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Krebszellen eines Lungentumors

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Krebssignaturen: Tödliche Muster im Erbgut

Beweisspuren im Erbgut von Tumoren sollen erklären, was Krebs verursacht. Auch das Immunsystem ist unter den Verdächtigen.

Sie sind ein wenig wie Forensikexperten, die Spuren an einem Tatort auswerten. Nur ist der Mörder, nach dem sie fahnden, heimtückischer und vielgestaltiger als jeder Psychopath: Krebs. Um zu rekonstruieren, was ihn besonders aggressiv macht oder langsam töten lässt und wie er überhaupt auf Abwege geraten ist, brauchen Forscher ungleich komplexere Methoden als alles in der Kriminalistik.

„Wir wissen, dass jeder Krebs eine Krankheit der Gene ist“, sagt Michael Stratton vom Krebsgenomprojekt am Sanger-Institut der Wellcome Stiftung in Großbritannien. „Wir verstehen auch ganz gut, welche Konsequenzen bestimmte Veränderungen im Erbgut haben. Aber wir wissen kaum etwas darüber, was sie verursacht.“

Nun haben Forscher unter Strattons Leitung die bisher umfangreichste Untersuchung von Krebsgenomen vorgelegt. Das internationale Team, zu dem unter anderem das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, die Universität Kiel und die Uniklinik Münster gehören, haben knapp fünf Millionen Mutationen in mehr als 7000 Tumoren analysiert, die von 30 verschiedenen Krebsarten stammen. Aus der Datenflut filterten sie mithilfe eines speziellen Algorithmus 96 verschiedene Mutationstypen heraus und fassten sie zu 20 Mustern zusammen. „Diese Signaturen entsprechen Beweisen, die am jeweiligen Tatort – also im Genom der Krebszelle – zurückgelassen wurden“, sagt Serena Nik-Zainal vom Sanger-Institut. Aus ihnen konnten die Forscher erste Rückschlüsse auf die Ursachen der Krankheit ziehen.

Ein komplexes Mosaik

Das Bild, das sich dabei ergab, ist ein komplexes Mosaik. Zwar konnten die Forscher 97 Prozent der fast fünf Millionen Mutationen den 20 Signaturen zuordnen, schreiben sie im Fachmagazin „Nature“. Die einzelnen Signaturen jedoch deuteten nicht unbedingt auf einen speziellen Krebs hin. Die Spuren mancher „Tathergänge“ kommen in mehr als der Hälfte der Krebsarten vor, andere Signaturen dagegen sind typisch für ein oder zwei. Außerdem waren im Erbgut der meisten Krebsarten mindestens zwei verschiedene Signaturen zu finden. Bei Krebs in Leber, Gebärmutter und Lunge waren es bis zu sechs verschiedene Prozesse, die zum Tumor führten.

Die Ursachen einiger Signaturen sind alte Bekannte in der Krebsforschung: das Alter eines Menschen, Tabakrauch und UV-Licht. Im Laufe eines Lebens häufen auch gesunde Zellen immer mehr kleine Veränderungen in ihrem Erbgut an – die Rate ist relativ konstant. Irgendwann geht dabei etwas schief. In dem bislang gesunden Gewebe wächst ein Tumor. Die meisten Erbgutveränderungen, die in dieser Signatur 1 zusammengefasst sind, haben vermutlich gar nichts mit dem Krebs zu tun.

Doch das Alter ist nur für eine einzige von 20 Signaturen ursächlich. Sieben andere kommen zustande, wenn die Reparatur von Erbgut, das in Eiweiß übersetzt werden soll, unerwünschte Nebenwirkungen hat. Polyzyklische Kohlenwasserstoffe aus Tabakrauch zum Beispiel lagern sich an DNS-Stränge an. Damit der Klumpen das Ablesen des Erbguts nicht stört, ruft die Zelle eine Schere heran, die den Komplex wegschneidet (Signatur 4). Mitunter wird aber genau dieser Erbgut-Abschnitt gebraucht, damit die Zelle gesund bleibt. Ähnlich werden Erbgutschäden repariert, die durch UV-Licht entstehen (Signatur 7).

Ein Mutationsmuster (Signatur 11) bei Schwarzem Hautkrebs und beim Glioblastomen (ein Hirntumor) kann vermutlich auf Krebsmedikamente zurückgeführt werden, mit denen die Patienten zuvor behandelt wurden. Bei mehr als der Hälfte der Signaturen ist noch kein Schuldiger in Sicht. Bis die Entstehung von Krebs verstanden ist, müssen noch viele zusätzliche Experimente gemacht werden, schreiben die Forscher. Die nun veröffentlichte Studie zeige vor allem eines: die Vielfalt und Komplexität der Prozesse, die zu Krebs führen. „Wir müssen die Ursachen dieser Schädigungsmuster dringend kennen, um effektiv Prävention zu betreiben und um gezieltere Behandlungen zu entwickeln“, sagt Stefan Pfister vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Kollateralschaden bei der Abwehr von Viren

Einen Übeltäter hatten die Forscher vorher nie verdächtigt: Ausgerechnet das angeborene Immunsystem scheint bei der Entstehung von etwa der Hälfte der untersuchten Krebsarten eine Rolle zu spielen. Wenn ein Virus Körperzellen angreift, schickt das angeborene Immunsystem unter anderem ein spezielles Enzym herbei. Es kann das Erbgut der Viren durch eine chemische Veränderung destabilisieren. „Es ist entstanden, damit sich Viren im Körper nicht so gut vermehren können“, sagt Nik-Zainal. Doch die Waffe ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn besonders viel von dem Enzym gebildet wird, kann es auch das Erbgut gesunder Körperzellen schädigen. Der Kollateralschaden führt dann mitunter zu Krebs, so lautet die These, die die Forscher für Signatur 2 und 13 haben. Denn sie fanden genau dieselbe Veränderung bei etlichen Krebsarten. „Sollte sich diese Vermutung bestätigen, wären wir auf einen sehr wichtigen neuen Mechanismus der Krebsentstehung gestoßen“, sagt Pfister.

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