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Klimawandel: Zwischen Himmel und Erdung

Was er will, ist nichts weniger als eine Revolution: die große Klimawende in letzter Sekunde, um die Welt noch zu retten. Daran arbeitet Hans Joachim Schellnhuber in seinem Potsdamer Institut mit weltweitem Einfluss.

Zwei Flügel, drei Kuppeln, und über dem ehrwürdig imposanten Backsteinbau, der gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts als erstes astrophysikalisches Observatorium der Welt eröffnet wurde, spannt sich am aufgeheiterten Mittag das mit einmal vorwinterlich klare All. Sonst nichts, und darunter steht auf seines Daches luftigem Austritt Professor Hans Joachim Schellnhuber, seit 15 Jahren Direktor des von ihm an dieser Stelle gegründeten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. So, zwischen Himmel und wissenschaftlicher Erdung, steht er bereit, den Planeten zu retten.

Das sagt der Professor, das sagen seine Mitprofessoren und Mitforschenden wirklich so. Mal im Dreiviertelernst, mal halbwegs im Scherz, und wenn wir ihnen nach der Erläuterung ihrer Tabellen und Farbskalen voll sinkender Gletscher, steigender Treibhausgase und sich rötender Erdtemperaturen weiter Glück wünschen beim Weltretten, dann rufen sie: „Wünschen Sie uns das Glück, dass wir uns irren!“ Rufen es, derweil sie an ihren Rechnungen immer weniger zweifeln.

Das Klima ist das Drama der Jetztzeit. Das größte und folgenreichste. Darum bevölkern ab Montag 10 000 Teilnehmer und Beobachter aus 192 Staaten die Haupt- und Nebenbühnen der Weltklimakonferenz in Nusa Dua auf der schönen Tropeninsel Bali. Mit dabei sind natürlich auch Hans Joachim Schellnhuber und vier weitere Kollegen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, abgekürzt: PIK. Schellnhuber hat kein Regierungsamt und ist, obwohl klimatologischer Chefberater von Kanzlerin Angela Merkel und wissenschaftlicher Ratgeber von EU-Präsident Barroso, keiner der Hauptdarsteller auf Bali. Wohl aber eine schlaue Eminenz im Hintergrund und einer der geistigen Strippenzieher jener Debatte über den globalen Klimawandel und seine Folgen, die inzwischen sogar die überflussverwöhnten Amerikaner oder die wachstumsverrückten Chinesen berührt.

Ein Termin mit Professor Schellnhuber ist dieser Tage, direkt vor Bali, schon fast ein Gunsterweis. Das liegt am weltweiten Netzwerk, das an ihm zerrt, an Interessenten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, liegt also nicht am Hochmut. Doch hochgemut ist Schellnhuber schon. Als wir zum ersten Mal miteinander telefonieren, ist er eben auf dem Sprung nach London, zu einem Treffen mit Al Gore und Prinz Charles, und als wir diese Woche im Institut verabredet sind, kommt er gerade von der Klimakonferenz der CDU („Da habe ich nach Frau Merkel geredet“), und am nächsten Tag wartet die entsprechende Konferenz der SPD („Da spreche ich nach Herrn Beck“). „Hieran sehen Sie, dass ich unabhängig bin, ich gehöre keiner Partei an!“, sagt Hans Joachim Schellnhuber mit selbstbewusster Ironie.

Apropos Selbstbewusstsein und Al Gore. Für seinen klimapolitischen Weltrettungsfilm nimmt der amerikanische Ex-Vizepräsident in wenigen Tagen den Friedensnobelpreis entgegen, zusammen mit dem Weltklimarat. An dessen globalem Report „haben wir mitgeschrieben“, betont der Direktor. Vier Wissenschaftler seines Instituts waren an dem aufrüttelnden Papier beteiligt, und auch deshalb befindet man sich im PIK, das auf der höchsten Höhe des Einstein-Wissenschaftsparks auf dem Potsdamer Telegrafenberg residiert, auf dem „peak“: auf dem Gipfel der einflussreichen Forschung.

Am PIK arbeiten knapp 50 festangestellte und etwa 100 projektbezogen engagierte Wissenschaftler, und ein bisschen sind sie alle jetzt gefühlte Nobelpreisträger. Gut passte so auch, dass Anfang Oktober, just in den Tagen der Stockholmer Preisverkündung, das Institut 15 ältere Nobelpreisträger eingeladen hatte und diese in ihrem weltweit beachteten „Potsdam-Memorandum“ wegen der fortschreitenden Erderwärmung und irreversibler Umweltzerstörungen zu einer „Großen Transformation“, sprich einer „Neugestaltung unserer Industriegesellschaft“ aufgerufen haben.

