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Buchstaben des Lebens. Der genetische Code übersetzt das Erbgut in Eiweiße. Forscher wollen diesen Code ändern.

© (c) PASIEKA / SPL / Agentur Focu

Ingenieure des Lebens (2): Der genetische Schutzwall

Biologen verändern das Erbgut radikal – und schaffen so eine abgeschirmte Parallelwelt künstlicher Lebewesen.

Es war das winzigste Rätsel der Welt. Im Sommer 2010 trat Craig Venter, Forscher, Unternehmer, Wunderkind und Enfant terrible der Molekularbiologie, vor die Presse und präsentierte ein Bakterium, dessen Erbgut künstlich hergestellt wurde. In den mehr als eine Million Basen, den Buchstaben des Genoms, war nicht nur die Identität des Bakteriums codiert. Venter hatte in dem DNS-Faden, 50 000 Mal dünner als ein menschliches Haar, auch ein paar verschlüsselte Botschaften untergebracht. Unter anderem versteckte sich dort der Satz: „Was ich nicht erschaffen kann, das kann ich auch nicht verstehen.“

Der Spruch stammt vom Physiker Richard Feynman und er begegnet einem im Feld der Synthetischen Biologie immer wieder. Denn es ist der Anspruch dieser Forscher, das Leben nicht einfach zu beobachten und zu beschreiben, sondern es nachzubauen, zu erschaffen. Venter meint, genau das geschafft zu haben: Mit einem Team von Wissenschaftlern hatte er das Erbgut des Bakteriums Mycoplasma mycoides am Computer bearbeitet, die Sequenz aus den vier Bausteinen unseres Erbguts nachgebaut und dann in eine lebende Zelle des Bakteriums Mycoplasma capricolum verpflanzt. Das Bakterium beugte sich dem Gen-Diktat und verwandelte sich in die verwandte Art. „Die erste Zelle, deren Eltern ein Computer war“, verkündete Venter stolz.

Das Experiment war eine technische Meisterleistung. Kurze Schnipsel DNS können heute zahlreiche Firmen für wenige Dollar liefern. Aber das Zusammensetzen derart langer Genome ist immer noch enorm aufwendig und teuer: Venters Prestigeprojekt kostete 40 Millionen Dollar und beschäftigte die Forscher über Jahre. Aber der Keimschleim in der Petrischale ist noch kein künstliches Leben. Und bis auf vier Stellen, an denen Venters Forscher ihre Namen und einige Zitate in dem Erbgut untergebracht haben, entspricht die Sequenz ihrem Vorbild aus der Natur.

„Im Grunde hat er das Erbgut nur kopiert“, sagt der Genetiker George Church in seinem lichtdurchfluteten Büro in Boston. Er sieht aus wie ein netter Onkel: Graue Haare, weißer Vollbart, verständnisvolle Augen. Aber der Harvard-Professor ist seit 30 Jahren bei jeder technologischen Revolution in der Genetik ganz vorne mit dabei gewesen. „Venters Experiment war technisch interessant, aber es hat unser Verständnis kein bisschen weitergebracht“, sagt er. „Es war einfach nicht radikal genug.“ Wo Venter kopiert hat, was bereits vorhanden war, möchten Church und andere das Erbgut grundlegend umschreiben. Sie möchten die Sprache des Lebens so verändern, dass andere Lebewesen sie nicht mehr verstehen.

Einen Grundsatz der modernen Biologie hat Venters Experiment eindrücklich vorgeführt: Das Erbgut ist nichts anderes als ein Programm, das die Zelle ausführt. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Programms ist der genetische Code, die einzige universelle Sprache des Lebens auf unserem Planeten (s. Kasten). Er bestimmt, wie die Basen A(denin), C(ytosin), G(uanin) und T(hymin) eines Erbguts in Eiweiße übersetzt werden, jene kleinen Arbeitsmoleküle, die es der Zelle erlauben, zu wachsen, sich zu bewegen, Signale zu verarbeiten, kurz: zu leben.

Je drei Basen stehen für eine Aminosäure. Biologen nennen diese Dreierpaare Codons. Es gibt allerdings nur 64 mögliche Codons und nur 20 Aminosäuren. Die meisten Aminosäuren haben also mehrere Codons. CGU, CGC, CGG und CGA etwa codieren alle vier für die Aminosäure Arginin. Diese Dopplung wollen Forscher wie Church nutzen: „Theoretisch ist es möglich, alle CGUs im Erbgut eines Lebewesens durch CGCs zu ersetzen. Die Eiweiße würden immer noch richtig gebaut. Aber CGU würde nicht mehr gebraucht“, sagt er. Die Forscher könnten dann die Moleküle, die CGUs erkennen und in Arginin übersetzen, einfach löschen. Oder sie könnten die freien Stellen im genetischen Code mit einer anderen Aminosäure besetzen, die in der Natur gar nicht vorkommt. Das ermöglicht es, chemische Reaktionen ablaufen zulassen, die die Natur nie erfunden hat.

