegen Krebsarten oder Infektionskrankheiten immunisieren, für die es keine zugelassenen Impfstoffe gibt. Und, so fügt Crowe hinzu: "Man wird niemanden gegen die Grippe von 1918 immunisieren." Jedoch könnten Menschen, die ihr ausgesetzt waren und aufgrund ihrer körpereigenen Immunantwort überlebten, Antikörper besitzen, die gegen ähnliche Stämme wirksam sein könnten. Andere Forscher haben Antikörper von Überlebenden der Vogelgrippe (H5N1) isoliert (5).

Theoretisch könnten solche Antikörper auf ihren Therapienutzen getestet werden, Antikörper sind jedoch schwerer und teurer herzustellen als so genannte "small molecules". Zurzeit ist nur eine gezielte Antikörpertherapie im Sinne einer Passivimmunisierung gegen eine Infektionskrankheit verfügbar - Palivizumab der Firma MedImmune, das gegen Respiratory-Syncytial-Virus (RSV)-Infektionen bei Kindern eingesetzt wird.

Die hohe Spezifität monoklonaler Antikörper ist in der Klinik ein großer Gewinn, könnte jedoch nachteilig sein in der schnelllebigen Welt der Infektionskrankheiten, in der Viren wie HIV sich durch Mutation dem Zugriff der Antikörper entziehen. "Wir sehen so etwas wie eine Wiederentdeckung der large molecules wie monoklonale Antikörper bei Infektionskrankheiten", sagt Chan. "Es ist aber immer noch begrenzt."

Einige Unternehmen dürften sich vor Studien mit Antikörpertherapien hüten, nachdem 2006 in einer Studie der mittlerweile nicht mehr existierenden deutschen Firma TeGenera sechs Freiwillige um ihr Leben kämpfen mussten. Das Medikament, das die sechs bekamen (TGN1412), war jedoch in sofern unüblich, als das es Immunzellen aktivierte statt sie zu inhibieren.

Menschliche Antikörper könnten gleichfalls in der Forschung verwendet werden, meint Antonio Lanzavecchia vom Istituto di Ricerca in Biomedicina (IRB) in Bellinzona, Schweiz. "Ich denke, dieser Ansatz wird der wichtigste Weg zu neuen Impfstoffen sein", sagt er.

(1) Beerli, R. R. et al. Proc. Natl Acad. Sci. USA 105, 14336-14341 (2008) (2) Yu, X. et al. Nature doi:10.1038/nature07231 (2008) (3) Wrammert, J. et al. Nature 453, 667-671 (2008) (4) Reichert, J. M. & Valge-Archer, V. E. Nature Rev. Drug Discov. 6, 349-356 (2007) (5) Simmons, C. P. et al. PLoS Med. 4, e178 (2007)

Dieser Artikel wurde erstmals am 23.9.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/455437a. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Heidi Ledford

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