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Klimawandel: Der Arktische Ozean - ein verhinderter Gasspeicher

Der Arktische Ozean und die Seen in hohen Breitengraden könnten viel Kohlendioxid speichern und so den Klimawandel aufhalten, dachten Forscher. Doch offensichtlich wird das Meer im Norden nicht die „Kohlenstoffsenke“ sein, für die es bisher gehalten wurde

Jedes Jahr im Sommer geht das Eis auf dem Arktischen Ozean gewaltig zurück, und zwar deutlicher als in Klimamodellen vorhergesagt. Die Veränderungen rund um den Nordpol sind dramatisch, schienen aber wenigstens einen positiven Nebeneffekt zu haben. Fehlt das Eis, hat die Atmosphäre nämlich mehr Kontakt zum Wasser. Das ist kalt und verfügt über eine reiche Lebewelt – beste Voraussetzungen, um viel Kohlendioxid (CO2) aus der Lufthülle aufzunehmen und damit den Klimawandel zu bremsen. So lautet eine durchaus verbreitete Einschätzung über die Wirkung eines eisfreien Ozeans am Nordpol. Erst im vergangenen Jahr kam eine Studie des Bermuda-Instituts für Ozeanforschung zu dem Ergebnis: Der Arktische Ozean umfasst zwar nur drei Prozent aller Meeresflächen, könnte aber fünf bis 14 Prozent zur CO2-Aufnahme durch die Ozeane beitragen.

Doch offensichtlich wird das Meer im hohen Norden nicht die „Kohlenstoffsenke“ sein, für die es bisher gehalten wurde. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die Wei-Jun Cai von der Universität Georgia und sein Team jetzt online im Fachjournal „Science“ veröffentlichten. Die Wissenschaftler hatten im Sommer 2008 zahlreiche Wasserproben im westlichen Teil des Arktischen Ozeans nördlich der Behringstraße genommen und diese mit Daten von 1999 beziehungsweise 1994 verglichen. Dabei zeigte sich, dass im Oberflächenwasser weitaus mehr CO2 enthalten war als während der früheren Messkampagnen.

Auf den ersten Blick ist das ein vielversprechendes Ergebnis: Der Ozean nimmt große Mengen des Treibhausgases auf. Beim näheren Hinsehen zeigt sich aber, dass der CO2-Gehalt deshalb so hoch ist, weil das Wasser sommers kaum in Bewegung ist. Oben befindet sich eine Zone, in der Wind und Wellen das Wasser einigermaßen durchmischen. Doch diese Schicht ist nicht mal 20 Meter dick, berichten Cai und Kollegen. Dadurch ist der Ozean stark geschichtet, ein Austausch zwischen den einzelnen Lagen ist kaum möglich.

Das hat zur Folge, dass das Oberflächenwasser nach der Eisschmelze im Frühjahr zunächst viel CO2 aus der Atmosphäre aufnimmt. Die obere Schicht ist aber bald „voll“ und kann kaum weiteres Kohlendioxid aufnehmen. Der „CO2-Partialdruck“, wie Fachleute sagen und den man in diesem Zusammenhang grob mit „CO2-Konzentration“ übersetzen kann, ist in der Atmosphäre nur noch geringfügig größer als die CO2-Konzentration im Wasser. Je geringer diese Differenz ist, umso weniger Kohlendioxid kann von der Atmosphäre ins Meer „gedrückt“ werden.

Abhilfe könnten Mikroorganismen schaffen, die das Kohlendioxid benötigen, um Photosynthese zu betreiben. Sie nehmen das Gas aus dem Wasser auf, wo dann Platz für neues CO2 entstünde. Aber die Bioproduktion in der obersten Wasserschicht ist äußerst gering, zeigen die Untersuchungen. „Das liegt offensichtlich an der starken Schichtung, dadurch gelangen nur sehr wenige Nährstoffe wie Nitrat in die oberste Schicht“, schreiben die Wissenschaftler.

