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© - Foto: p-a/dpa

Medizin: Notfall über den Wolken

Ein neuartiges Diagnosegerät in Flugzeugen erlaubt es Ärzten, Patienten in weiter Ferne zu behandeln.

In 10 000 Metern Höhe bricht plötzlich ein Fluggast zusammen. Ist es nur ein harmloser Kreislaufkollaps oder ein lebensbedrohlicher Herzinfarkt? Die Crew ist ratlos, ein Arzt nicht an Bord. Die Flugbegleiter kleben dem Patienten Sensoren eines Diagnosegeräts auf die Brust und legen eine Manschette um den Arm. Per Breitbandinternet erreichen die medizinischen Messdaten ein Ärzteteam in Berlin. Die Mediziner werden per Videokonferenz zugeschaltet, geben der Crew Instruktionen, begutachten den Patienten – und geben schließlich Entwarnung. Der Pilot kann den Flug beruhigt fortsetzen, die Airline spart sich eine bis zu 100 000 Euro teure Zwischenlandung.

Was sich anhört wie Science-Fiction, könnte bald Realität werden. Unter der Leitung von Lufthansa haben Wissenschaftler bereits einen funktionstüchtigen Prototyp für die medizinische Notfallversorgung in Flugzeugen entwickelt. Maßgeblich daran beteiligt war das Berliner Telemedizincentrum Charité (TMCC) und die von der Uniklinik aus gegründete Firma „Global Health Care“. „Mit dem System wird erstmals eine umfassende und interaktive Ferndiagnose in Flugzeugen möglich“, sagt der Leiter des TMCC, Martin Schultz.

Der Prototyp ist nach Angaben der Airline bereits auf mehreren Testflügen mit guten Ergebnissen erprobt worden. Die Charité möchte im nächsten Jahr ein eigenes Telemedizinzentrum einrichten, das speziell für Notfälle in Flugzeugen zur Verfügung stehen soll. Darüber will die Lufthansa zu Beginn ihre Notfallversorgung abwickeln. Später soll das Zentrum auch anderen Fluggesellschaften offenstehen.

Notfälle in Flugzeugen sind häufiger, als man vermuten mag: Statistisch gesehen ereignet sich alleine auf allen Lufthansa-Flügen täglich ein ernst zu nehmender medizinischer Notfall. Jedes Jahr sterben weltweit zwischen 2000 und 3000 Fluggäste in der Luft. Standardmäßig greifen die Airlines auf medizinische Callcenter wie „Medaire“ oder „SOS International“ zurück. Die dort tätigen Ärzte versuchen, per Satellitentelefon eine Diagnose vorzunehmen und bei der Entscheidung zu helfen, ob eine Zwischenlandung nötig ist.

Das in Berlin entwickelte Notfallsystem soll wesentlich mehr können. „Durch die zahlreichen Daten der Sensoren und die Videoverbindung kann sich der Arzt ein genaues Bild vom Zustand des Patienten machen“, sagt Schultz. Die nötigen Messwerte liefert das neue Gerät umfassend. Es verfügt sowohl über ein 12-Kanal-EKG, der klinische Standard in der Herzdiagnostik, als auch über Messmöglichkeiten für die konstante Überwachung von Puls, Blutdruck und Atmung.

Aber noch muss das System am Boden bleiben, denn es benötigt eine schnelle Datenleitung zwischen Himmel und Erde. Nach langer Suche hat Lufthansa nun einen Betreiber für Breitbandinternet gefunden und gestern der Öffentlichkeit vorgestellt. Panasonic soll vom kommenden Jahr an den Fluggästen das Surfen im Internet ermöglichen. „Damit kann auch das Notfallsystem schrittweise eingeführt werden“, sagt Schultz.

In Zukunft sieht der Chef des TMCC ein solches Notfallsystem aber nicht nur in Flugzeugen. Schultz denkt auch an Reedereien: „Weltweit sind rund 40 000 Handelsschiffe im Einsatz, die mitunter eine Woche von der nächsten medizinischen Hilfsmöglichkeit entfernt sind.“ Die Telemedizin könnte die Distanz deutlich verkürzen. Dietrich von Richthofen

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