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Wissen: Lernen ohne Rhythmus

Neue Studie zur Ganztagsschule: Pädagogische Konzepte greifen nur langsam

„Ganztagsschulen bieten mehr als Sport und Spiel. Sie haben erkannt, dass sie auch am Nachmittag einen Bildungsauftrag haben“, sagt Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (Dipf) in Frankfurt am Main. Allerdings setzten viele Ganztagsschulen diese Erkenntnis noch zu langsam um. Zwar haben sich nach der von Klieme geleiteten „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (Steg) die Nachmittagsangebote wie Hausaufgabenbetreuung und fächerübergreifende AGs erweitert. Aber die Eltern wünschen sich vor allem eine bessere individuelle Förderung ihrer Kinder. Die vom Bundesbildungsministerium geförderte Studie wurde gestern in Berlin vorgestellt.

Befragt wurden rund 54 000 Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleiter und sonstige pädagogische Kräfte an 373 Ganztagsschulen. Die teilnehmenden Schulen wurden für die erste Steg-Studie 2005 ausgewählt und nehmen an zwei weiteren Befragungszyklen teil. 57 Prozent der Schulen waren ursprünglich offene Ganztagsschulen, an denen die Teilnahme an der Nachmittagbetreuung freiwillig ist. 22 Prozent waren voll gebundene Ganztagsschulen, die ihre Schüler verpflichten, an mindestens drei Tagen zusätzliche Angebote zu nutzen, und 21 Prozent waren teilgebundene Ganztagsschulen. In ihren Ergebnissen weisen die Forscher jedoch nicht die Schularten aus. Etliche hätten sich von offenen zu gebundenen Ganztagsschulen entwickelt und umgekehrt. Außerdem ließen sich kaum Qualitätsunterschiede feststellen, sagt Heinz Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund.

Deutlich verbessert hat sich die Teilnahme der Ganztagsschüler an den zusätzlichen Angeboten. An zwei Dritteln der Ganztagsgrundschulen beteiligen sich inzwischen über die Hälfte der Schüler – Tendenz steigend. Ältere Schüler verstärkt für den Ganztagsbetrieb zu interessieren, „bleibt aber eine Herausforderung“, sagen die Forscher.

Die Herkunft der Kinder spielt keine große Rolle. In der Grundschule steigt die Zahl der Teilnehmer zwar besonders bei Kindern mit niedrigem sozialen Status, in der Sekundarstufe gibt es jedoch keinen Unterschied. In der 3. Klasse nehmen 61 Prozent der deutschstämmigen Kinder teil – 21 Prozent mehr als 2005. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es heute 55 Prozent – knapp 16 Prozent mehr. In der 5. Klasse liegt die Beteiligung mit 70 zu 72 Prozent der Kinder fast gleichauf. Demnach werde die Ganztagsschule mittlerweile „auch bei Bildungsbürgern stärker akzeptiert“, sagt Klieme.

Bei den Angeboten des Ganztagsschulbetriebs ergibt sich ein differenziertes Bild: Gegenüber 2005 haben die Angebote deutlich zugenommen. Auf einer Skala von 0 (kein Angebot) bis 1 (maximale Angebotsbreite) erreichen Hausaufgabenbetreuung und Förderung in der Primarstufe einen Wert von 0,85 (2005: 0,71). Auch bei fachbezogenen Angeboten, fächerübergreifenden AGs und Freizeitangeboten gibt es Steigerungen. Am stärksten genutzt werden jedoch nach wie vor ungebundene Freizeitangebote und AGs – von jeweils drei Vierteln der Schüler. 56 Prozent nehmen an der Hausaufgabenhilfe teil. Diese Werte haben sich gegenüber 2005 nur schwach erhöht. Stärker gestiegen ist die Teilnahme an Förderangeboten – von 28 Prozent auf 36 Prozent. Weil aber nur ein gutes Drittel Förderangebote wahrnimmt, sehen die Bildungsforscher hier Entwicklungsbedarf. Gleichzeitig sind die Schüler unsicher, ob sie am Nachmittag etwas lernen, das ihnen im Unterricht hilft. Den Lernnutzen der Angebote schätzen sie auf einer Skala von 1 bis 4 mit 2,5 ein.

Defizite sehen die Forscher bei der pädagogischen Gestaltung der Ganztagsschule. Unterricht und Angebote müssten stärker verzahnt werden. In der Sekundarstufe seien Absprachen zwischen den Pädagogen sogar zurückgegangen. „In der Planungsphase war die Kooperation intensiver“, sagt Klieme. Heute habe sich Routine eingestellt. Zudem blieben die Bereiche der Ganztagsschule weitgehend voneinander getrennt, eine Rhythmisierung des Schultages finde nur selten statt.

Eine Fortsetzung des Vier-Milliarden-Bundesprogramms für Ganztagsschulen empfehlen die Forscher nicht. Zunächst müsse man ermitteln, ob der Bedarf mit 6400 neuen Ganztagsschulen gedeckt sei, sagt Klieme. Bundesweit gibt es heute rund 9700 Schulen mit Ganztagsbetrieb – von insgesamt etwa 33 000 allgemeinbildenden Schulen. Holtappels glaubt, dass die Schulen eher pädagogische als finanzielle Initiativen bräuchten.

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