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Jüdische Gemeinde: Berlins neue Rabbis

Das Studium ist schwierig, Bewerber werden getestet. Die Studenten Shlomo Afanasev und Moshe Baumel stehen vor der Ordination.

Dass Deutschland einmal wieder 100 jüdische Gemeinden zählen würde, schien noch vor 20 Jahren utopisch und weltfremd. Dank russisch-jüdischer Zuwanderung in den 90er Jahren sind es nun sogar weit mehr. Doch das rapide Wachstum stellt die Gemeinden vor Herausforderungen. Zwischen Lübeck und Heidelberg sind derzeit nur rund 30 Rabbiner im Dienst, davon viele mit angelsächsischem, israelischem oder russischem Hintergrund. Was fehlt, ist der einheimische, qualifizierte Nachwuchs. Daran arbeiten auf liberaler Seite das Abraham Geiger Kolleg Potsdam und auf orthodoxer Seite das Hildesheimersche Rabbinerseminar in Berlin-Mitte, das im Jahr 2005 von der Ronald S. Lauder Foundation initiiert wurde.

Shlomo Afanasev und Moshe Baumel heißen die diesjährigen Absolventen des Berliner Seminares, beide werden am 30. August in Leipzig ordiniert. Wie schon ihre Vorgänger vom vergangenen Sommer stammen sie aus osteuropäischen Familien. Der 29-jährige Afanasev lernte noch in Taschkent Finanzmanager und Buchhalter, emigrierte vor acht Jahren nach Leipzig, kam dort in Kontakt mit der Lauder Foundation und änderte seine Lebenspläne radikal.

Nach Seminarbesuchen in der Berliner Yeshiva „Beis Zion“ entschied er sich vor fünf Jahren für den Rabbinerberuf: „Der Gaon von Vilna, einer der großen jüdischen Weisen, sieht den Sinn des Lebens in der Charakterentwicklung und -verbesserung“, erläutert Afanasev seine Motivation. „Das ist etwas, was mir große Erfüllung bringt. Wenn heute alles so bleibt wie gestern, wo läge dann der Sinn für morgen?“ Nach seiner Ordination wird Afanasev im Land Brandenburg arbeiten. Ganz gewiss nicht die leichteste Herausforderung für einen jungen Rabbiner.

Gemeinden wie jene in Frankfurt/Oder, Cottbus, Stadt Brandenburg oder Königs Wusterhausen sind nur mit dem Nötigsten ausgestattet, sie kämpfen mit Abgängen und Fluktuation. Auch mangelt es an Synagogen, jüdischen Kindergärten, Schulen und Jugendzentren. Doch Afanasev und seine Ehefrau Ita, Eltern zweier Kinder, sind optimistisch: „Wir beginnen unsere Arbeit in der Potsdamer Gemeinde und schauen dann weiter. Es lässt sich einiges bewegen, wenn man gut ausgebildet, motiviert und inspiriert ist.“

Erst 22 Jahre alt ist der Absolvent Moshe Baumel. Als Kleinkind kam er mit den Eltern von Vilnius an die Spree. Wie Shlomo Afanasev besuchte er zunächst die Yeshiva „Beis Zion“ und hängte dann die Rabbiner-Ausbildung an. Zeitgleich studierte er Kunstgeschichte und Antiquitätenkunde am Ferninstitut Darmstadt. Nach der Ordination wird Moshe Baumel mit Frau und Sohn zunächst als Schulrabbiner an der Zwi-Peres-Chajes-Schule der Israelitischen Kultusgemeinde Wien arbeiten. Hierzulande gäbe es noch wenig Erfahrung mit der Infrastruktur von jüdischen Schulen. „Ich kann dafür in Wien eine Menge nützlicher Erfahrungen sammeln“, sagt Baumel.

Ähnlich wie sein Studienfreund Afanasev hat er ein hohes Berufsethos: „Ein Rabbiner soll nicht nur vorbeten. Er soll befähigt sein, sich um die Menschen in jeder Hinsicht zu kümmern. Dazu gehört Voraussicht, Mitgefühl und Liebe zum jüdischen Volk.“

Afanasev und Baumel betonen, dass die Ausbildung am Hildesheimerschen Seminar höchsten Standards entspricht. Das Seminar ist Teil einer Kette von Bildungseinrichtungen, welche die Ronald S. Lauder Foundation in Zentral- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus systematisch aufgebaut hat. Bewusst knüpfen die Berliner an die Tradition jener Rabbinerschule an, die der legendäre neo-orthodoxe Rabbiner Esriel Hildesheimer im Jahre 1869 an der Spree etabliert hatte und die sich seinerzeit zur führenden europäischen Ausbildungsstätte entwickelte. Im Jahre 1938 schlossen die Nazis das Haus.

In der Hildesheimerschen Nachfolgeeinrichtung werden überdurchschnittlich hohe Anforderungen gestellt. Das Curriculum ist dicht gedrängt, erfordert maximale Kraft und Konzentration. Drei Jahre voller Intensiv-Kurse folgen auf ein obligatorisches Vorbereitungsjahr. Neben dem Studium von Tora, Talmud und halachischer Literatur gibt es praktische Schulungen in Führungskompetenz und Gemeindearbeit. Die Studenten lernen die Durchführung von Hochzeiten, Beschneidungen, Beerdigungen und die praktische Implementierung der Speise-Vorschriften (Kaschrut). Viel Wert wird zudem auf die Entwicklung pädagogischer und rhetorischer Fähigkeiten gelegt. Eine individuelle Eignung für den Rabbinerberuf wird schon im Vorfeld getestet, wobei sowohl kognitive wie auch soziale Qualitäten eine Rolle spielen. Von allen Kandidaten wird außerdem erwartet, ihre Zukunftspläne langfristig möglichst auf Deutschland auszurichten.

Dass die Ordination der Hildesheimer-Absolventen jetzt im sächsischen Leipzig stattfindet, besitzt einen hohen Symbolwert. Seit Jahren unterstützt das Hildesheimersche Seminar kleinere Zentralrats-Gemeinden im Osten durch regelmäßige studentische Einsätze. Sie bilden Ansprechpartner bei persönlichen Problemen, organisieren Freizeitaktivitäten für Kinder und gestalten Schabbat-Gottesdienste. In den neuen Bundesländern sind fast alle Gemeindemitglieder osteuropäische Zuwanderer, so wie viele der Rabbiner-Studenten auch. Gemeinsame kulturelle Codes werden rasch erkannt, man spricht die gleiche Sprache und überwindet schneller Berührungsängste.

Rabbi Joshua Spinner, Vizepräsident der Lauder Foundation und Vorstandsmitglied im Rabbinerseminar, benennt das langfristige Ziel: „Wir wollen Strukturen schaffen, die es den Menschen erlauben, jüdisch observant zu leben. Egal, an welchem Ort in Deutschland.“

Olaf Glöckner

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