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Ein junger Mann hantiert mit einem Smartphone, ein zweiter schaut ihm dabei zu.

© Maria Fiedler

Kiron University für Flüchtlinge: Maschinenbau auf dem Smartphone studieren

Ein Projekt aus Berlin: An der Kiron-Universität können Flüchtlinge mit Online-Kursen ein Bachelorstudium beginnen. Einer von ihnen ist Kashif Kazmi aus Pakistan, der nach Berlin geflohen ist.

Kashif Kazmi scrollt auf seinem Smartphone nach unten. „Aerodynamics“, steht da, „Thermodynamics“ und „Aeronautical Dynamics“. „Das sind meine Module für dieses Semester“, sagt er. Nach ein paar weiteren Klicks taucht auf dem Bildschirm ein Video auf. Vorlesungsfolien werden eingeblendet, in der unteren Ecke ist ein Dozent zu sehen, der die Berechnungsmodelle erklärt. Kompliziert? „Ich kann ziemlich gut folgen“, meint der 21-Jährige, lächelt und steckt das Smartphone in die Tasche.

Studieren auch ohne sicheren Aufenthaltsstatus

Kazmi ist erst seit wenigen Monaten in Berlin. Zuvor hat er sich auf den Weg von Pakistan nach Deutschland gemacht, hat sich ein Vierteljahr lang durch den Nahen Osten und Europa geschlagen, um alles zurückzulassen: Terrorismus, Bombenanschläge, Furcht vor den Taliban. Noch ist sein Aufenthaltsstatus in Berlin nicht geklärt. Trotzdem studiert Kazmi jetzt seit Mitte Oktober Maschinenbau – meistens auf seinem Smartphone. Er ist einer der ersten Studenten bei Kiron, einer Onlineuniversität für Flüchtlinge.

„Für Flüchtlinge ist es normalerweise sehr schwer, in Deutschland ein Studium zu beginnen – allein schon wegen der bürokratischen Hürden und der Sprachbarriere“, sagt Gründer Markus Kreßler. Dazu kämen die begrenzten Plätze an den Hochschulen und der oft unsichere Aufenthaltsstatus. Gemeinsam mit seinem Studienfreund Vincent Zimmer, der sich schon länger über Alternativen zum normalen Studium Gedanken gemacht hat, gründete Kreßler 2014 Kiron.

Erste Partnerunis erkennen absolvierte Online-Kurse an

Schnell sei klar gewesen, dass ein reiner Onlineabschluss nicht anerkannt werden würde. Deshalb entschieden sie sich für eine Mischform. Zwei Jahre lang studieren die Flüchtlinge online, absolvieren also ein virtuelles Grundstudium, und lernen Deutsch. Wenn sie die erforderlichen Module absolviert haben, können sie im dritten Jahr an eine der Partneruniversitäten von Kiron wechseln und dort ihr Studium beenden. Zu den Partnern zählen etwa die RWTH Aachen, die Hochschule Heilbronn, die University of Westafrica und die University of the People in den USA.

Weltweit studieren derzeit 1250 Flüchtlinge bei Kiron. Die Onlinekurse, die sie absolvieren, stammen zu 80 Prozent von US-amerikanischen Unis. Aber auch deutsche Universitäten holen mittlerweile bei der Produktion dieser offenen Onlinekurse auf. Die Kiron-Studenten können außerdem per Instant Messaging mit Kommilitonen und Dozenten chatten, Hausaufgaben einreichen und Feedback bekommen. Zahlreiche Professoren kooperieren mit Kiron.

Im Flüchtlingscamp studieren? "Ziemlich hart"

Kazmi loggt sich in offene W-Lan- Netze ein, um die Kurse herunterzuladen oder mit den Dozenten zu kommunizieren. In seinem Flüchtlingsheim in Lichtenberg hat er aber kaum Zugang zum Internet. „Ein kleines Problem“, sagt er dazu und lächelt. Kreßler drückt es deutlicher aus: „Seien wir ehrlich: Das Internet ist Mist. Und in einem Flüchtlingscamp zu studieren ist ziemlich hart.“

Für Kazmi ist das Studium einer der wenigen Lichtblicke. „Ich kann jetzt mit Hoffnung schlafen gehen und mit Hoffnung wieder aufstehen“, sagt er. Viele der anderen Bewohner im Flüchtlingsheim seien lethargisch, würden nur schlafen und essen, hätten keinen Antrieb. Kazmi kann die Ablenkung, die das Studium bietet, gut gebrauchen.

Sein Heimatort in Pakistan, Parachinar, ist erst vor wenigen Wochen von einer Bombenexplosion heimgesucht worden, Dutzende Menschen starben. Seine Eltern blieben zum Glück verschont. „Parachinar ist von Bergen umgeben, eigentlich paradiesisch. Jetzt ist es die Hölle“, erzählt er.

Kiron bietet "Study Hubs" - Raum zum Studieren

Damit die Flüchtlinge nicht in den Asylbewerberheimen lernen müssen, richten die Mitarbeiter von Kiron sogenannte „Study Hubs“ ein, in denen es Internet gibt und Computer. Auch die Macromedia Hochschule in Berlin hat ihre Räume zur Verfügung gestellt. Dort können die Kiron-Studenten Veranstaltungen besuchen sowie Bibliotheken und Computer nutzen. Die Berliner Staatsbibliothek beteiligt sich ebenfalls.

Für die drei Jahre Studium benötigt Kiron für jeden Flüchtling 1200 Euro. Auf der Crowdfunding-Plattform Startnext.com hat das Projekt zwischen Anfang September und Mitte November zunächst knapp 540 000 Euro eingesammelt und etwa die Hälfte des Finanzierungsziels erreicht. Damit können die Gründer das Projekt weiter vorantreiben. „Am Ende wird nicht jeder der Flüchtlinge einen Abschluss machen. Aber schon die Veränderung in der Selbstwahrnehmung vom Flüchtling zum Studenten ist enorm“, sagt Kreßler.

Kashif Kazmis Ziel: Ein Job in der Autoindustrie

Ein Studium an einer Onlineuniversität ist für Flüchtlinge aber nicht die einzige Option. In Berlin hat etwa die Technische Universität am internationalen Studienkolleg eine Vorbereitungsklasse für Flüchtlinge gestartet, damit diese im kommenden Wintersemester ein Studium beginnen können. An der Freien Universität sollen Sprachkurse sowie Kurse speziell für Geflüchtete eingerichtet werden. Und auch die Humboldt-Universität plant Sprachkurse und Mentorenprogramme für geflüchtete Studierende. Wenn diese die Sprache gut genug beherrschen und entsprechende Zeugnisse vorlegen, können sie sich für einen regulären Studienplatz bewerben.

Kazmi ist mit seinem virtuellen Studium zufrieden. Begeistert erzählt er Mitgründer Kreßler von technischen Neuerungen wie Hologrammen und superschnellem W-Lan. Später will er gerne in der Automobilindustrie arbeiten. „Ich will ja keine Bürde sein, sondern zu dieser Gesellschaft beitragen. Das kann man nur, wenn man ausgebildet ist“, sagt er zum Schluss noch. Dann muss Kazmi weg, zum Lageso – in der Kälte anstehen und hoffen, dass er endlich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt.

Wie die Vorbereitungsklasse für Flüchtlinge an der TU Berlin startete, können Sie hier lesen.

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