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Medizin: Besseres Überleben

Die Tumortherapie wird präziser und schonender. Beim Europäischen Krebskongress sind aber auch die Belastungen der Behandlung ein Thema.

Wer als Arzt in der Behandlung von Krebs tätig ist, ist mit schweren Krankheiten, mit viel Leid und auch immer wieder mit dem Tod konfrontiert. Für Euphorie gibt es meist wenig Grund. Es macht also hellhörig, wenn ein Forscher wie Christof von Kalle vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg davon spricht, dass in der Krebsmedizin „echte Aufbruchsstimmung“ herrsche. „Viele Dinge ändern sich derzeit, 200 Substanzen, mit denen eine zielgerichtete Behandlung möglich sein könnte, befinden sich weltweit in der Erprobung.“

Beim Europäischen Krebskongress, der zurzeit in Berlin stattfindet, ist ausführlich von den neuen Methoden der molekularen Krebstherapie die Rede. Bis Donnerstag treffen sich im ICC rund 15 000 Experten aus 120 Ländern zum Austausch über neue Wege in der Diagnostik und Therapie. Michael Hallek, Direktor des Zentrums für Integrierte Onkologie an der Universität Köln, spricht von einer „neuen Ära“ in der Krebsmedizin.

Schon kursieren dafür Schlagworte wie ‚individualisiert’ und ‚personalisiert’. So ist bei Lungenkrebs häufig eine Andockstelle auf der Zelloberfläche verändert. Der Wirkstoff Cetuximab blockiert diesen Rezeptor und kann so die Krankheit bekämpfen. Das funktioniert allerdings nur bei Patienten, bei denen dieser Rezeptor besonders häufig vorkommt, einer Minderheit aller Lungenkrebs-Kranken. Wer zu dieser Minderheit gehört, können gezielte Tests zeigen. Dann schlägt das Medikament aber bei neun von zehn Patienten an.

Für die Pharmafirmen bedeute das, dass sie Abschied nehmen müssten vom Gedanken der Verkaufsschlager, sagt Hallek. Wo ein neues Medikament nur jedem zehnten Patienten mit einer bestimmten Krebserkrankung hilft, weil es nur bei ihm wie der Schlüssel zum molekularbiologischen Schloss seines Tumors passt, da werden die Märkte notgedrungen kleiner. Der Anreiz, neue Studien zu finanzieren, möglicherweise ebenfalls. „Wir haben allerdings auch die Hoffnung, dass wir in Zukunft gezieltere Studien machen können, in die wir weniger Patienten einschließen müssen“, sagt der Internist.

Allerdings müssten dann auch alle an der Krebsbehandlung beteiligten Ärzte dafür ihre Lektion in Molekularbiologie lernen. „Schließlich ist die Behandlung, die auf diesen Erkenntnissen basiert, heute schon Alltag. Die Zukunft hat schon begonnen.“

Das stimmt auch auf dem Gebiet der Strahlentherapie, wo die Dosis den besonderen Merkmalen des jeweiligen Tumorgewebes angepasst werden muss. „Biologische Prinzipien spielen auch bei uns eine immer größere Rolle“, sagt der Radiologe Michael Baumann vom Universitäts-Krebs-Zentrum Dresden.

Trotz aller Fortschritte in der Behandlung bleibt Krebs eine große Bedrohung. Sieben bis acht Millionen Menschen sterben jedes Jahr an einer seiner zahlreichen Formen. Auf den ersten Blick ist auch eine zweite Zahl erschreckend: Rund 28 Millionen Menschen leben weltweit mit der Diagnose Krebs. Auf den zweiten Blick enthält das eine gute Nachricht. Denn auch, wo Krebs nicht geheilt werden kann, kann er immer häufiger eingedämmt werden, er wird damit zur chronischen Krankheit, mit der ein Mensch viele Jahre leben kann.

Umso wichtiger wird heute die Frage, wie gut das Leben mit oder nach der Krankheit ist. „Ein Mehr an Therapie kann auch ein Mehr an Langzeit-Nebenwirkungen zur Folge haben, sie können die verschiedensten Körperfunktionen betreffen, doch sie sind häufig auch psychischer Art“, erläutert Peter Schlag, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center. Dazu kommt, dass einige der neuen Substanzen, mit denen Krebszellen gezielt am Wachsen gehindert werden, ein Leben lang eingenommen werden müssen.

Und es gibt ein weiteres Problem: „Therapien, die sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen haben, haben oft in der Breite nicht dieselben Erfolge“, kritisiert Schlag. Denn in die wissenschaftlichen Untersuchungen gehen oft ausgerechnet die Patienten nicht ein, die eigentlich für viele Krebserkrankungen typisch sind: Menschen, die außerdem noch weitere Krankheiten haben und zahlreiche Medikamente einnehmen. Die Versorgungsforschung, in der der Erfolg neuer Mittel unter solchen Alltagsbedingungen geprüft wird, werde in Europa noch stiefmütterlich behandelt, klagen die Experten.

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