In Zukunft dürfte sich das Problem noch verschärfen, glauben Cai und Kollegen. Je mehr Eis im Sommerhalbjahr schmilzt, umso weiter geht der Salzgehalt an der Oberfläche zurück und umso ausgeprägter wird die Schichtung sein. Wenn ringsum auch noch die Permafrostböden tauen, kommt über die Flüsse viel organischer Kohlenstoff ins Meer – dann braucht es das CO2 aus der Atmosphäre noch weniger. Nicht zuletzt wird der Ozean von Jahr zu Jahr wärmer. Und warmes Wasser kann prinzipiell weniger Kohlendioxid aufnehmen als kaltes.

„Wenn der Arktische Ozean eisfrei ist, wird zumindest der westliche Teil keine bedeutende Kohlenstoffsenke werden“, schließen die Forscher. Ihren Berechnungen zufolge beträgt die Aufnahmefähigkeit mit 4,6 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr gerade ein Siebtel des in der Studie von 2009 propagierten Wertes.

„Ich habe schon lange mit so einem Fachartikel gerechnet“, sagt der Meeresbiologe Ulrich Bathmann vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Die Datenerhebung und die Interpretationen seien gut. „Das große Plus der Arbeit ist, dass die Kollegen den Arktischen Ozean nicht als einzelnes großes Objekt betrachten, sondern einzelne Regionen unterscheiden.“ Das sei unerlässlich, um die Rolle des Gewässers in der Klimaentwicklung besser zu verstehen. „Die Behringstraße ist sehr flach, dort findet kaum ein Wasseraustausch mit dem Pazifik statt, deshalb ist die Schichtung extrem stabil.“ Anders sieht es weiter östlich zwischen Grönland und Island aus. Dort ströme viel warmes Wasser aus dem Süden heran, und wenn es sich abkühlt, kommt es zu einer kräftigen Durchmischung. Die CO2-Aufnahme wird dadurch größer als im westlichen Teil.

Wie groß genau, das lasse sich noch nicht zuverlässig sagen, fügt Bathmann hinzu. Das liegt unter anderem daran, dass große Areale noch immer eisbedeckt sind und deshalb nicht von Forschungsschiffen erkundet werden können. Dementsprechend ungenau sind die Schätzungen über die Folgen der Temperaturerhöhung für das Meer.

Zu einer ähnlich ernüchternden Einschätzung kommen schwedische Forscher in Bezug auf Binnenseen in hohen Breitengraden, die auch als „boreale Seen“ bezeichnet werden. Diese Gewässer könnten infolge der steigenden Temperaturen weniger organischen Kohlenstoff fixieren und würden stattdessen noch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Das schreiben Cristian Gudasz von der Universität Uppsala und Kollegen im Fachblatt „Nature“ (Band 466, Seite 478), nachdem sie acht boreale Seen in Schweden genauer untersucht hatten.

Boreale Seen machen rund ein Drittel aller Seen weltweit aus. Sie sind damit eine nennenswerte Größe im Kohlenstoffkreislauf. Wenn organischer Kohlenstoff, etwa abgestorbene Pflanzen, den Seegrund erreicht, wird ein Teil im Sediment eingebettet – wie vor Jahrmillionen die heutige Kohle. Ein anderer Teil wird von Mikroorganismen zersetzt.

„Durch die höheren Temperaturen steigt die Aktivität der Mikroben in dem Gewässer“, sagt die Ko-Autorin Katrin Premke. „Sie verwerten größere Mengen Kohlenstoff, so dass weniger im Sediment eingelagert wird und zugleich mehr Kohlendioxid und Methan entstehen.“ Da im Süßwasser viel weniger CO2 gelöst werden kann als im Meerwasser, steigt ein bedeutender Teil in Form von Gasblasen an die Wasseroberfläche und entweicht in die Atmosphäre.

Schon heute lassen sich die borealen Seen nicht auf eine Rolle im Klimasystem festlegen. Einige können mehr Kohlenstoff aufnehmen, als sie abgeben, sind also „Senken“, andere sind Kohlenstoffquellen, sagt Premke. Bei steigenden Temperaturen werde die Zahl der Senken noch weiter zurückgehen. Die Berechnungen der Wissenschaftler zeigen: Je nachdem, welches Erwärmungsszenario angenommen wird, wird die Fähigkeit der borealen Seen zur Kohlenstoffspeicherung bis zum Ende des Jahrhunderts um vier bis 27 Prozent abnehmen.

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