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Neuer Schwung. Frauen um die 50 leiden oft unter Symptomen der Wechseljahre wie einem gestörten Temperaturempfinden. Hormongaben können helfen und die Lebensqualität steigern. Doch aus Angst vor Krebs nahmen viele Frauen die Medikamente nicht.

© picture alliance / Cultura

Medizin: Vorschneller Schuldspruch

Vor zehn Jahren kam die Hormontherapie in Verruf. Nun wird diskutiert, ob Frauen seitdem unnötig unter den Wechseljahren leiden.

Enttäuschte Hoffnungen führen oft zu radikaler Abkehr, auch in der Medizin. So wie vor zehn Jahren, im Sommer 2002. Damals wurde eine Untersuchung der Women’s Health Initiative (WHI) abgebrochen, an der sich über 16 000 Frauen beteiligt hatten. Ein Schritt, der Schlagzeilen machte. Weltweit.

Es ging um die Gabe weiblicher Geschlechtshormone nach den Wechseljahren. Durchschnittlich fünf Jahre testeten Forscher eine Kombination von Östrogenen und Gestagenen gegen ein Scheinpräparat – in der Hoffnung, die Hormontherapie könnte nach der Menopause das Risiko für Krankheiten an Herz und Gefäßen eindämmen. Auch die Risiken für Schlaganfall, Thrombosen, Demenz, Brust- und Darmkrebs und Knochenbrüche könnten sinken, lautete eine These.

Die Erwartungen wurden nicht erfüllt. Die Hormontherapie bewahrte die Probandinnen weder vor Herzinfarkten noch vor Arteriosklerose. Zwar waren die Frauen etwas besser vor Darmkrebs und Knochenbrüchen geschützt, erlitten jedoch häufiger gefährliche Blutgerinnsel und Schlaganfälle oder erkrankten an Brustkrebs. Unter 10 000 Frauen, die ein Jahr lang die gängige Kombination nehmen, sind laut WHI-Studie acht zusätzliche Fälle von Brustkrebs zu erwarten. Vor allem diese Schreckensnachricht beherrschte wochenlang die Medien.

Knall auf Fall setzten viele Frauen die Präparate ab, die ihre Frauenärzte großzügig und oft allzu bedenkenlos verordnet hatten. Seit 2002 ist weltweit die Einnahme der Hormonpräparate um die Hälfte zurückgegangen, berichten Forscher in der Fachzeitschrift „Climacteric“. Deren aktuelles Heft ist dem Zehnjahresjubiläum gewidmet und damit den Frauen der Babyboomer-Generation, die „nach WHI“ in die Wechseljahre kamen – als größte Skepsis herrschte gegenüber Pillen, Pflastern und Gels gegen lästige Begleiterscheinungen der Menopause. „Man könnte argumentieren, dass seit 2002 viele Frauen, deren Wechseljahresbeschwerden nicht behandelt wurden, die besten Jahre ihres Lebens verloren haben“, schreibt der australische Mediziner Henry Burger.

Starker Tobak. Auch die Internationale Menopause-Gesellschaft fand bereits im letzten Jahr deutliche Worte: „Die extreme Vorsicht, die die mediale Präsentation der ersten WHI-Ergebnisse im Jahr 2002 hervorbrachte, hat fast ein Jahrzehnt lang die Frauen benachteiligt, die unnötigerweise an schweren menopausalen Symptomen gelitten haben könnten.“

Tatsächlich sind Hormonpräparate die einzigen Medikamente, die in der Zeit gegen starke Hitzewallungen und nächtliche Schweißausbrüche helfen. Zudem wirken sie gegen Scheidentrockenheit, auch bei lokaler Anwendung. Präparate, die pflanzliche Östrogene enthalten, sind wesentlich schlechter erforscht und schon deshalb keine sichere Alternative. Das ist auch in der Leitlinie zur Hormontherapie nachzulesen, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) 2009 veröffentlicht wurde. Dort werden daher die Hormonpräparate bei deutlich ausgeprägten Symptomen für begrenzte Zeit durchaus empfohlen – falls nicht zum Beispiel ein erhöhtes familiäres Brustkrebsrisiko dagegen spricht.

