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16 Prozent der befragten 14- bis 29-Jährigen fühlen sich  hilflos, zehn Prozent haben Suizidgedanken.

© Foto: dpa/Fabian Sommer

Klima, Krieg und Inflation: Dauerkrisenmodus gefährdet die psychische Stabilität der Jugend

Der Klimawandel, der Ukrainekrieg und finanzielle Unsicherheit setzen den jungen Menschen zu. Sorgen und Ängste haben sich laut einer Studie verfestigt. Experten fordern dringend Hilfe.

Der Blick der jungen Menschen in die Zukunft verdüstert sich zunehmend. Vor allem die Folgen des Klimawandels machen der Jugend seit längerem große Sorgen. Aktuell sind Ängste wegen des Krieges in der Ukraine und der Inflation hinzugekommen.

Die Auswirkungen dieser Sorgen für die junge Generation sind alarmierend. Nach Ergebnissen der jüngsten Trendstudie Jugend, die der Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School Berlin zusammen mit Simon Schnetzer halbjährig erhebt, ist ein Viertel der Jugendlichen derzeit mit der eigenen psychischen Gesundheit unzufrieden.

16 Prozent der befragten 14- bis 29-Jährigen fühlen sich sogar hilflos, zehn Prozent gaben an, Suizidgedanken zu haben. Verglichen mit der letzten Trendstudie vom Mai 2022 sind alle diese Werte angestiegen, bei Hilflosigkeit und Selbstmordgedanken um drei Prozentpunkte.

„Bei einer erschreckend großen Minderheit haben sich die psychischen Sorgen verfestigt und verdichtet, sodass dringende Unterstützung notwendig ist“, lautet die Einschätzung der Autoren. Bei vielen jungen Menschen seien durch die neuerlichen Krisen nach der Corona-Pandemie die Kräfte der psychischen Abwehr verbraucht. „Die Risikofaktoren mehren sich.“

Die beiden Jugendforscher werten die Ergebnisse als ein dringendes Warnsignal. „Stress, Antriebslosigkeit und Erschöpfung, Depressionen und Selbstzweifel werden von erschreckend vielen jungen Menschen angegeben“, so Hurrelmann. Im Vergleich zum Sommer hätten die Werte dazu ein Plateau erreicht. „Die Ängste haben sich bei einer großen Minderheit nun so festgesetzt, dass es die psychische Stabilität der jungen Menschen gefährdet“, sagt der Sozialforscher.

Etwa zehn Prozent der jungen Menschen bräuchten nun professionelle Hilfe aus dem pädagogischen und therapeutischen Bereich. Etwa fünf Prozent seien unmittelbar behandlungsbedürftig.

Ein so hohes Maß von schweren psychischen Störungen in der jungen Generation hat es selten gegeben.

Klaus Hurrelmann, Jugendforscher von der Hertie School Berlin

„Dieser Wert ist deutlich gestiegen. Hier muss auch über digitale Hilfe nachgedacht werden, da es so viele Betroffene sind“, so die Forscher. Die Psychiatrie sei mittlerweile überlastet. „Das ist ein ernstes Problem. Ein so hohes Maß von schweren psychischen Störungen in der jungen Generation hat es selten gegeben.“

Die junge Generation stehe im Dauerkrisenmodus: „Teilweise haben sich zwar Mechanismen der Bewältigung ergeben, doch die Unsicherheit der Zukunft steigt bei einer Minderheit in einer bedrohlich verfestigten Form.“ Es bestehe die Gefahr, dass die Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen langfristig Schaden nehme.

Sorge ums Klima unverändert hoch

Grundsätzlich fielen die Erwartungen der jungen Menschen an die Zukunft deutlich negativer aus als in vorangegangenen Befragungen. Die größten Sorgen machen den Jugendlichen gegenwärtig die Inflation (71 Prozent) , der Krieg (64 Prozent) und die Klimakrise (55 Prozent). Bei der letzten Befragung kam das Klima noch auf Platz zwei nach den Kriegssorgen. Was aber Hurrelmann zufolge nicht bedeutet, dass die Sorge ums Klima abgenommen hat.

Der Wert zum Klima ist in den vergangenen Befragungen stabil hoch geblieben, es sind vor allem Schüler:innen und Studierende, die sich Gedanken um die Umwelt machen. Die Angst vor Krieg, den Auswirkungen auf das tägliche Leben und Wohlstand hat sich nun noch darübergeschoben, erklärt Hurrelmann. „Das ist selten in Studien, so hohe Werte sind sehr ungewöhnlich.“

Die Befragung zeige auch, dass die junge Generation das Ende der Wohlstandsjahre in Deutschland befürchte, so die Autoren. Die Befragten bewerten demnach die Lebensqualität, die wirtschaftliche Lage, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die politischen Verhältnisse schlechter als zuvor. Sorgen bereiten ihnen auch die Wirtschaftskrise (54 Prozent), die Energieknappheit (49 Prozent) und die Altersarmut (43 Prozent).

Sorge vor einem Leben mit Kriegsangst

Viele Befürchtungen der Jugendlichen rühren vom Krieg gegen die Ukraine her. 69 Prozent der Befragten fürchten deswegen Preissteigerungen und eine Geldabwertung sowie steigende Energie- und Rohstoffpreise (68 Prozent) Auch eine mögliche Zunahme von Flüchtlingen macht den jungen Menschen Angst (44 Prozent), immerhin noch ein Drittel sorgt sich wegen eines Lebens in Angst vor Krieg (35 Prozent) und einer Ausweitung des Krieges auf Deutschland (28 Prozent).

Dass junge Menschen zum Militärdienst eingezogen werden, befürchten 17 Prozent der Befragten. Bereits die Erhebung vor einem Jahr hatte gezeigt, dass in der jungen Generation keine nennenswerte Wehrbereitschaft herrscht. Im Verhältnis zu ihrer Nation zeigt die Jugend ein recht entspanntes Verhältnis.

„Fernab von jedem Nationalismus hat sich eine Haltung der Anerkennung und des Stolzes etabliert“, erklärt Hurrelmann. Bemerkenswert sei zudem die starke Identifizierung mit Europa. Sie ist im Laufe der letzten Befragungen deutlich angestiegen.

Bei den Erwartungen an den Beruf führt wie im Vorjahr Geld (60 Prozent) mit deutlichem Abstand vor Spaß (43 Prozent) und dem Erreichen von Zielen (33 Prozent) die Angaben an. „Genug Geld ist für sich kein guter Motivator, doch es steht in Zeiten der Krisen für Sicherheit und stellt für viele die Grundvoraussetzung für Leistungsmotivation dar“, lautet die Einschätzung von Schnetzer.

Weitere wichtige Aspekte der Motivation junger Menschen sind die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit (22 Prozent) und Anerkennung (21 Prozent) beispielsweise in Form von positivem oder konstruktivem Feedback.

Die halbjährliche Trendstudie „Jugend in Deutschland“ basiert auf einer repräsentativen Online-Befragung der deutschsprachigen Bevölkerung im Alter von 14 bis 29 Jahren, hinzu kommen Gruppeninterviews zu Trendthemen.

Insgesamt werden für die Studie 1027 junge Menschen befragt, die Repräsentativität wurde vom Institut für Demoskopie Allensbach sichergestellt. Die aktuelle Befragung fand vom 4. bis 21. Oktober 2022 statt.

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