Church will nun genau das geschafft haben. Er hat sich das seltenste Codon im Bakterium E.coli ausgesucht: TAG kommt dort nur 314 Mal vor. „Nun kommt es gar nicht mehr vor“, sagt er. Dafür ließ Church 314 kurze DNS-Stücke synthetisieren, 90 Basen lang, die der Sequenz des Erbguts entsprachen, bis auf einen Unterschied. Wo im normalen Bakterium TAG steht, steht in den Erbgutfragmenten TAA. „Wenn man diese Schnipsel richtig behandelt und in die Zelle gibt, dann tauschen sie sich gegen das alte Stück DNS aus“, sagt Church. Bis zu acht Abschnitte könnten so gleichzeitig verändert werden. Wiederholen die Forscher das Procedere oft genug, ist irgendwann ein Bakterium dabei, in dem alle 314 TAG-Stellen durch TAA ersetzt sind.

Die Arbeit ist noch nicht veröffentlicht, trotzdem wird unter Forschern bereits über die Ergebnisse diskutiert. „Ich habe davon gehört und ich bin sehr gespannt, wie die Daten aussehen“, sagt etwa Lei Wang vom Salk-Institut in San Diego. Auch Nedilijko Budisa von der Technischen Universität Berlin hat schon von der Arbeit gehört. Das Freimachen eines Codons sei aber ein massiver Eingriff in die Zelle, warnt er. „Diese Redundanz der Codons hat auch einen Sinn“, sagt der Chemiker. Denn die Übersetzungsmoleküle der besonders seltenen Codons kommen auch seltener vor. So entsteht beim Bau des Eiweißes eine kurze Wartepause. „Das erlaubt es dem bereits fertigen Teil des Eiweißes sich in eine bestimmte Form zu falten“, erklärt Budisa. Wird ein seltenes Codon durch ein häufigeres ersetzt, könnte es also zu Problemen bei der Faltung der Eiweiße kommen. „Manche Zellen beschädigt das so sehr, dass sie kaum noch leben“, sagt Budisa. Church hält diese Probleme für lösbar. „Wir untersuchen die Eigenschaften unserer Zellen noch“, sagt er. „Aber selbst wenn es einen Wachstumsdefekt gibt, werden wir ihn ausfindig machen und reparieren.“

Solche Zellen könnten Evolutionsbiologen auch helfen, ein uraltes Rätsel zu lösen: Wie hat sich der genetische Code entwickelt? Immerhin ist er so alt wie das Leben selbst: 4 Milliarden Jahre. Weil alle Lebewesen den genetischen Code teilen, haben Veränderungen daran aber noch einen ganz anderen Vorteil: Die Zellen werden dadurch immun gegen Viren. Die winzigen Erreger bringen nur nacktes Erbgut mit sich, für die Übersetzung in Eiweiße nutzen sie die Maschinerie der Zelle. Ist diese so verändert, dass sie bestimmte Codons gar nicht mehr nutzt, kann sie die Bauanleitungen des Virus nicht mehr umsetzen. „Mit jedem Codon, das die Zelle nicht mehr erkennt, werden mehr Viren machtlos, bis die Zelle irgendwann gegen alle Viren immun ist“, sagt Church.

Das funktioniert in beide Richtungen. „Diese Zellen befinden sich gewissermaßen in einer parallelen Welt“, sagt Budisa. Sie können ihre genetische Information nicht mehr mit anderen Lebewesen austauschen, sie besitzen eine genetische Firewall. „Das könnte in Zukunft ungeheuer wichtig sein, wenn mehr und mehr künstliche Lebewesen für industrielle Zwecke genutzt werden“, sagt er. Schon jetzt werden viele Chemikalien industriell von Bakterien hergestellt. Befallen Viren die Zellen, kann das die gesamte Produktion lahmlegen. „Die genetische Firewall könnte das verhindern und gleichzeitig eine Verbreitung von veränderten Genen in der Umwelt unmöglich machen“, sagt Budisa.

Wo die Veränderungen hinführen ist unklar: Theoretisch sind Haustiere oder gar Menschen denkbar, die gegen Viren immun sind. Ob das auch praktisch möglich sein wird und ob irgendjemand das eines Tages macht, ist eine ganz andere Frage. „Das sollten nicht Wissenschaftler entscheiden, sondern die Gesellschaft“, sagt Budisa. Allerdings erfordere das, dass Menschen sich mit einer Forschung auseinandersetzen, die gerade erst entsteht. Es erinnert an einen anderen Satz, den Venter in seinem Designergenom versteckt hatte: „Die Welt nicht so zu sehen, wie sie ist, sondern wie sie seien könnte.“

In der nächsten Folge geht es um Forscher, die Zellen zu Fabriken machen wollen.

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