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Raues Klima. Nicht nur beim Wetter häufen sich die Extreme. Auch die Diskussion um die Erderwärmung und ihre Folgen wird immer rabiater geführt.

© AFP

Klimaforschung: Der Wind weht schärfer

Im Jahr 2010 wurde über Klimaforschung heftig gestritten. Die Lehren aus geklauten Mails, falschen Prognosen und verspieltem Vertrauen.

In dreizehn Monaten kann eine Menge passieren. Noch im November des vorigen Jahres schien die Klimarettung unmittelbar bevorzustehen, wenn man bestimmten Medienberichten glaubte. Doch die Konferenz in Kopenhagen wurde ein Flop, und es gab einen heftigen Wettersturz in der Politik um die globale Erwärmung. Die bescheidenen Fortschritte beim Treffen in der mexikanischen Stadt Cancún vor ein paar Wochen kamen für die Öffentlichkeit dann geradezu überraschend.

Am Anfang war ein Datenleck. Im Stile von Wikileaks wurden im November 2009 hunderte E-Mails von Klimaforschern öffentlich gemacht. Sie stammten von einem Server der britischen Universität von East Anglia in Norwich. Ob die Dokumente gestohlen worden waren oder ein Insider sie weitergegeben hatte, ist noch nicht bekannt. Jedenfalls entwickelte sich um die elektronischen Postillen eine hitzige Diskussion. Sie brachte Phil Jones – den Leiter der Forschungsgruppe, der im Zentrum der Enthüllungen stand – nach eigenen Angaben an den Rand eines Selbstmords.

Der Vorwurf von Bloggern, Wissenschaftler um Jones hätten Daten gefälscht, wurde von mehreren einberufenen Kommissionen widerlegt. Einige E-Mails wirkten allerdings ziemlich kämpferisch. „Wenn ich das nächste Mal Pat Michaels auf einer wissenschaftlichen Tagung sehe, werde ich versucht sein, ihm die Scheiße aus dem Leib zu prügeln“, schrieb etwa der amerikanische Forscher Benjamin Santer an Jones über einen bekannten Skeptiker, dessen Vorgehen gegenüber Jones er äußerst unfair fand. In anderen E-Mails diskutierte eine Gruppe, wie man Artikel von Skeptikern am besten aus Fachjournalen heraushalten könne. Angesichts derartiger Tendenzen blieb der Eindruck haften, ein Teil der Wissenschaftler sei im Kampf um die Wahrheit doch etwas übereifrig gewesen. Auch mit der Transparenz von Klimadaten stand es nicht immer zum Besten. Doch man gelobte Besserung. Der Zeitpunkt der E-Mail-Enthüllungen – kurz vor den UN-Klimaverhandlungen in Kopenhagen im Dezember 2009 – war, wie es scheint, mit Absicht gewählt. Allerdings ging das Verhandlungsdebakel nicht auf die E-Mails, sondern auf politische Gründe zurück.

Anschließend kam der zweite Schock für die Wissenschaft. Mehrere Fehler im jüngsten Sachstandsbericht des Uno-Klimarats von 2007 wurden publik, in erster Linie unsinnige Angaben zur Gletscherschmelze im Himalaya. Einige nachfolgende Patzer-Vorwürfe entpuppten sich jedoch als Enten. Die Gefährdung des Amazonasregenwalds zum Beispiel war im Sachstandsbericht zwar nicht optimal belegt, aber es lässt sich ohne Mühe eine entsprechende Studie finden, die die Aussagen des Weltklimarats stützt.

Doch das änderte am Vertrauensverlust der Wissenschaft nichts mehr. Forscher und Politiker fühlten sich zu einer Reaktion genötigt. Um die Qualität der Klimaratsberichte zu verbessern, sollten die Mechanismen des Uno-Gremiums durch eine internationale Vereinigung von Wissenschaftsakademien geprüft werden, den „Interacademy Council“. Im August 2010 gab der Council seinen Bericht heraus. Empfohlen wurde eine straffere Organisation und es solle gründlicher geprüft werden, ob Korrekturvorschlägen hinreichend nachgegangen wurde. Die Vorschläge sollen wenigstens zum Teil umgesetzt werden. Doch ob sich die Klimapolitik dadurch ändern wird, ist fraglich.