Wir schauen uns um auf dem herbstlich entlaubten, locker bewaldeten Telegrafenberg, den auch die Institute für Geoforschung, für Astrophysik sowie Polar- und Meeresforschung bestücken und den als Schmuckstück Erich Mendelsohns expressionistischer, einst der Teleskopie gewidmeter Einstein-Turm krönt. „Hier“, sagt Schellnhuber, „wurde um 1900 die moderne Physik neu erfunden.“ Dazu führt er uns in ein heute abgelegenes Kellergewölbe seines Instituts, in dem der Physiker und spätere Nobelpreisträger Albert Abraham Michelson seit 1881 mit seinen Messungen zur Lichtgeschwindigkeit die revolutionären Grundlagen für Einsteins Spezielle Relativitätstheorie legte.

„Ich bin ja auch Professor in Oxford“, erläutert Schellnhuber, nunmehr wieder in lichteren Höhen, „und der Telegrafenberg in Potsdam ist für mich der einzige Ort in Deutschland, der da mit seiner Aura mithalten kann. Heute ist das wieder ein Wissenschaftscampus von Weltrang. Und hier müssen wir die Klimaforschung und ihre Konsequenzen neu erfinden.“

Naturforscher von der Physik bis zur Biologie und Geisteswissenschaftler aus der Philososophie, Ökonomie oder Sozialpsychologie arbeiten in Potsdam daran. Junge und alte Köpfe aus einem Dutzend Staaten. Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft verbindet das PIK mit seinem zu je einem Drittel vom Bund, vom Land Brandenburg und durch Drittmittel finanzierten Zehnmillionen-Etat die Grundlagenforschung mit Konzepten der angewandten Wissenschaft: als Basis für politisches, wirtschaftliches und zuletzt auch privates Handeln.

Das Mantra der avancierten Klimaforscher lautet dabei: Bis zum Jahr 2050 muss der Anstieg der mittleren Erdtemperatur im Schnitt auf zwei Grad Erwärmung begrenzt werden, um exzessive Überflutungen, Gletscherschmelzen, die Versteppung und Verwüstung der gemäßigten Breiten und Wirbelstürme ungeahnten Ausmaßes zu vermeiden. Das freilich könne nur (noch) gelingen, wenn die Emissionen aus fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl weltweit um etwa 60 Prozent sinken. Und das, obwohl die Riesenschwellenländer Indien und China im Zuge ihrer Industrialisierung die Masse ihrer Treibhausgase vorerst ungebremst vermehren. Trotzdem sei die Welt zu einer gleichsam klimakopernikanischen Wende fähig, wenn sie denn willens ist.

Hans Joachim Schellnhuber, den die internationale Wissenschaftscommunity nur „John“ nennt (und im sonst gründerzeitlich restaurierten PIK sind selbst die Toiletten alle englisch beschriftet), er sitzt in seinem geräumigen Erdgeschossbüro zwischen Türmen von rot eingebundenen Akten, Scripten, Computerausdrucken. Im roten Pullunder zum schwarzen Hemd, auf einem roten Ledersessel mit schwarzem Rahmen. Der Klimaberater der großen Koalition – und des Rests der Welt.

Gerade muss er noch einen Bali-Auftaktartikel für ein deutsches Blatt schreiben, da fällt ihm ein, dass er parallel gleich eine englische Fassung erstellen könnte. „Das geben wir auch der ,New York Times’!“, ruft er seiner Pressesprecherin zu. Wer die Welt retten will, muss nicht nur Weltklasse sein – das ist man sowieso –, es bedarf auch der globalen Medienpräsenz.

