zum Hauptinhalt
320844_0_12f20ed7.jpg

© ddp

Wissen: Mehr kritische Masse

Was der Wissenschaftsrat den Theologien rät

Der Wissenschaftsrat empfiehlt, an zwei oder drei staatlichen Unis Schwerpunkte für bekenntnisgebundene islamische Studien zu schaffen – so viel ist bereits bekannt geworden. Am gestrigen Montag präsentierte Peter Strohschneider, der Vorsitzende des Gremiums, die Überlegungen nun in Berlin. Die Institutionalisierung der islamischen Studien an den Universitäten habe eine „gesamtstaatliche Bedeutung“, erklärte Strohschneider. Bundesbildungsministerin Annette Schavan stellte Bundeshilfen in Aussicht.

Den Experten schweben Institute vor, an denen jeweils mindestens vier bis fünf Professuren existieren, so dass für Forschung und Lehre eine „kritische Masse“ erreicht wird. Mehr oder minder isolierte Einzelprofessuren lehnt der Wissenschaftsrat auch für die christlichen Theologien und für die jüdischen Studien ab. Die jüdischen Studien und die nicht bekenntnisgebundenen Religionswissenschaften sollen starke eigenständige Institute an den Unis bekommen.

Die Professoren für islamische Studien würden die Lehrer für den islamischen Religionsunterricht, Religionsgelehrte sowie Fachpersonal für Sozial- und Gemeindearbeit ausbilden. Jedes der bundesweit zwei bis drei Institute würde jährlich etwa anderthalb Millionen Euro kosten, sagte Strohschneider. Ob bestimmte Länder bereits ihre Bereitschaft signalisiert haben, ein islamisches Institut aufzubauen, wollte Strohschneider nicht sagen. Der Wissenschaftsrat habe keine Standorte empfehlen wollen – das hätte die Evaluation der religionsbezogenen Wissenschaften an den Unis vorausgesetzt.

Über Beiräte soll die verfassungsrechtlich gebotene Zusammenarbeit des Staates mit der muslimischen Glaubensgemeinschaft abgesichert werden. Die Beiräte würden bei der Berufung von Professoren und bei den Lehrinhalten mitwirken. Sie dürften Kandidaten jedoch nur aus religiösen, nicht aber aus wissenschaftlichen Gründen ablehnen. Bei den Protestanten und den Katholiken nehmen dieses Recht die Kirchen, speziell der Ortsbischof wahr. Welche Persönlichkeiten in die islamischen Räte berufen werden, darüber sollen sich die Unis mit muslimischen Gruppen einigen.

Der Wissenschaftsrat hält die Tatsache, dass staatliche Universitäten in Deutschland aus einer langen Tradition heraus der wichtigste Ort für die Ausbildung des kirchlichen Personals und der theologischen Forschung sind, für gut, wie Peter Strohschneider betonte. Offenbar hofft das Gremium, dass sich die Vorteile des Modells von den christlichen Kirchen auf die islamischen Glaubensgemeinschaften übertragen lassen: „Theologie setzt sich im akademischen Diskurs einer methodisch fundierten Kritik aus“, heißt es in den Empfehlungen. „Beide großen Konfessionskirchen wollen durch die akademische Bildung die kritische Selbstreflexion ihrer Funktionsträger stärken, den rationalen Umgang mit den überlieferten christlichen Traditionen fördern und fundamentalistischen Lesarten der überkommenen Glaubensvorstellungen wehren.“

Die Ausgrenzung der Theologien in eigenständige kirchliche Institutionen birgt dagegen die Gefahr, die jeweilige Religionsgemeinschaft gegenüber der Gesellschaft abzuschließen, heißt es in dem Gutachten. Der Wissenschaftsrat sieht aber das „Risiko einer schleichenden Auslagerung“ kirchlicher Professuren aus den staatlichen Universitäten zugunsten außerstaatlicher Einrichtungen durch protestantische Freikirchen und die katholische Kirche. So könnten an den katholischen Seminaren auch Kandidaten ohne Abitur zu Priestern ausgebildet werden. Wissenschaftlich problematisch sind aus Sicht der Experten aber auch die vielen kleinen Institute an staatlichen Universitäten, die an der Lehrerbildung mitwirken. Mindestens fünf Fächer pro Standort müssten abgedeckt werden, um eine solide Ausbildung zu gewährleisten.

Auch die großen theologischen Fakultäten kritisiert das Expertengremium. Sie hätten sich den aktuellen wissenschaftlichen Herausforderungen oft noch nicht genug gestellt – sie zögen sich „auf ihre im Vergleich zu anderen Fächern privilegierte Situation zurück“. Die Existenz der Theologien sind in Kirchenstaatsverträgen gesichert. Vielleicht ein Grund dafür, dass die Theologen erheblich weniger Drittmittel einwerben als vergleichbare geisteswissenschaftliche Fächer.

Bekenntnisgebundene Wissenschaft unterscheidet sich von anderen Wissenschaften durch ihre „systematisch-normativen Ansprüche“, formulieren die Experten. Trotz dieser deutlichen Unterschiede im Selbstverständnis teile die Theologie aber mit den Geistes- und Sozialwissenschaften, der Rechtswissenschaft und der Philosophie ein „konstitutives Element“: „Wie diese verbinden sie analytisch-systematische und hermeneutische Methoden mit einem spezifischen Erkenntnisinteresse an der Gestaltung, Normsetzung oder Sinndeutung menschlicher Gesellschaften.“ Die vielen Überschneidungen in Methodik und Erkenntnisinteressen würden aber oft nicht genug genutzt. Gerade interdisziplinär ausgerichtete Professuren wie für Christliche Archäologie oder Christliche Zeitgeschichte jenseits des Kanons, für die keine rechtliche Bestandsgarantie vorliegt, würden oft Kürzungen zum Opfer fallen.

Die deutsche Konstruktion führt jedoch nicht nur zu einem inhaltlichen, sondern auch zu einem institutionellen Spannungsverhältnis. Die Kirchen sollten sich aus dem Habilitationsverfahren zurückziehen, das eine rein akademische Angelegenheit sei, betonte Strohschneider. Die Frage, ob die Lebensführung eines Wissenschaftlers die Fortsetzung der universitären Laufbahn erlaubt, dürfe die Kirche erst bei Berufungen behandeln. Hier aber fehle es oft an zügiger Bearbeitung und Transparenz. Anja Kühne

Anja KühneD

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false