Bei den Verhandlungen in Kopenhagen gebar der politische Berg eine Maus: Die Teilnehmer nahmen am Ende „zur Kenntnis“, dass die Temperatur nicht mehr als zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau steigen darf. Verpflichtende Maßnahmen: Fehlanzeige. Das war in Cancún nicht anders. Doch immerhin gab es in Mexiko ein paar Fortschritte im Detail, etwa in Bezug auf den Schutz von Wäldern und einen Klimafonds.

Viel drehte sich bei den letzten Klimaverhandlungen um das erwähnte Zwei-Grad-Ziel. Dabei handelt es sich im Kern um einen Kompromiss. Schließlich gibt es nach wie vor eine ganze Reihe von Unsicherheiten in der Klimaforschung. Unklar ist vor allem, inwieweit Wolken die Erwärmung durch Treibhausgase verstärken oder dämpfen. Auch die Auswirkungen des Klimawandels lassen sich nur sehr ungefähr beziffern. Dennoch erfüllten Wissenschaftler einst den Wunsch nach einer präzisen Vorgabe für die Politik. Das Konzept: Steigt die globale Mitteltemperatur nicht mehr als zwei Grad über das vorindustrielle Niveau, dann sollen damit gefährliche klimatische Folgen verhindert werden. Längst haben Fachleute andere Limits ersonnen, die sie nach neuesten Erkenntnissen für besser geeignet halten. Dazu gehören Höchstwerte des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre von 450 ppm (parts per million, Moleküle CO2 in einer Million Luftteilchen) beziehungsweise 350 ppm oder des aufsummierten CO2-Ausstoßes der einzelnen Staaten. Doch die politischen Mühlen mahlen langsam. So dürfte das ZweiGrad-Ziel vorerst nicht aus den Diskussionen zu verdrängen sein.

Was in jüngster Zeit die Klimaverhandlungen beeinträchtigte, waren nicht nur die E-Mail-Enthüllungen und Patzer des Klimarats. Das größte Hemmnis ist der Konflikt zwischen Industrie- und Schwellenländern: Wer soll künftig wie viel CO2 vermeiden? Schwierigkeiten bereitet zudem die starke Polarisierung in den USA. Anders als in Europa sind dort skeptische Einschätzungen sehr verbreitet und die Klimadebatte hat sich zu einem verbissen geführten Gesinnungskrieg entwickelt. Typisch verlief eine Anhörung zur Klimaforschung im November vor einem Subkomitee des Repräsentantenhauses: Die Partei der Demokraten ließ Forscher sprechen, die den Konsens des Uno-Klimarats vertraten. Die Republikaner hielten dagegen, sie beriefen vorwiegend Experten der skeptischen Minderheit in den Zeugenstand, die nicht mit einem bedrohlichen Klimawandel rechnen.

Warnungen von Klimaforschern sind vielen Republikanern suspekt. Sie wissen, dass die demokratische Partei unter Naturwissenschaftlern überbordende Popularität genießt und wittern darum politisches Kalkül. Fast verzweifelt mutet da der Appell von Daniel Sarewitz an, einem Geologen, der sich auf die Erforschung der wissenschaftlichen Politikberatung in den USA verlegt hat. Im Online-Magazin „Slate“ forderte er, es sollte mehr Republikaner unter den Naturwissenschaftlern geben. So lasse sich die demokratische Legitimation wissenschaftlicher Ratschläge wie beim Klima sicherstellen. Viel Beifall bekam der Vorschlag aber nicht. Kurzum: Nach dem Verpuffen von Obamas anfänglichem Klimaelan ist von den USA derzeit wohl keine neue Initiative zu erwarten.

Die Klimaforschung selbst steht auch heute noch vor vielen Fragen. Zahlreiche komplexe Vorgänge in der Atmosphäre, im Ozean und auf den Kontinenten sind erst teilweise verstanden. Die Wechselwirkung von Staubteilchen und Wolken ist unklar, was nicht zuletzt die Klimaprojektionen so diffus macht. Auch möchten die Fachleute den Einfluss der Sonne und der kosmischen Strahlung auf das Klima endlich befriedigend klären. Überhaupt wollen die Forscher natürliche Klimaschwankungen noch wesentlich besser von Schwankungen unterscheiden können, die der Mensch verursacht. Die Arbeit geht der Wissenschaft so bald nicht aus.

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