Fünf Minuten später drückt er uns noch den nebenbei, mit einem PIK-Ozeanologen, geschriebenen kleinen Leitfaden „Klimawandel“ in die Hand, der „übrigens ein Bestseller ist“. Bei all dem fällt es nicht schwer, den Weltretter, der als theoretischer Physiker und Liebhaber hochkomplexer Systeme von der Chaosforschung zum Klimathema gekommen ist, auch ein wenig eitel zu nennen. Doch recht eigentlich ist dieser 56-jährige gebürtige Bayer nur ein rationaler Enthusiast, der seine Botschaft, dass es sich lohnt, in der Energiewirtschaft „eine dritte industrielle Revolution“ anzustiften, ohne apokalyptisches Pathos, ohne aufgeblasenes Gurugehabe verkündet. Und der damit auch menschlich ankommt: in seinem unpolternd bajuwarischen Idiom, sehr weich im Ton und herzlich kühl, manchmal leicht spöttisch in der Sache. Ein subjektiver Sound von objektiv wissender, meist besser wissender Unabweislichkeit. Seinem süddeutschen Landsmann Bert Brecht hätte dieser kahle kluge Schellnhuber-Kopf gewiss gefallen. Weil er mit ironischem Mund und einem leicht verhangenen Blick aus sehr schmalen Augen einer chinesisch lächelnden Maske gleicht. Als berge die Vernunft das Geheimnis hochmütig gutmütiger Lust und List.

Mit dem Chinesischen hat es auch Ottmar Edenhofer, seit drei Wochen Schellnhubers Stellvertreter. Gleichfalls ein Bayer und von jener leisen Freundlichkeit, die sich wie Butter unterm Messer des Scharfsinns teilt. Edenhofer, ein mathematisch orientierter Wirtschaftswissenschaftler, nennt sich „Chefökonom“ des PIK und stützt mit seinen Berechnungen, was der 2006 bereits so aufsehenerregend in England veröffentlichte Report von Nicolas Stern dargestellt hat: dass sich eine umweltschonende, auf erneuerbare, alternative und jedenfalls CO2-Emissionen verringernde Energien setzende Industrie nicht nur ökologisch, sondern ebenso belegbar ökonomisch lohne. Edenhofer: „Seitdem hat in den Spitzen der Wirtschaft, nicht zuletzt bei der deutschen Automobilindustrie und bei den Energiekonzernen ein Umdenken eingesetzt. Die Signale erfahren wir jetzt jeden Tag. Sogar die Bush-Administration bestreitet angesichts dieser Wende nicht mehr grundsätzlich die menschengemachten Ursachen des Klimawandels.“ Und wie reagieren die Chinesen, die, wie Schellnhuber, Edenhofer und das ganze PIK verkünden, nur bei substantiellen Vorleistungen der westlichen Industriestaaten über das Thema nachzudenken bereit sind? Edenhofers Antwort: „Ich habe eine Analyse für neue energiepolitische Strategien der Chinesen in Arbeit. Die Untersuchung soll 2009 vorliegen.“ Wir fragen, ob davon auch die chinesische Regierung schon weiß. Da lächelt der niederbayerische PIK-Ökonom: „Hochrangige chinesische Regierungsmitglieder wissen davon. Zwar nicht als Auftraggbeber, aber sie sind involviert. Mehr darf ich dazu nicht sagen.“

Für eine Art Potsdamer Abkommen, zum Beispiel über einen weltweiten Emissionshandel als Grundlage einer gewandelten Energiepolitik, ist nun Bali noch nicht der Ort. Schellnhuber sagt auf dem Weg zu einem Nachfolgeabkommen des legendären Kyoto-Vertrags nur eine Zwischenstation voraus. „Die meisten Regierungschefs sind in Bali nicht dabei, es geht nur ums weitere Verhandlungsmandat, und frühestens bei der übernächsten Weltklimakonferenz 2009 in Kopenhagen erwarte ich präzisere Zielvorgaben.“ Dann gibt es beispielsweise eine neue amerikanische Regierung, und die Chinesen haben vielleicht Professor Edenhofers Analysen gelesen.

„John“ Schellnhuber aber wird dann auch Nachwuchs haben. Nach dem Tod seiner ersten Frau zum zweiten Mal verheiratet, erwartet er im März einen Sohn. Eben hat er eine „dreimal besser bezahlte Professur“ in Amerika abgelehnt, lehrt jedoch immer noch in England und Potsdam, ist PIK-Chef und in zig internationalen Gremien. Hat man als Weltretter dann noch Zeit für das eigene Kind? „Ja, ich hatte dieses Jahr noch keinen Tag Urlaub und immer eine 80-Stunden-Woche. Das muss sich ändern, ich delegiere jetzt mehr und schränke die eigenen Emissionen ein.“ Jetzt muss er fort, zum Autohändler, sich einen neuen Diesel leasen. „Aber bald kommt das Elektroauto. Ohne Energieaaserei. Noch verbrennen wir ja archaische Verwesungen!“ Bis zur letzten Ölung.

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