Die Ergebnisse der WHI-Studie haben offenbar die Frauen mehr beunruhigt als ihre Ärzte, legt eine Untersuchung deutscher Gesundheitsforscher um Eberhard Greiser und Martina Dören nahe. Wie sie in der Zeitschrift „Menopause“ berichteten, haben sie nach 2002 über 6 000 Frauen zwischen 45 und 60 Jahren telefonisch befragt. Fast 90 Prozent von ihnen hatten von der WHI-Untersuchung gehört, über ein Viertel der gut informierten Befragten hatte daraufhin die Einnahme gestoppt. Frauen, die nur von ihrem Arzt informiert worden waren, nahmen die Mittel mit größerer Wahrscheinlichkeit weiter ein. Nach eigenem Bekunden waren sie von ihrem Arzt dazu ermuntert worden, der das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko positiv darstellte.

Nun sieht es so aus, als würden ausgerechnet die Autoren der vor zehn Jahren dramatisch abgebrochenen WHI-Studie diesen Kollegen Schützenhilfe geben. Jo Ann Manson von der Harvard Medical School in Boston weist darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Frauen, deren Daten dort ausgewertet wurden, weit über 60 Jahre alt war, einige sogar fast 80. Im Durchschnitt hatten die Teilnehmerinnen das Ende ihrer Monatsblutungen schon zwölf Jahre hinter sich und litten unter keinerlei Wechseljahresbeschwerden. Dafür brachten sie Risikofaktoren wie deutliches Übergewicht mit. Für diese Frauen seien die gesundheitlichen Risiken größer als der Nutzen einer Hormontherapie. „Unglücklicherweise wurde das dann auf jüngere gesunde Frauen übertragen, die gerade erst in die Wechseljahre gekommen sind“, schreibt Manson. In der WHI-Studie waren die jüngeren Frauen eindeutig unterrepräsentiert; nur zehn Prozent der Teilnehmerinnen waren dort Anfang bis Mitte fünfzig.

Was sollen Frauen heute tun, wenn sie das Pech haben, unter den typischen Beschwerden der hormonellen Übergangszeit zu leiden? Für den Gynäkologen und Charité-Hormonforscher Horst Lübbert sind zwei Dinge entscheidend: Sorgfältig das persönliche Risikoprofil erheben und ausführlich miteinander über Pro und Kontra der verschiedenen Varianten einer Hormontherapie zu sprechen. Das heikle Thema Brustkrebs spielt bei diesen Gesprächen eine entscheidende Rolle. Hier ist eine persönliche Risikoabwägung besonders wichtig: Wie sieht die Familiengeschichte aus? Wie dicht ist die Brust der Patientin?

Manson und ihre Kollegen sind überzeugt davon, dass Frauen, die schon bald nach der letzten Monatsblutung Hormone gegen ihre Wechseljahresbeschwerden einnehmen, im Gegensatz zu den älteren Teilnehmerinnen der WHI-Studie auch in anderer Hinsicht profitieren. Sie haben aufgrund neuerer Daten-Auswertungen ein Zeitfenster für den Schutz von Herz und Gefäßen ausgemacht.

„Aus der Grundlagenforschung ist schon lange bekannt, dass Östrogene die Wundheilung fördern. Das funktioniert offensichtlich auch im Anfangsstadium von Gefäßläsionen“, bestätigt Lübbert. „Ist der Prozess fortgeschritten, dann scheint es nicht mehr zu wirken.“ Der Hormonspezialist teilt zudem den Wunsch der amerikanischen Kollegen, dass Östrogene auch als Waffen der ersten Wahl gegen Osteoporose zugelassen werden. Dass sie gegen Knochenbrüche schützen, hatte die WHI-Studie nachgewiesen. Der guten Wirkung auf die Biologie des Knochens stehen jedoch die befürchteten Wirkungen auf die Brust entgegen. Die Debatte zur Hormontherapie dürfte weitergehen.

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