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Ein Forschungsschiff setzt Messgeräte auf dem Schelfeis der Antarktischen Halbinsel ab.

© Jonathan Bamber/Science

Klimawandel: Das Eis der Antarktischen Halbinsel schmilzt rasant

Bisher galten die Gletscher der südlichen Antarktischen Halbinsel als stabil. Satellitendaten zeigen nun, dass auch dort die große Schmelze begonnen hat. Jährlich schmilzt ein 80 Meter hoher Quader von der Grundfläche Berlins.

In Teilen der Antarktis schmilzt das Eis seit 2010 erheblich schneller als in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. Glaziologen wissen schon länger, dass die Temperaturen im Norden der Antarktischen Halbinsel rasch steigen und registrieren dort hohe Schmelzraten. „Dort sind aber nur relativ kleine Eismassen betroffen“, sagt Veit Helm vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. Die Auswirkungen auf den Anstieg des Meeresspiegels sollten überschaubar bleiben. Die viel größeren Gletscher weiter im Süden an der Wurzel der Halbinsel schmolzen bisher kaum. Doch als Bert Wouters von der Universität Bristol und Kollegen Daten des europäischen Satelliten „Cryosat-2“ analysierten, fanden sie auch dort rasante Eisverluste.

Von Juli 2010 bis April 2014 verschwanden von der südlichen Antarktischen Halbinsel auf einer Strecke von 750 Kilometern Luftlinie jedes Jahr etwa 72 Kubikkilometer Eis im Meer, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“. Das entspricht jährlich einem rund 80 Meter hohen Eisquader mit einer Grundfläche von der Größe Berlins, der im Meer schmilzt.

Gletscher werden seit 2010 jährlich um 42 Zentimeter dünner

Cryosat-2, der in 700 Kilometern Höhe die Erde umkreist und mithilfe von Radarwellen die Eisdicken misst, zeigt: Im Durchschnitt werden die Gletscher der südlichen Antarktischen Halbinsel seit 2010 jedes Jahr 42 Zentimeter dünner. Das am Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam konzipierte Satellitentandem „Grace“ bestätigt diese Werte. Dessen Messungen des Schwerefelds der Erde zeigen, dass die Gegend jedes Jahr ein wenig leichter wird. Dieser Verlust kann nach Lage der Dinge nur vom Schwund der Eismassen stammen.

Was lässt die Gletscher der südlichen Antarktischen Halbinsel so plötzlich schmelzen? Schließlich hatte sich ihre Masse bis 2009 kaum verändert. Das Wetter kommt nach den meteorologischen Daten dafür kaum infrage, berichten die Forscher um Wouters. Weder haben dort die Niederschläge stark abgenommen, die von oben Schnee nachliefern. Noch sind die Temperaturen der Luft 2009 und 2010 so abrupt gestiegen, dass sie solche großen Eismassen schmelzen könnten.

Aus dem Südpolarmeer kommt wärmeres Wasser

Ganz im Gegenteil hat der Klimawandel gemeinsam mit dem Ozonloch, das sich in jedem Frühjahr in der Stratosphäre hoch über der Antarktis öffnet, bisher die stürmischen Winde noch weiter angefacht, die seit Jahrmillionen um den Eiskontinent Antarktis herumjagen. Dieser Windwirbel isoliert die Region um den Südpol von den wärmeren Luftmassen weiter im Norden. Daher bleiben die Lufttemperaturen über der Antarktis niedrig. Nur der nördliche Teil der Antarktischen Halbinsel liegt außerhalb des Wirbels und damit in der Reichweite wärmerer Luftmassen.

Gleichzeitig treibt der stärker werdende Windwirbel wärmeres Wasser aus dem Südpolarmeer auf die eisigen Küsten der Antarktis zu. Am Grund der Bellingshausen-See vor der Küste der südlichen Antarktischen Halbinsel und der Westantarktis zeigen dann auch Messungen, dass das Wasser um 2010 tatsächlich wärmer geworden ist. Dort fließen die Gletscher der Region ins Meer und schwimmen als mehrere hundert Meter dickes Schelfeis auf dem Wasser. „Das wärmere Wasser schmilzt das Eis von der Basis her“, sagt der AWI-Forscher Veit Helm. Genau in diesen Gebieten zeigen die Cryosat-Daten auch einen besonders großen jährlichen Eisschwund von einigen Metern Dicke.

Aufhalten lässt sich die Entwicklung kaum noch

Dieses Schelfeis ist noch fest mit dem Gletscher an Land verbunden. In Küstennähe liegt das Eis direkt auf dem Meeresgrund, bevor es in einigen hundert Metern Entfernung unter dem Wasserspiegel den Kontakt zum Boden verliert und aufschwimmt. Schmilzt wärmeres Wasser das Eis von unten, kann diese Aufsetzlinie der Gletscher teilweise bis zu einem Kilometer im Jahr landeinwärts zurückweichen – damit wird die Angriffsfläche für das warme Wasser größer.

Das Schelfeis wiederum stützt die Gletscher ab, die vom Inneren der südlichen Antarktischen Halbinsel zu deren Küsten fließen. Schmilzt das Schelfeis von unten, wird also auch die Stütze schwächer, die Gletscher strömen schneller Richtung Meer und werden dünner. Tatsächlich misst Cryosat-2 bereits heute mehr als hundert Kilometer von der Küste entfernt deutlich geringere Eisdicken.

„Aufhalten lässt sich diese Entwicklung kaum noch“, sagt Helm. Ganz im Gegenteil könnte das große Schmelzen sich sogar weiter beschleunigen und auf benachbarte Regionen übergreifen. Cryosat-2 kann diese Entwicklung voraussichtlich nur noch bis 2017 beobachten. Danach läuft das Projekt aus und eine Nachfolgemission hat die europäische Weltraumagentur Esa bisher noch nicht beschlossen.

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