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In Frankfurt am Main und in Berlin warb die atheistische Giordano-Bruno-Stiftung mit fahrenden Großplakaten für ein "Recht auf letzte Hilfe".

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Kolumne "Was Wissen schafft": Sterbehilfe, ein Notausgang

Verboten, aber straffrei: Wie eine Lösung in der Debatte um die assistierte Selbsttötung aussehen könnte, skizziert der Kommentar unserer Autorin.

Er wollte nicht sterben, „zu keinem Zeitpunkt, und ich will es auch jetzt nicht“. Das schreibt der Berliner Schriftsteller Wolfgang Herrndorf in seinem Blog „Arbeit und Struktur“, der im vergangenen Jahr auch als Buch veröffentlicht wurde. Posthum, denn da hatte Herrndorf, seit Jahren an einem unheilbaren Hirntumor erkrankt, sich bereits mit einem Schuss das Leben genommen. Um die Möglichkeiten dazu hatte er sich schon zwei Jahre zuvor gekümmert. „Die mittlerweile gelöste Exitstrategie hat eine so durchschlagend beruhigende Wirkung auf mich, dass unklar ist, warum das nicht die Krankenkasse zahlt“, schrieb er im August 2010.

Erleichterung durch die Waffe auf Krankenschein – das ist eine ziemlich abgefahrene, eher literarische Idee. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben spricht lieber vom „Recht auf Letzte Hilfe“. Fasst man den Begriff etwas weiter, dann gibt es keinen Grund zum Streit, das wurde in der Debatte der letzten Wochen deutlich: Dann meint „Letzte Hilfe“ die moderne Palliativmedizin als optimale Behandlung aller Beschwerden von unheilbar Kranken. Sie bietet Hilfe bei Schmerzen, Linderung von Atemnot und Angst, angemessene Konzepte für die Versorgung mit Essen und Trinken– oder den Verzicht darauf. Die Versorgung wurde zuletzt deutlich ausgebaut, auch durch Hausbesuche palliativmedizinisch spezialisierter Ärzte. Und es besteht Einigkeit, dass wir noch mehr davon brauchen. Dass jeder Bürger ein Recht darauf hat.

Nicht jeder, der das Rezept bekommt, man auch von ihm Gebrauch

Doch genügt diese Art der Begleitung während des Sterbens? Oder sollten Ärzte auch dabei helfen, schneller den Tod zu finden? Im US-Staat Oregon regelt ein Gesetz, dass Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen ihren sterbenskranken Patienten auf Wunsch eine tödliche Medikamentendosis verschreiben dürfen. Einnehmen müssen die Kranken diese selbst. Die Erfahrungen, die nun 17 Jahre umfassen, zeigen: Ein Drittel der Menschen, die ein solches Rezept bekommen, macht nicht davon Gebrauch. „Es geht den Menschen offensichtlich primär um das Gefühl der Kontrolle über ihre letzte Lebensphase, sie besorgen sich damit sozusagen eine Art ,Sterbeversicherung‘ “, folgert der Schweizer Gian Domenico Borasio, einer der Pioniere der Palliativmedizin. Herrndorfs Hinweis auf die „beruhigende Wirkung“ einer „Exitstrategie“ scheint das zu bestätigen.

Aber dürfen ausgerechnet Ärzte in einem solchen Plan eine Rolle spielen? Es sei nicht Aufgabe von Ärzten, Menschen bei der Selbsttötung zu assistieren, gibt nicht nur der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Montgomery, zu bedenken. Ein Argument, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen wird. Heilen von Krankheiten und Lindern von Leiden ist die primäre Aufgabe von Ärzten. Da wird es einem doch mulmig zumute, wenn man von Organisationen und Ärzten hört, die sich ganz und gar auf das Verschreiben oder Mixen tödlicher Mittel spezialisiert haben. Zumal die Suizidforschung gezeigt hat, dass Todeswünsche häufigambivalent sind und dass Menschen sich nur selbst das Leben nehmen wollen, wenn sie kaum mehr Spielraum für freie Entscheidungen sehen.

Am Ende kann auch der Verzicht auf Essen und Trinken stehen

Kein Zweifel: Ärzte müssen alles ausreizen, was die moderne Palliativmedizin zu bieten hat. Dazu gehört auch die palliative Sedierung mit Opiaten oder Benzodiazepinen, die den Betroffenen zeitweise oder bis zum Ende in den Zustand der Bewusstlosigkeit versetzt. Aber auch – weit weniger bekannt– der (ärztlich begleitete) freiwillige Verzicht eines Schwerkranken auf Essen und Trinken.

Doch selbst bei optimaler Versorgung wird es vielleicht immer noch einige Schwerstkranke geben, die für sich keinen anderen Ausweg sehen, als sich selbst das Leben zu nehmen. Sie sollten sich trauen können, über solche Gedanken mit ihrem Arzt zu sprechen. Weil der hoffentlich eine Vertrauensperson ist, weil er sie und ihre Prognose kennt. Und weil er möglicherweise am ehesten dazu in der Lage ist, ihnen andere Wege aufzuzeigen, sie von ihrem Entschluss abzubringen.

Sollte das nicht gelingen, dann besteht immerhin die Chance auf eine sanftere Lösung, wenn Ärzte straffrei mitwirken und keine Angst vor berufsrechtlichen Konsequenzen haben müssen. Unter klar umschriebenen Rahmenbedingungen. Verboten, aber straffrei: An diesem Punkt drängt sich die Parallele zu Paragraf 218 des Strafgesetzbuches auf.

Adelheid Müller-Lissner

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